Es gibt kaum etwas Traurigeres als einen leeren Club mit guter Musik. Wobei diese Wahrheit, wie viele Wahrheiten, auch nur bis vergangene Woche galt. Jetzt gibt es sehr viel Traurigeres, und die Berliner Clubs, die geschlossen haben müssen und sich sorgen, wie sie ihre Mitarbeiter weiter bezahlen, wollen gegen den Corontäne-Blues anspielen. Sie haben sich zur Initiative "United We Stream" (unitedwestream.berlin) zusammengeschlossen und bieten in Kooperation mit Arte Concert und Radioeins seit Mittwochabend täglich von 19 Uhr an einen Live-Video-Stream aus einem der beteiligten Clubs an. Dort wechseln sich dann verschiedene DJs hinter dem Pult ab und spielen ihre Platten für eine frontal installierte Kamera, vor leerer Tanzfläche.
Dass so durchaus die Stimmung etwas steigen kann, zeigte am Mittwoch der erste Stream. Im Watergate in Kreuzberg legte Monika Kruse ihre harten, funktionalen Funky-Techno-Tracks auf und warf sich zwischendurch immer wieder mit jemandem im Raum Lacher zu. Vermutlich war es der Kameramann. Publikum war ja keines vor Ort. Vorher hatten Gheist, ein Duo aus Berlin, vermutlich etwas zu dicht nebeneinander hinter dem Pult gestanden, aber der Hit, den sie spielten, passte zur Lage: "We're Not Alone!" ging der Refrain, wir sind nicht allein! Genau das ist ja gerade die Herausforderung: Nähe und Verbundenheit mit anderen zu spüren, ohne sich physisch auf die Pelle zu rücken. Zuhause vor einem Laptop tanzend geht das vielleicht auch.

Seuchenfilme in Corona-Zeiten:Wenn das echte Grauen nicht reicht
Seuchenfilm-Klassiker wie "Outbreak" und "Contagion" haben Hochkonjunktur. Woran das liegt, wie es unser Bild von Epidemien prägt - und warum es uns hilft.
Die Berliner Clubszene steht derzeit mit ihren geschätzt 9000 Mitarbeitern (Barpersonal, Türsteher, Booker und viele mehr) sowie den unzähligen in der Stadt lebenden DJs und Produzenten vor der Herausforderung, über die Dauer der Corona-Krise nicht ihre Anziehungskraft zu verlieren, die zuletzt rund drei Millionen Touristen pro Jahr auf die Tanzflächen der Stadt lockte. Andererseits will man auch nicht den Eindruck erwecken, es gehe nur ums Weiterfeiern. Der Empfang der abendlichen Streams ist kostenfrei, aber es wird zu Spenden aufgerufen. Die Clubs - beteiligt sind unter anderem auch das Gretchen, Kater Blau und Tresor - wollen sie untereinander aufteilen, um ihre Einnahmenausfälle etwas zu kompensieren.
Wenn der Laptop-Bass nicht fett genug ist, schlägt man sich ein Kopfkissen auf den Bauch
Wenn die DJs sich abwechseln, werden dann für einige Momente Texttafeln mit den neuen Regeln in den Stream geblendet: Abstand halten, Hände waschen, über digitale Kanäle Kontakt zu den Lieben halten - man sollte das inzwischen alles wissen. Hoffentlich wird derweil im Hintergrund auch kurz das Pult desinfiziert. Dann geht es weiter.
Das reale Clubgefühl lässt sich so aber nicht wirklich digitalisieren. Profis sagen, dass es sich ohnehin erst einstellt, wenn man eine halbe Stunde vor dem Klo anstehen muss, bis eine Kabine frei wird.
Zu Hause kann man nur so Abhilfe schaffen: Sich selbst beim Tanzen mal auf den Fuß treten oder, wenn man Durst hat, sich nicht einfach ein Bier holen, sondern sich eine Viertelstunde lang auf Zehenspitzen vor den Kühlschrank stellen und sich den Barkeeper, der einen ignoriert, dazu denken. Und wenn der Laptop-Bass nicht fett genug ist, kann man sich ja im Rhythmus der Beats ein Kopfkissen auf den Unterbauch schlagen. Vielleicht wird man sich so an Home-Clubbing mit "United We Stream" schneller gewöhnen, als man dachte. Dass es nur eine Simulation ist, daran erinnern ja die Spendenaufrufe.