Benediktinermönch Anselm Grün:Der Mann fürs Einfache

Deutschlands bekanntester Seelentröster, Fachmann fürs Weg-, Los- und Zulassen, ist der erfolgreichste christliche Autor weltweit: Eine Begegnung mit Anselm Grün.

Sebastian Beck

Es gibt ihn also wirklich: Im Kloster Münsterschwarzach schreitet Pater Anselm Grün den Flur entlang, einfach so, als ganz gewöhnlicher Mensch, was im ersten Moment geradezu erstaunlich wirkt. Seinem Publikum lächelt er sonst von CD-Covern und Buchdeckeln zu. Weise, glückumstrahlt und weltentrückt, als mystische Heiligengestalt mit Rauschebart und Mönchskutte.

Der irdische Teil von Anselm Grün hat gerade den 65. Geburtstag gefeiert. Es ist ein freundlicher, distanzierter, fast schüchterner Mann, der im Besucherraum des Klosters mit dem bräunlichen Filzboden sitzt und überlegt: Wie heißt sein neuestes Buch doch gleich wieder? Nein, es sind nicht die "Stationen meines Lebens". Es ist das "Große Buch vom wahren Glück", das Anfang des Jahres beim Herder-Verlag in Freiburg erschienen ist.

Man kann schon mal den Überblick verlieren nach 30 Jahren und 250 oder 300 Titeln. So genau vermag auch Anselm Grün nicht mehr zu sagen, wie viele Bücher er geschrieben hat. Die Gesamtauflage beträgt mittlerweile mehr als 16 Millionen Stück in 32 Sprachen. Er ist damit nicht nur Deutschlands bekanntester Seelentröster, Fachmann fürs einfache Leben, fürs Weg-, Los- und Zulassen, sondern auch noch der erfolgreichste christliche Autor weltweit.

Ein wahrer Glücksbringer für den Herderverlag, bei dem allein neun Millionen Exemplare erschienen sind. "Ein Wahnsinnsmensch", schwärmt eine Mitarbeiterin des Verlags über ihn. "Er sichert unsere Existenz."

Das gilt auch für das unterfränkische Benediktinerkloster Münsterschwarzach, an das er die Tantiemen abführt. Konkurrenz in der spirituellen Abteilung der Buchhandlungen machen ihm allenfalls noch der vietnamesische Zen-Mönch Thich Nath Hanh und der Esoteriker Eckhart Tolle, ein gebürtiger Dortmunder, der in Kanada lebt und sich für zutiefst erleuchtet hält.

Weil Grün als Mönch ein geregeltes Leben führt, schreibt er zweimal in der Woche an seinen Bestsellern, und zwar dienstags und donnerstags, jeweils von sechs bis acht Uhr morgens. Das sei eine Art von Meditation für ihn, sagt er. Mehr Zeit hat er nicht, schließlich ist er im Hauptberuf Verwalter des Klosters mit 163 Mönchen und 20 Wirtschaftsbetrieben. Die Mußestunden reichen auch nicht einmal ansatzweise aus, um die Nachfrage nach der Marke Grün zu decken.

Zweimal schon hat er ein Buch über Stille verfasst. Für ein drittes Buch fällt selbst ihm nichts mehr ein, obwohl Herder gerne Nachschub hätte. Er müsse schon aufpassen, dass er nicht zum Sklaven des Verlags werde, seufzt er.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Grün so erfolgreich ist.

Vom wahren Glück

Zur Zeit arbeitet er an einem Buch über die Weisheit der Natur und die Feste des Kirchenjahres. Bis Pater Anselm wieder liefern kann, bedient sich Herder gewissermaßen aus dem Stehsatz: "Das Große Buch vom wahren Glück" zum Beispiel ist ein Zusammenschnitt aus vier älteren Werken mit kurzen Texten über Dankbarkeit, Stille, Freude oder die Kraft des Augenblicks.

Auf diese Weise schafft es der Verlag, ganze Schaufensterfronten mit den Verheißungen Anselm Grüns zu tapezieren: "Aufbruch zu neuen Ufern", "Der Himmel beginnt in dir" oder "Buch der Antworten" heißen seine Titel typischerweise.

Es gibt kein Thema, das vor ihm sicher ist - sogar an einem Buch über Frauen hat er jetzt mitgeschrieben, obwohl sein Wissen übers andere Geschlecht, wenn man seinen Worten glauben darf, weitgehend theoretischer Natur ist. Mal abgesehen von der Liebe zu einer Klosterschwester in jungen Jahren wandelte Pater Anselm bisher einsam durchs Mönchsleben.

Wer aber wissen will, warum Anselm Grün so erfolgreich ist, der sollte ihn erst als Redner hören, bevor er eines seiner Bücher liest, die man allzu leicht als trivial abtun könnte. Der rastlose Benediktiner hält nebenbei auch noch 150 Vorträge im Jahr über Management, Rituale oder auch den "Achtfachen Pfad zum gelingenden Leben". An einem Freitag spricht er vor knapp 1000 Landfrauen im bayerischen Friedberg. Anselm Grün steigt ohne Manuskript auf die Bühne und kommt sofort zur Sache: "Wie gehen wir mit zerbrochenen Lebensträumen um? Was wollten wir als Kind einmal werden?" Es wird augenblicklich still im Saal, und eine Stunde lang sind weder ein Hüsteln noch ein Flüstern zu hören.

Seine Zuhörer, meist Bäuerinnen im mittleren Alter, starren auf ihre Kaffeetassen, als Anselm Grün seine Anekdoten vom alltäglichen Unglück erzählt: von Pfarrern, Autohändlern, Hausfrauen und Managern, die sich irgendwie in ihrem Leben verlaufen haben und den richtigen Weg suchen. Von Menschen, die an der Durchschnittlichkeit ihrer Existenz verzweifeln. All das erzählt er ohne rhetorische Kunstgriffe, dafür aber umso eindringlicher.

Schwer verdaulich

Das Wort Gott fällt zum ersten Mal nach genau einer halben Stunde - in einem eher ungewöhnlichen Zusammenhang: Der Mensch müsse seine Vorstellungen vom Leben und von Gott zerbrechen lassen, damit er nicht selbst zerbrochen werde, sagt Grün. Das ist eine ziemlich schwer verdauliche Botschaft für einen Vormittag in der Dreifachturnhalle.

Aber gerade damit zieht er das Publikum in seinen Bann: Denn er spricht nicht als Vertreter der katholischen Kirche, der sich anmaßt, über Gut und Böse zu befinden. Er predigt nicht, er will auch nicht missionieren. Vielmehr wirkt er wie eine Art spiritueller Psychotherapeut. "Trauen Sie der Essenz Ihres Lebenstraumes, dann werden Sie zum Segen für andere", schließt Grün. Danach verschwindet er in seinem weißen VW Golf so schnell, wie er gekommen war - am Abend referiert er in Hamburg über "Lebenskunst für hier und jetzt".

Genau damit hat auch er selbst immer wieder Schwierigkeiten gehabt, das gibt er offen zu. Bei allem, was er verkündet, wirkt er stets auch eine Spur zweiflerisch und unsicher.

Erst das Elternhaus in Bayern, dann das Internat und seit 1964 das Benediktinerkloster, das sind die Welten des Anselm Grün. Das Leben sei stets ein Versuch, der mal mehr oder weniger gut gelinge, hat er über sich geschrieben. In seinen jungen Jahren machte er schwere Krisen durch. Geradezu quälend fällt in seiner Autobiographie das Kapitel über Ehelosigkeit aus, in dem er sich über den Unterschied zwischen spiritueller und genitaler Sexualität ergeht und über die Zweifel an seinem Leben als Mönch. Trotzdem hat er sich immer wieder für den Zölibat und das Kloster entschieden, auch aus der Angst heraus, "zu verbürgerlichen", wie er es formuliert.

Verstehen, nicht beurteilen

In den siebziger Jahren begann für ihn die Auseinandersetzung mit Zen-Buddhismus und Psychologie. Seitdem hat sich Anselm Grün immer weiter vom katholischen Dogmatismus entfernt: Die Menschen wollten verstanden, aber nicht beurteilt werden, sagt er. Womöglich ist das der eigentliche Grund, warum die Säle immer voll sind, egal wo er auftritt: Während der Vatikan mit den reaktionären Piusbrüdern darüber streitet, ob man nur dann in den Himmel kommt, wenn man auf Lateinisch betet, schreibt und spricht Grün über Lebensträume und Ehekrisen. Der Skandal um den Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen hat ihn bisher kaum berührt. Bei seinen Vorträgen werde er nur selten danach gefragt, sagt Grün.

Er sei ohnehin gegen den Pflichtzölibat und verstehe die Enttäuschung der Menschen, zumal die Kirche Sexualität immer moralisiert habe. Andererseits finde Missbrauch zu 90 Prozent in den Familien statt, weshalb es nichts bringen werde, die Kirche als Sündenbock zu schlachten. Mehr will er dazu nicht sagen, und mehr will sein Publikum anscheinend auch nicht wissen.

Es sind andere Themen, auf die er immer wieder angesprochen wird: Die Menschen leiden unter Ängsten und Depressionen - egal, ob sie nun im areligiösen Ostdeutschland leben oder sich als Pfarrer zur Therapie ins Kloster Münsterschwarzach geflüchtet haben. Ihnen versucht Grün zu vermitteln, dass der Weg zum Glück damit beginnt, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren. Denn die Ansprüche der Menschen an sich selbst und das Leben seien maßlos geworden, glaubt er.

Eitelkeit und Versagensängste

Die Kirche könnte mehr Männer und Frauen wie ihn gebrauchen, das weiß auch Anselm Grün, obwohl er es nie offen zugeben würde. Hinter seiner demonstrativen Bescheidenheit verbergen sich durchaus Eitelkeit und Versagensängste. Weil er älter wird, hat er eben mal ein Buch übers Älterwerden geschrieben: So genau weiß auch er nicht, wie er mit dem näherrückenden Tod und dem unvermeidlichen Loslassen des Lebens umgehen soll.

"Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn in zehn Jahren keiner mehr zu meinen Vorträgen kommt", beschreibt er eine seiner Urängste. Wenn es ihm womöglich gehen könnte wie dem Theologen Eugen Drewermann, der in den achtziger Jahren auf dem Höhepunkt des Erfolgs war, aber längst von den Sälen in die Nebenzimmer umgezogen ist.

Anselm Grün ist eben auch nur ein ganz normaler Mensch. Er weiß nicht, was das Alter bringen wird; er fürchtet nur, es könnte schmerzhaft sein. Vorerst aber schreibt und spricht er weiter übers gelingende Leben.

Im Grunde genommen, sagt er, versuche er doch nur seine eigenen Fragen zu beantworten. Lyon, Gerhardshofen, Mexiko, Rosenheim, Peru, dazwischen ein paar Bücher mehr übers einfache Leben - so geht das ohne Pause weiter bis zum 8. Dezember, wenn in Münsterschwarzach dann sein letztes Seminar für dieses Jahr beginnt. Es trägt den Titel: Wege ins Schweigen.

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