Süddeutsche Zeitung

Benin-Bronzen:Hamburg macht jetzt Ernst

Die Stadt gibt tatsächlich sämtliche Benin-Bronzen an Nigeria zurück. Und trauert ihnen nicht einmal nach - sondern feiert sie in einer geradezu vorbildlichen Ausstellung.

Von Jörg Häntzschel

Verwaiste Museen, Re-Nationalisierung des Menschheitserbes, Ablasshandel: Die Gegner der Restitution geraubter Kunstwerke aus Europas Kolonien prophezeien Schlimmes, wenn wirklich Ernst gemacht würde mit den Rückgaben.

Hamburg macht jetzt Ernst. Am Donnerstag kündigte Kultursenator Carsten Brosda überraschend an, das Museum am Rothenbaum (MARKK) werde im kommenden Jahr das Eigentum an sämtlichen 179 Benin-Objekten in seiner Sammlung an Nigeria übertragen. Noch im Frühjahr hatten der Bund und die Länder mit den größten Benin-Beständen lediglich "substanzielle Rückgaben" versprochen.

Doch in der "Abschiedsausstellung" (so die Formulierung von Direktorin Barbara Plankensteiner), die das Museum für seine Benin-Sammlung nun ausrichtet, ist von Rückgabeschmerz nichts zu spüren. Die kleine Schau, die unter Hochdruck organisiert wurde, um mit der politischen Entwicklung Schritt zu halten, wirkt so beschwingt und befreit wie nichts, was man in ethnologischen Museen in den letzten Jahren gesehen hat. Es ist, als sei von Kuratoren und Objekten eine tonnenschwere Last abgefallen.

Alle Bronzen stammen aus einem einzigen Raubzug der Briten -der Untergang des Benin-Reichs

Die Benin-Bronzen gelten seit ihrer "Entdeckung" als die herausragendsten Werke der afrikanischen Kunst. Zumal für Europäer, die der stilisierte Naturalismus der berühmten Gedenkköpfe an die römische und griechische Kunst der Antike denken ließ. Zu Ikonen der Restitutionsdebatte wurden sie, weil fast alle der 3000 bis 5000 Benin-Werke, die sich außerhalb Nigerias befinden - 1200 davon in deutschen Museen -, aus einem einzigen, bestens dokumentierten Raubzug stammen, dem blutigen Vergeltungsfeldzug, mit dem sich die Briten 1897 für einen Überfall auf ihre Kolonialtruppen rächten. Mit übermächtiger Gewalt nahmen sie die Hauptstadt des Benin-Reichs ein, töteten zwischen 10 000 und 50 000 Menschen und plünderten den Palast. Es war das Ende des Königreichs. Und anders als bei vielen anderen Werken aus Europas ehemaligen Kolonien fordert Nigeria, in dessen Gebiet die alte Königstadt Benin-City liegt, die Bronzen schon seit den Siebzigerjahren zurück.

Bislang haben die meisten Museen diesen Raub, wenn überhaupt, nur in verschämten Fußnoten erwähnt. Es fiel dann immer der Vernebelungsbegriff "Strafexpedition", weitere Details ersparte man sich und dem Publikum meist. Wie hätte man die Werke sonst noch zeigen können?

In Hamburg, so war zu erwarten, würde die Plünderung nun im Mittelpunkt stehen. Doch man ist dort nicht einen, sondern zwei Schritte weiter. Statt viele Bilder von den britischen Räubern in ihren Bergen von Plündergut zu zeigen, statt die Geschichte der zynischen Militäroperation zu erzählen, durchgeführt unter dem Dauerfeuer der ersten "Maxim"-Maschinengewehre, finanziert mit geraubtem Elfenbein, setzt die Ausstellung all das als bekannt und unstrittig voraus. Stattdessen konzentrieren sich die Macher auf das, was sie selbst zu zeigen haben, das, was ihnen bald nicht mehr gehört und was hier in diesem eigentlich ja abstrakten Übertragungsprozess eine verblüffende neue Relevanz und Lebendigkeit bekommt.

Dass sie die Herkunft der Stücke jetzt nicht mehr verhehlen müssen, hat die Kuratoren auch sonst zu Ehrlichkeit inspiriert. Sie hätten ja, so wie man es früher machte, eine Ausstellung mit den "Meisterwerken der Benin-Kunst" inszenieren können, sie hätten die Leute noch einmal beeindrucken können mit der überragenden Qualität, der Erhabenheit dieser Werke. Stattdessen zeigen sie alle 179 von ihnen, als machten sie Inventur, von den kunstvollen Gedenkköpfen, mit denen verstorbene Könige geehrt wurden, über die Reliefplatten, die wie dreidimensionale Comics höfische Szenen darstellen, bis zu einer angeknacksten Schale und einem rostigen Schwert. Sie treten jetzt nicht nur einen Schritt von diesen Objekten zurück, für die sie nicht mehr verantwortlich sind, sie gehen auch auf Distanz zu ihren Vorgängern und deren "Gier und Sammelwut", wie Plankensteiner es nennt. Es ist eine Ausstellung über die Kultur Benins, aber auch eine Ausstellung über die deutsche Ethnologie.

Auch Ethnologen bleiben fremde Kulturen manchmal fremd. Die Ausstellung kaschiert das nicht

Anders als viele andere Afrika-Sammlungen mit ihren Hunderten Pfeilen und ihren Dutzenden Trommeln ist die Hamburger Benin-Sammlung frei von Redundanzen. Interessant wird es vor allem an den Rändern, bei den Objekten, die man früher wohl aussortiert hätte. Da ist zum Beispiel eine große Messingschüssel, die gar nicht aus Benin stammt, sondern aus Nürnberg: Die Gießer in Benin bezogen ihren Rohstoff großenteils aus Europa, im Tausch gegen Pfeffer und gegen Sklaven.

Oder zwei etwas unbeholfen wirkende Messingkreuze, die auf die Missionierung hindeuten, für deren Symbole man sich des vertrauten Materials bediente. Und da ist der Schlüssel von einer Palasttür, der nach einem seltsam missverstandenen europäischen Vorbild geformt ist. Die Beziehungen dieser vermeintlich isolierten Kultur nach Europa und Asien waren viel enger, als man lange zugeben wollte.

Zu sehen sind nun aber auch Beispiele für die Grenzen der Ethnologie. Ein Vorgänger Barbara Plankensteiners hatte sich, wie sie erzählt, jahrelang an jener beschädigten Messingschale abgearbeitet, ohne ihren Zweck und ihre Herkunft ermitteln zu können. Ausgestellt ist sie jetzt trotzdem, als Beleg dafür, dass auch Ethnologen fremde Kulturen manchmal fremd bleiben und epistemologische Irrwege nie auszuschließen sind. Aus demselben Grund gehörten zum Kuratoren- und Forscherteam der Ausstellung auch mehrere Wissenschaftler aus Benin.

Immer wieder wurden Brosda, Plankensteiner und auch Abba Isa Tijani von der nigerianischen Museums- und Denkmalkommission bei der Ausstellungseröffnung gefragt, ob Nigeria denn alles abziehen werde, sobald es offiziell Eigentümer der Sammlung sei. "Wenn die nigerianische Seite dies wünscht, kann sie das selbstverständlich tun", antwortete Plankensteiner mit gespielter Kühle, so als hoffe sie, der kleine Schock werde dem Publikum helfen, die historische Bedeutung der Hamburger Entscheidung zu verstehen. Doch gleich darauf gab sie mit einem Lächeln an Tijani Entwarnung. Das sei sehr unwahrscheinlich. Noch habe der damit betraute Architekt David Adjaye ja nicht einmal angefangen, das geplante Museum zu bauen. Und Tijani lächelte ebenfalls. Erst mal zähle doch nur eines: Jetzt könne man wirklich zusammenarbeiten.

Benin. Geraubte Geschichte. Museum am Rothenbaum, Hamburg. Bis zur Rückführung der Sammlung Ende 2022. Der Katalog erscheint im nächsten Jahr.

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