Maxim Gorki-Theater Berlin:Im Porzellanladen

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"Berlin Kleistpark" erzählt die Geschichte einer Migrantenfamilie. Die Erfahrungen der Fremdheit ins Theater zu bringen, ist eine Qualität des Gorki-Theaters. (Foto: Ute Langkafel / Maifoto)

Wie geht es am Berliner Gorki-Theater nach den Vorwürfen gegen Shermin Langhoff weiter? In "Berlin Kleistpark" zumindest demonstriert Hakan Savas Mican die Qualitäten des Hauses.

Von Peter Laudenbach

Ihre erste Amtshandlung führte Claudia Roth, die neue Staatsministerin für Kultur, einige Stunden nach ihrer Vereidigung direkt in das Berliner Maxim-Gorki-Theater. Man muss den Theaterbesuch vergangene Woche als demonstrative Geste verstehen, ganz nach dem Geschmack der obersten Bundeskulturpolitikerin: das kleinste Berliner Staatstheater, postmigrantisch, politisch kämpferisch und im Stil eher berufsjugendlich als bildungsbürgerlich repräsentativ.

Nach dem Theaterbesuch schwärmte Roth in den höchsten Tönen von der Aufführung, eine feministische Komödie von Sibylle Berg, und ließ sich von der Gorki-Intendantin durch eine Ausstellung des Theaters zu den NSU-Morden führen - auch das ein Statement, wenn auch vielleicht ein etwas wohlfeiles. So setzt die neue Staatsministerin am ersten Arbeitstag schon mal deutlich Akzente, und sich selbst von ihrer Amtsvorgängerin Monika Grütters ab. Die Gorki-Intendantin Shermin Langhoff jedenfalls bedankte sich brav und nannte Claudia Roths Berufung "eine sehr gute Nachricht für die Kultur- und Medienschaffenden in Deutschland. Sie war bereits zuvor eine leidenschaftliche Kulturgängerin und noch leidenschaftlichere Menschenrechtlerin."

Also: allgemeine Harmonie? Nicht unbedingt. Die wohlwollende Aufmerksamkeit der Staatsministerin kann Langhoff dringend brauchen. Öffentlich gewordene Kritik an ihrem offenbar gelegentlich brachialen Führungsstil bescherte ihr einen deutlichen Reputationsschaden. Ihr einstiger Mit-Intendant und Chefdramaturg Jens Hillje, der prägende Vordenker des Maxim-Gorki-Theaters, hat sich nach langem Zögern vor Kurzem von Langhoff und ihrem Theater getrennt. Hillje, einer der integersten Menschen des deutschen Theaterbetriebs, würde öffentlich nie schlecht über Weggefährten sprechen, nicht mal über solche, unter denen er gelitten hat. Aber dass der feinsinnige Intellektuelle das durchaus machtbewusste Auftreten Langhoffs irgendwann nicht mehr mittragen wollte, hat deutliche Konsequenzen für das Theater. Es verdankt Hillje viele seiner wichtigsten Produktionen, und es verdankt ihm die Fähigkeit zur Selbstkritik, dazu, in Widersprüchen zu denken und nicht in ideologischer Borniertheit zu verhärten. Man muss abwarten, wie es ohne ihn an diesem sehr besonderen Theater weitergeht.

Eine überzeugende Antwort liefert zumindest die neue Premiere von Hakan Savas Micans "Berlin Kleistpark". Mican, ein kluger, warmherziger Geschichtenerzähler, setzt damit nach "Berlin Oranienplatz" und "Berlin Karl-Marx-Platz" (an der Neuköllner Oper) seine autobiografisch grundierte Stadterkundung fort. War der erste Teil der Trilogie eine melancholische Kleinkriminellen-Ballade und Teil zwei eine Ost-West-Liebesgeschichte, blickt Mican hier auf seine eigene Familiengeschichte. Dazu gehört die Einsamkeit des "Kofferkindes", das bei Verwandten in der Türkei bleibt, während seine Eltern, Arbeitsmigranten der ersten Generation, in Berlin Geld verdienen.

Das Stück zeigt das lebenslange Echo der Kindheit von Arbeitsmigranten

Der Abend beginnt mit der Leichtigkeit einer Screwball Comedy und einem Ehekrach zwischen dem türkischen Berliner Adem (Taner Sahintürk) und seiner israelischen Gattin Moria (Sesede Terziyan) - Anlass für jede Menge Gorki-typischer Scherze mit Klischees kultureller Identität. Weil ein Beziehungskatastrophengebiet nicht reicht, kommt Adems kranke Mutter (Cigdem Teke) aus der Türkei zu Besuch. Wenn Adem ein Alter Ego des Regisseurs ist, kann man ihm nicht vorwerfen, sich selbst übertrieben freundlich zu zeichnen: Adem behandelt die alte Frau schroff bis zur Lieblosigkeit. In einem der eingespielten Filme der Inszenierung sieht man die Mutter des Regisseurs, wie sie ratlos vor all den Teetassen mit Goldrand steht, dem Porzellanservice, das sie vor 40 Jahren bei Karstadt gekauft hat, ein ganzes Zimmer voller Teller, Teekannen, Porzellanschüsseln, angesammelt für irgendein "später", das natürlich nie kommt, und für die Kinder, die dieses goldverzierte Porzellan natürlich nicht wollen.

Die Raffinesse der berührenden Inszenierung liegt unter anderem darin, die Einsamkeit der Mutter, die Fremdheit ihres Sohnes nicht zu verkitschen, sondern genau, ratlos und nüchtern zu zeichnen und mit trockener Komik auszubalancieren. Sichtbar wird das lebenslängliche Echo der Kindheit von Arbeitsmigranten, die überfordert versuchen, sich in der Fremde zurecht zu finden. Für diese Erfahrungen der Fremdheit, der zerrissenen Biografien einen künstlerischen Ausdruck zu finden, sie im Medium von Theateraufführungen zu betrachten und festzuhalten, ist das enorme Verdienst von Shermin Langhoffs Theater. In ihm lernt man dieses Land ein bisschen besser und aus anderen Perspektiven kennen - und das ist mehr, als man über viele andere Theater sagen kann.

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