Berlins Stadtbaudirektorin geht:Abschied einer Minimalistin

23 05 2018 Berlin Deutschland GER Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin führt eine g

Regula Lüscher stammt aus Basel, ist Architektin und Stadtplanerin und war seit 2007 Stadtbaudirektorin in Berlin.

(Foto: Stefan Zeitz)

Regula Lüscher geht nach 14 Jahren als Berliner Stadtbaudirektorin zurück in die Schweiz. Versuch einer Bilanz

Von Peter Richter

Dieser Freitag ist der letzte Arbeitstag von Regula Lüscher als Senatsbaudirektorin von Berlin. Danach wolle die 1961 in Zürich geborene Architektin zurückgehen in die Schweiz, zu ihrer Familie, und "eine künstlerische Ausbildung" beginnen. Das hat sie in einem Interview mit dem Tagesspiegel ausgeführt, das mit dem Zitat "Dinge, die nicht entstehen, sind oft ein Segen" überschrieben war. Es ging da nämlich durchaus auch um alte Kritikpunkte an ihrem Wirken, um die Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes oder das Nichtzustandekommen einer Internationalen Bauausstellung, IBA, zur weiteren Entwicklung des Wohnraums in der Stadt. Das Interview ging für Berliner Verhältnisse aber auffällig fürsorglich mit ihr um; es klang, als mache man sich Sorgen, ob der Aufenthalt in der Stadt auch gefallen hat. (Habe er. Sehr sogar. Die letzten Jahre seien die schönsten gewesen. Und wenn es am schönsten sei, solle man schließlich gehen ...)

Diese generelle Freundlichkeit gegenüber der für Berliner Verhältnisse als außergewöhnlich freundlich geltenden Baubeamtin war zuletzt typisch für die Hauptstadtpresse. Nur die Berliner Zeitung kam in der Beurteilung einer etwas generelleren Work-Life-Bilanz, nämlich der Frage, ob Regula Lüscher von Berlin am Ende nicht deutlich mehr hatte als Berlin von Regula Lüscher, zu einem etwas mauligeren Ergebnis: "Danke für nichts", hieß es da. Dann wurde ihr vorgerechnet, dass unter ihrer langen Ägide - niemand hatte diesen Posten bisher länger inne - doch ganz schön viele Dinge nicht entstanden seien, und dass das nicht unbedingt nur als Segen betrachtet werden könne.

Eine sympathischere Baudirektorin habe Berlin lange nicht gehabt, finden viele; andere sagen: "Danke für nichts."

Es war, offen gesagt, ein ganz schöner rant, und er gipfelte in der Beobachtung, dass Schweizer Minimalismus am Ende doch immer erstaunlich kostspielig sei, nicht nur in der Architektur (Lüscher saß unter anderem in der Jury, die die wegen ihrer Schlichtheit sogenannte Kulturscheune der Architekten Herzog und de Meuron für das Kulturforum auswählte, deren Kosten inzwischen schon bei einer halben Milliarde Euro liegen). Sondern auch in der Politik. Denn im "einstweiligen Ruhestand", in den Lüscher sich nun versetzen lässt, um einen neuen kreativen Lebensabschnitt anzugehen, müssten die Berliner sie schließlich weiterhin bezahlen.

Coronavirus - Berlin

"Dinge, die nicht entstehen, sind oft ein Segen", hat Regula Lüscher mal gesagt. In Bezug auf die Nichtbebauung des Tempelhofer Felds geben ihr da viele Berliner recht.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Zwischen solchen Polen oszilliert also das Bild, das Lüscher hier hinterlässt, und bezeichnend ist, dass diese Fundamentalkritik anonym erschien. "Von einem Bewohner dieser Stadt", stand, etwas theatralisch, darüber. Das roch schon ein bisschen nach Angst, und das wiederum roch danach, dass Lüscher am Ende ihrer Amtszeit womöglich doch nicht mehr ganz so als das Gegenteil ihres machtbewussten und einflussreichen Vorgängers gesehen wurde. Der hieß, nur zur Erinnerung, Hans Stimmann und war ein zum Poltern neigender Mann aus dem Norden, von dem allerdings selbst seine vielen Gegner, Feinde und Verächter in der Architektenschaft bis heute sagen, dass sie bei ihm wenigstens immer wussten, wofür er städtebaulich (die Parzellenstruktur der Vorkriegsstadt) und architektonisch (Stein schlägt Glas, und die Traufkante liegt bei 22 Metern) stand.

Dass Lüscher immer als Gegensatz zu Stimmann galt, war so gesehen von Anfang an nicht nur ein Lob. Wenn man sich heute unter Architekten in Berlin umhört, ist vielen immer noch unklar, wofür die scheidende Senatsbaudirektorin nun steht, sofern man einmal von dem verbreiteten Spott absieht, dass in ihren Jahren schon sehr oft eine bestimmte Architektur der reduzierten Formen aus der Schweiz das Rennen gemacht habe in Berlin. Lüscher selbst bestreitet diese Favorisierung und verweist, ebenfalls nicht ganz zu Unrecht, darauf, dass diese Schweizer Moderat-Moderne in den Jurys gerade generell sehr populär sei. So ist am Ende ihrer Amtszeit fast am häufigsten von Lüschers "partizipativen Ansätzen" die Rede, was sinngemäß heißen soll, dass bei diesen diskussionsfreudigen Mitmachverfahren eher der Weg das Ziel ist - vor allem dann, wenn das ursprüngliche Ziel insgeheim eher im Weg sei.

Ein "Baukollegium" zum Zerreden von Bauprojekten, ein Hochhausplan zur Hochhausverhinderung?

Lüschers Installation eines "Baukollegiums", das einem Projekt erst sein Plazet geben muss, kann man, so wie sie selbst, als Instrument der Qualitätssicherung begreifen. Andere sehen es als Instrument, um Projekte durch Vermehrung der Bedenkenträger zu zerreden. Auch ihr Entwicklungsplan für Hochhäuser in der Stadt sei nur dem Namen nach einer, im Kern diene er der Hochhausverhinderung. Nochmal zur Erinnerung: Als Stimmann seine Kämpfe zur Eindämmung des Höhenwachstums führte, hatte er erst mit gewaltigem Druck von Investoren und dann mit einer Implosion des Interesses an Berlin zu tun. In Lüschers Amtszeit war es andersherum, seit 2007 ist der Ausverkauf der Stadt an internationale Anleger das drückende Dauerthema.

Es ist, wie so oft in Berlin, sehr entschieden eine Frage des eigenen Standpunkts, ob Regula Lüschers Amtszeit ein Gewinn war oder nicht. Dass Dinge, die nicht entstehen, durchaus ein Segen sein können, ist in Berlin schließlich eine nicht ganz unverbreitete und auch eine nicht ganz unbegründete Ansicht. Was am Tempelhofer Feld zunächst geplant war, war vielleicht wirklich nicht wert gebaut zu werden. Das ist zwar auch ein bedenkliches Statement, wenn es von der Stadtbausenatorin selbst kommt, aber es trifft eine Stimmungslage, nach der das Freihalten von Brachen am Ende besser ist als hektisches und anspruchsloses Verbauen von Möglichkeitsräumen. So ist etwa die Freifläche vor dem Roten Rathaus den einen eine Ödnis auf dem Grund der Altstadt von Berlin, wo wieder dichter Wohn- und Erlebnisraum geschaffen werden könnte. Anderen, so auch Lüscher, ist es ein Erbe des Städtebaus der DDR, der hier sichtbar gelassen werden sollte.

Lieber erst mal nicht bauen, als schlecht zu bauen: Diese Strategie hält zumindest Möglichkeiten offen

Es kann sein, dass man Lüscher eines Tages dankbar sein wird, so wie man dankbar wäre, wenn auch viele andere Stellen in der Stadt noch hätten warten können, bis die Zeiten und die Architekten, die hier bauen dürfen, wieder besser sind. Das weist aber auch in die Zeit nach Regula Lüscher, unter der beispielsweise die heitere Leichtigkeit des japanischen Büros Sanaa Mal ums Mal bei Wettbewerben bewundert und dann bei der Prämierung doch verhindert wurde. Von vielen jüngeren Berliner Büros zu schweigen. Denn die Dinge, die unter Lüscher entstanden sind, machen noch nicht wirklich Lust, neue Architekturführer zu drucken.

07.06.2021,Berlin,Deutschland,GER,Europacity. *** 07 06 2021,Berlin,Germany,GER,Europacity

Die Europacity in Berlin mit ihren öden Büro- und Wohnbauten gegenüber vom Hauptbahnhof ist vor allem eines: eine vertane Chance.

(Foto: Stefan Zeitz/Imago Images)

Da ist eine Schulbauoffensive mit Typenentwürfen, die ihre Funktionalität erst in der Praxis erweisen müssen, und da ist die sogenannte Europacity am Hauptbahnhof. Wer schon diesen Namen einfallslos findet, sollte sich die Sache lieber gar nicht erst anschauen. Gemessen an dem, was Berlin war, ist, sein möchte und werden könnte, ist diese Ansammlung von mit wenigen Ausnahmen solide langweiligen Wohn- und Bürokisten ohne wirklichen Anschluss an die Nachbarschaft und ohne nennenswerten Platz für Kultur eine vertane Chance. Und ob die Holzbausiedlung, die Lüscher auf dem ehemaligen Flughafen Tegel durchgesetzt hat, wirklich der Nachhaltigkeit letzter Schluss ist, muss sich angesichts außer Rand und Band geratener Holzpreise und unter Aspekten der Langlebigkeit auch erst zeigen.

Die Frage ist daher eigentlich nicht, was von Lüschers Amtszeit bleibt, sondern was aus dem, was sie offengelassen hat, nun zu machen wäre. Wird der nächste Baudirektor des Senats ein Typ wie der hardcore-konservative grüne Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt, der mit radikalen Mitteln für den Status quo ante in der von einer Immobilienpreisexplosion zerfetzten Stadt kämpft? Oder jemand, der die Entschlossenheit hat, die Stadt auch gegen Anwohnerwiderstände mit neuem Wohnraum zu verdichten? Auch darüber wird wohl erst die nächste Wahl hier entscheiden. Erst danach wird es einen neuen Senatsbaudirektor geben. Wie auch immer es ausgeht: Ein bisschen auf- und anregendere Architektur täte der Stadt mal wieder gut. Genug Platz dafür hat Regula Lüscher nun wirklich gelassen.

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