Süddeutsche Zeitung

Berliner Volksbühne:Gutes Stadttheater ist nicht genug

  • Klaus Dörr bleibt kommissarischer Intendant der Berliner Volksbühne bis zum Sommer 2021.
  • Obwohl die Nachfolgefrage damit vorerst erledigt ist, bleibt die Zukunft des Hauses - und seine Ausrichtung - Diskussionsgegenstand.
  • Der neue Spielplan deute auf eine "Stadttheaterisierung" hin - das ist so manchem nicht genug.

Von Peter Laudenbach

Am Schwarzen Brett in der Berliner Volksbühne gibt es einen Aushang, der die Mitarbeiter über die Zukunft ihres Theaters informiert. Der Vertrag des im vergangenen April sehr kurzfristig zum kommissarischen Intendanten berufenen Klaus Dörr wird um ein Jahr verlängert. Der damalige Verwaltungsdirektor hatte das Theater nach dem abrupten Abgang des glücklosen Intendanten Chris Dercon übernommen. Er wird die Volksbühne jetzt nicht wie ursprünglich geplant nur zwei, sondern insgesamt drei Jahre, bis zum Sommer 2021 leiten.

Eine andere Wahl hatte der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) auch nicht, nachdem er die Berufung eines künftigen Intendanten immer wieder verschoben hatte. Anderthalb Jahre vor Auslaufen von Dörrs ursprünglichem Vertrag wäre die Vorbereitungszeit für einen Nachfolger sonst denkbar knapp geworden. Jetzt will Leder "bis zum Frühjahr" über die künftige Intendanz nach Dörrs Interimszeit entscheiden, sagt seine Pressesprecherin auf Anfrage. Nach einem klaren Plan klingt das nicht. Im Augenblick sieht es so aus, als wäre Dörr schlicht aus Mangel an Alternativen verlängert worden.

Wird Klaus Dörr auf Dauer Intendant?

Mit Dörrs wenig überraschender Vertragsverlängerung haben sich die aufgeregten Berliner Gerüchte, in denen seit Monaten mal über Kay Voges, mal über Shermin Langhoff oder Ersan Mondtag als mögliche Intendanzkandidaten spekuliert wird, erledigt. Die neue Preisfrage in der Gerüchteküche lautet, ob der Verwaltungsfachmann Dörr vom Retter in der Not und Interimsleiter der Volksbühne auf Dauer zu ihrem Intendanten werden könnte - und ob das wünschenswert sei.

Auch die Regisseure, die die kommende Spielzeit eröffnen werden, stehen fest: Claudia Bauer, Kay Voges und der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson. Das sind nicht die schlechtesten Namen. Claudia Bauer wurde soeben zum zweiten Mal mit einer ihrer Inszenierungen, die grellen Trash mit Intelligenz und überraschenden Stückinterpretationen verbinden, zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Der Dortmunder Intendant Kay Voges schließt das Theater effektbewusst mit dem Internet kurz, und Thorleifur Örn Arnarsson wird von der Kritik für seinen aktuellen "Faust" in Oslo und seine "Edda" in Hannover gefeiert. Der in die Jahre gekommene Popregisseur Stefan Pucher soll noch in dieser Saison "Lulu" inszenieren, in den kommenden Monaten sind Neuproduktionen der Choreografin Constanza Macras, des Diskurs-Anarchisten Schorsch Kamerun und der Choreografin Sasha Waltz geplant.

In der kommenden Spielzeit werden die Stimmungsdesignerin Susanne Kennedy und der musiktheatralisch inspirierte David Marton an der Volksbühne arbeiten. Das ist ein ordentlicher Spielplan mit vielen alten Bekannten und den mehr oder weniger üblichen Verdächtigen. Eine starke Setzung ist es nicht unbedingt.

Mitarbeiter beschweren sich über Dörrs Amtsführung. Er sei im Umgang autoritär

Dörr ist ohne Zweifel ein erfolgreicher Krisenmanager. Als er das Theater nach Chris Dercons gescheiterter Kurzzeitintendanz vor knapp einem Jahr übernahm, fand er eine Bühne ohne Ensemble, ohne spielfähiges Repertoire und ohne Publikum vor. Ohne die übliche und notwendige Vorbereitungszeit musste er das Haus aus dem Stand wieder arbeitsfähig machen. In dieser Spielzeit stemmt das Theater mehr als 100 Repertoirevorstellungen. Im ersten Halbjahr 2018 lag die Auslastung bei 53 Prozent, in der zweiten Jahreshälfte, nach Dörrs Übernahme, waren es 80 Prozent. Das ist Dörr unter anderem mit hochkarätigen Gastspielen gelungen. Wenn Stars wie Edgar Selge ("Unterwerfung") oder Joachim Meyerhoff ("Die Welt im Rücken") auftreten, sind schnell sämtliche Vorstellungen ausverkauft. Übernahmen wie Hermann Schmidt-Rahmers plakative "Volksverräter!!"-Inszenierung (vom Schauspielhaus Bochum) oder Kay Voges' eklektizistische Produktion "Das 1. Evangelium" (vom Staatstheater Stuttgart) sorgen für einen gut bestückten Spielplan. Bonn Parks Weltuntergangs-Operette "Drei Milliarden Schwestern" genießt Kultstatus. Auch Eigenproduktionen wie Leander Haußmanns launiges "Staatssicherheitstheater" und Susanne Kennedys so aufwendige wie verblasene Deko-Installation "Coming Society" sind gut besucht.

Also alles gut am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz? Nicht unbedingt. Die Freude über Dörrs Vertragsverlängerung ist in der Belegschaft gemischt. Vergangene Woche beschwerten sich mehrere Abteilungsleiter bei Kultursenator Lederer über Dörrs Amtsführung. Ihr Vorwurf: Der Intendant sei im Umgang recht autoritär und nicht besonders dialoginteressiert. Er lege ein übertriebenes Kontrollbedürfnis an den Tag und lasse es an der nötigen Wertschätzung fehlen. "Wir werden behandelt wie Dienstleister, nicht wie Partner", sagt ein langjähriger Technikmitarbeiter gegenüber der Süddeutschen Zeitung. "Das sorgt auf Dauer für eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität. Das ist am Theater tödlich. Eigentlich sind wir eigenverantwortliches Arbeiten gewohnt. Die Stimmung am Haus ist derzeit ziemlich gedrückt." Nicht einmal über die künftige Ausrichtung des Theaters und die Pläne des Intendanten fühlen sich die Mitarbeiter hinreichend informiert.

Dazu muss man wissen, dass die recht selbstbewusste Belegschaft der Volksbühne das Theater nicht einfach als Arbeitsplatz versteht. Die Haltung ist eher: Das ist unser Haus, hier haben wir zusammen Theatergeschichte geschrieben. Das haben sie zwar wirklich, aber für einen neuen, von außen kommenden Intendanten macht das die Lage nicht einfacher. Erst recht nicht für einen erfahrenen Theatermanager wie Dörr, der am Berliner Maxim-Gorki-Theater und am Schauspiel Stuttgart dem Intendanten Armin Petras als künstlerischer Direktor den Rücken frei hielt. Dass er an beiden Häusern hervorragende Arbeit geleistet hat, verschafft ihm an der Volksbühne noch lange keine Autorität. Auch das mag sein nach innen allzu hierarchiebewusstes Auftreten erklären. "Demnächst führen wir hier noch die Kehrwoche ein", spottet ein Mitarbeiter in der Kantine.

Der Unmut in Teilen der Belegschaft wäre deren Privatproblem, wäre er nicht symptomatisch für die Gesamtsituation. Mit Dörr könnte die Volksbühne ein gut geführtes Stadttheater mit viel Routine und mal besseren, mal schlechteren Inszenierungen werden. Das ist so etwa das Letzte, was sich der harte Kern der alten Volksbühnen-Weggefährten für das Theater wünscht.

"Die Volksbühne war ein Gesamtkunstwerk. Darin lag ihr Geheimnis und ihr Zauber", sagt etwa Gabriele Gornowicz, die frühere Geschäftsführerin, ein resolute Frau. Zum Alleinstellungsmerkmal der Volksbühne gehörte, nach eigenen Regeln zu spielen, statt einfach den Betrieb zu bedienen. Dass ihre Regelbrüche, zum Beispiel mit Rockkonzerten auf der großen Bühne oder Live-Videos statt schauspielerischer Unmittelbarkeit, neue Regeln setzten und allerorten nachgemacht wurden, war für den Mythos auch nicht schlecht.

Besser katastrophal gescheitert als wohltemperiertes Mittelmaß

Die prägenden Regisseure der Castorf-Jahrzehnte, Marthaler, Schlingensief, Pollesch oder Fritsch, erfanden für sich jeweils eigene Theatergenres. Riskante, katastrophal gescheiterte Produktionen waren im Zweifel immer noch besser als wohltemperiertes Mittelmaß. Eine Betriebslogik, in der ausschließlich der gut verkäufliche Erfolg zählt, ist diesem Theater fremd. "Die Volksbühne war immer auch ein sozialer und politischer Ort. Gewöhnliche Stadttheater gibt es in Berlin schon genug", findet Evelyn Annuß. Die Theaterwissenschaftlerin hat in der Auseinandersetzung um Chris Dercons Intendanz eine Petition gegen dessen Volksbühnen-Pläne aufgesetzt, die mehr als 40 000 Unterzeichner fand. Jetzt ist sie enttäuscht über das, was sie Dörrs "Programm einer Stadttheaterisierung" nennt.

In der Tat könnten die gut besuchten Gastspiele genauso gut auch am Berliner Ensemble oder am Deutschen Theater stattfinden. Hausregisseur Voges hat erst vor kurzem am BE gearbeitet, Pucher war am Deutschen Theater, und Sasha Waltz zeigt ihre Arbeiten sowieso auf jeder besseren Berliner Bühne. Diese Verwechselbarkeit ist das Gegenteil eines erkennbaren Profils. An einem Theater, das in seinen besten Jahren immer eine Sonderrolle einnahm, wirkt das wie eine sehr gut gemeinte, sehr freundliche Übernahme. Was von Dörrs Programm bisher erkennbar ist, erschöpft sich im Vorhaben, gute Regisseure zu engagieren in der Hoffnung, dass sie Vorzeigbares liefern. Das kann an diesem besonderen Ort peinlich werden, wenn sich Kay Voges im offensiven Epigonentum bei den Stilmitteln der Castorf-Volksbühne bedient, so dass man unwillkürlich Heimweh nach dem Original bekommt, oder wenn Schmidt-Rahmer Gesinnungskabarett mit Theater verwechselt.

Andererseits: Was soll der Pragmatiker Dörr sonst auch machen? Genau dafür, den durch Dercon zerstörten Theaterbetrieb wieder in Schwung zu bringen, wurde er engagiert. Etwas anderes als die Etablierung eines professionellen Theaterbetriebs kann man von ihm fairerweise nicht erwarten. Dass ihm das so zügig gelingt, ist eine Leistung. Sein Problem ist, dass das für die Volksbühne möglicherweise nicht genügt.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2019/heka
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