Berlinale 2011:Der mit den Schatten tanzt

Werner Herzogs atemberaubend kitschige 3D-Doku über uralte Höhlenmalerei - und ein Wettbewerbsfilm über Tschernobyl, der sich furchtbar wichtig nimmt: Neues von der Berlinale.

Martina Knoben

Äußerst exklusiv war die Drehgenehmigung, die Werner Herzog für "Cave of Forgotten Dreams" bekommen hat. Als einziger Filmemacher durfte er in der für die Öffentlichkeit gesperrten Höhle im südfranzösischen Chauvet drehen. Darin: mehr als 30000 Jahre alte Felszeichnungen von staunenswerter Schönheit; die ältesten bekannten Malereien überhaupt.

Berlinale 2011 - 'Cave Of Forgotten Dreams'

Werner Herzog, Peter Zeitlinger und Wulf Hein bei den Dreharbeiten des Films Cave Of Forgotten Dreams. Mit sparsamer Lichtsetzung und handgehaltener Kamera versetzt der Regisseur die ältesten derzeit bekannten Höhlenmalereien und Höhlenzeichnungen in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich scheinbar in Bewegung.

(Foto: dpa)

Und Herzog, dieser Wizard of Oz des deutschen Kinos, ist genau der Richtige, einer Öffentlichkeit, die nur zu gerne verborgene Schätze bestaunt, ein solches Kleinod der Menschheitsgeschichte vorzuführen. Wie man Erhabenheit inszeniert, demonstriert er gleich beim Eintritt in die Höhle, wenn das Filmteam eine schmale Stahltür passiert. Nur wenige Auserwählte dürfen in das Heiligtum hinein. Dort geht es wie in jedem Tempel erst einmal in einen Vorraum, wo das Team und einige Wissenschaftler sterile Schuhe überziehen und in die Regeln des Ortes eingewiesen werden: Nichts anfassen! Auf den Metallstegen bleiben, die die Höhle erschließen! Herzog schaut auf die Uhr: "Wir haben eine Stunde!"

Und dann ist da das Schauen und Staunen, das die Menschen - so ähnlich oder vielleicht doch ganz anders? - empfunden haben mögen, als sie vor mehr als hundert Jahren einen Zug auf einer Leinwand heranrasen sahen; als die Kamera, auf Zügen montiert, durch die Landschaft sauste; oder minutenlang eine Blüte anstarrte. Mindestens so lange und immer und immer wieder starrt Herzogs 3D-Kamera jetzt die Höhlenmalereien an.

Es ist eine Zauberwelt, die der Schein starker Lampen nur ausschnittsweise erschließt. Durch einen Felssturz war die Höhle verschlossen und wurde 20000 Jahre lang von keinem Menschen betreten. In dieser Zeit sind elfenbeinfarbene Stalaktiten und Stalagmiten gewachsen, glitzernde Kristalle bedecken den Boden und zahlreiche Tierskelette. Auch die bemalten, mit zahlreichen Ritzungen versehenen Wände funkeln.

Das aufwendige 3D-Verfahren, das zunächst völlig unsinnig scheint für einen Film über Malerei, verstärkt noch den Tiefeneindruck der Höhle und die Dynamik der Wandformen. Die Zeichnungen wurden ihren Rundungen so gekonnt angepasst, dass die Illusion bewegter Bilder, von prähistorischem Kino entsteht. Eine Gruppe von Wildpferden mit Stehmähnen ist zu sehen, eines wiehert mit geöffnetem Maul. Zwei Nashörner kämpfen miteinander, man meint ihre Hörner zu hören, wie sie aufeinanderstoßen. Ein Bison mit acht Beinen rennt in Muybridge-Manier davon. Und ein Höhlenlöwenweibchen reibt seine Flanke am neben ihm gehenden Männchen.

Wir staunen

Das wurde mit sicherem Strich gezeichnet, der nicht neu angesetzt werden musste bei der meterbreiten Rundung eines Büffelrückens. Aber Herzog gibt sich mit dem ehrfürchtigen Staunen über diese Kulturleistung nicht zufrieden. Als ein Wissenschaftler der Gruppe befiehlt, leise zu sein, um die Stille des Ortes zu hören, ergänzt er in seinem unverkennbaren bajuwarischen Englisch: "Vielleicht können wir sogar unser eigenes Herz schlagen hören" - und mischt diesen Herzschlag in die Tonspur seines Films gleich selbst hinein.

Berlinale 2011 - 'V Subbotu'

Der Film V Subbotu von Alexander Mindadze läuft im Wettbewerb der Berlinale 2011.  Erzählt wird die Geschichte eines jungen Parteifunktionärs und seiner missglückten Flucht nach der Explosion des Kernkraftwerks Tschernobyl am 26. April 1986.

(Foto: dpa)

Das ist natürlich schrecklich kitschig und peinlich; aber Herzog kann das und darf das, so hochspekulativ und opernhaft nach dem Wesen des Menschen zu fragen, das sich womöglich in dieser Zeitkapsel offenbart. Seltsam ist dieser Homo spiritualis, wie ihn ein Wissenschaftler nennt, auf jeden Fall. Schon der Steinzeitmensch malte, machte Musik, warf vielleicht den eigenen Schatten über die Bilder an der Höhlenwand. Dass einen diese Wesen doch immer wieder überraschen können, beweisen auch die Wissenschaftler vor Herzogs Kamera - einer war Einradfahrer und Zirkusjongleur, bevor er Archäologe wurde. Ein irrer Epilog führt schließlich in ein Gewächshaus mit Albino-Krokodilen in der Nachbarschaft der Chauvet-Höhle. In einem letzten kühnen Gedankentwist wechselt Herzog zur tierischen Perspektive: Im Auge des Krokodils, das uns so fremd ist wie wir vielleicht den Steinzeitmenschen, erscheint unser Tun endgültig sonderbar.

So sonderbar wie auch das Treiben in "V Subbotu" (An einem Samstag) von Alexander Mindadze, einem Wettbewerbsfilm, der sich schrecklich wichtig macht, aber im Grunde nur noch einmal erzählt, dass vor dem Untergang besonders ausgelassen gespielt und getanzt wird. Es ist der 26.April 1986 in der Gegend von Tschernobyl. Im nahe gelegenen Kernkraftwerk brennt was, die Parteileitung wiegelt ab. Aber Valerij (Anton Shagin), der früher Drummer einer coolen Band war, nun längst auf Parteikurs eingeschwenkt ist, ahnt, es nur darum geht, die Stadt schnellstmöglich zu verlassen. Aber seine Freundin findet ihren Pass nicht, ein Absatz bricht ab und ein Zug wird verpasst, schließlich muss Valerij als Ersatzmann für den betrunkenen Schlagzeuger seiner ehemaligen Band einspringen. Er rennt und hastet durch die Stadt, die Kamera mit ihm. Was umso offensichtlicher macht, dass er nicht wegkommt, nicht ausbrechen kann aus dieser selbstzerstörerischen Gemeinschaft, in der sich dann doch jeder in seine Rolle fügt.

Das könnte ein tragfähiges Bild abgeben für unsere Gegenwart mit ihren Klimaproblemen, wenn nur die Selbstgerechtigkeit des Films nicht wäre. Mindadze entdeckt keinen einzigen Gerechten unter den Sündern, da kommt kaum Mitgefühl auf. Seine Figuren trinken, schlagen sich oder kaufen neue Schuhe - was Sünder eben so tun, wenn die Welt untergeht.

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