Ben Affleck im Interview:"Hollywood ist voller Idioten und Irrer"

Ben Affleck spricht über den Unterschied zwischen Brüdern und Freunden, effektive Exekution durch die Presse, Alkoholismus und sein Regie-Debüt "Gone Baby Gone".

Interview: Harald Hordych

Ben Affleck sitzt in einem kleinen Salon des Hotels "Bayerischer Hof" in München, schaut müde und kurz auf, wer da wohl kommt. Affleck begann seine Karriere mit einem Oscar, den er mit Matt Damon für das Script zu "Good Will Hunting" bekam. Danach rettete er als Schauspieler mehrmals die Welt, nicht immer zum Vorteil seines Rufs. Jetzt hat Affleck als Regisseur seinen ersten Film gemacht - einen sozialkritischen Thriller. Der Mann sieht aus wie in seinen besten Filmen: smart, sympathisch, kein Superheld, ein Kerl mit Dreitagebart, der bei jeder Frage um die Antwort ringt.

Ben Affleck im Interview: Ben Affleck am 1. November in New York.

Ben Affleck am 1. November in New York.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Mister Affleck, erinnern Sie sich noch an die Namen der zwölf Brüder von Will Hunting?

Ben Affleck: Moment, wie war das? - Nein. Natürlich erinnere ich mich nicht mehr an Will Huntings zwölf Brüder.

SZ: Die zwölf Brüder, die Will in "Good Will Hunting" aufzählt und für den sie beide das Script geschrieben haben, waren die Vornamen Ihrer Lieblingsregisseure. Oder stimmt das nicht?

Affleck: Um Gottes willen, ja. Aber ich weiß sie nicht mehr. Wissen Sie sie noch?

SZ: Nein. Aber ich habe sie mir aufgeschrieben: Marky, Ricky, Danny,...

Affleck: Darf ich den Zettel mal sehen?

SZ: Gern.

Affleck: Das ist... Marky, Ricky, Danny, Terry, Mikey, Davey, Timmy, Tommy, Joey, Robby, Jonny, Brian. Yeah! Soll das hier Attenborough heißen?

SZ: Ja. Ricky ist Richard Attenborough.

Affleck: Ich danke Ihnen sehr. Sehr gut. Danny Boyle! Sehr gut! Terry Gilliam, mit dem Mann habe ich einen Film gemacht. (Er zeigt auf den Zettel) Das ist historisch. Mein Gott! Brian De Palma. Fincher.

SZ: Wer von denen ist jetzt, zehn Jahre später, immer noch ein Vorbild für Sie?

Affleck: Robert.

SZ: Warum?

Affleck: Redford ist brillant. Er ist ein guter Schauspieler und ein brillanter Regisseur. Wissen Sie, sehr viel von "Good Will Hunting" haben wir von Redfords "Ordinary People" - tja, wie soll ich mich ausdrücken? Wie nennt man eine Mischung aus Vorbild und etwas, das man plündert?

SZ: Schwer zu sagen...

Affleck: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir haben uns viel geborgt von "Ordinary People", als wir "Good Will Hunting" gemacht haben. Das war ein erstaunlicher Film - und er ist es noch immer.

SZ: Was ist der Unterschied zwischen einem Freund und einem Bruder?

Affleck: Ein Bruder hat keine andere Wahl, als Ihnen nahe zu sein und Ihnen beizustehen. Sein ganzes Leben lang.

SZ: Und der Freund?

Affleck: Der Freund hatte die Wahl, Sie nicht zu wählen. Gut, wer von sich sagen kann, beides zu haben: Brüder und Freunde.

SZ: Ein Freund, heißt es in "Good Will Hunting", hält einem kritisch den Spiegel vor, ein Bruder stürzt sich für einen vom Balkon. Ihr Bruder Casey spielt die Hauptrolle in Ihrem Film. Haben Sie ihn wie einen Freund behandelt?

Affleck: Casey ist mein jüngerer Bruder und mein Freund. Als Regisseur musste ich beide Paradigmen erfüllen. Ich musste dafür sorgen, dass er in diesem Film gut funktioniert und daher musste er ein paar Sachen lernen. Man muss manchmal mit großer Distanz die Dinge betrachten. Nur so kann ein guter Film entstehen.

SZ: Sie haben in jedem Film mit Matt Damon seinen Freund gespielt.

Affleck: Ich war der Freund vieler Leute. Das ist ein ganz typisches Rollenbild von mir.

SZ: Mögen Sie die Vorstellung?

Affleck: Eigentlich schon. Aber Sie haben das jetzt sehr hervorgehoben. Vielleicht hat sich das mit dem Freundschaftsding von Matt und mir auch totgelaufen.

SZ: Im letzten Jahr haben Sie in "Hollywoodland" den Superman-Darsteller George Reeves gespielt. Reeves ist auch der Typ, den gerne alle als Freund hätten: freundlich, stark, gutaussehend, fair.

Affleck: Genau das ist Reeves, und so ist wirklich die Idee, die jeder von einem guten Freund hat. Und weiter?

Auf der nächsten Seite hagelt es Goldene Himbeeren.

"Hollywood ist voller Idioten und Irrer"

SZ: Reeves scheiterte kläglich. Haben Sie damit auch Ihr eigenes Rollenbild zerstört?

Ben Affleck im Interview: Casey Affleck am 4. November in Hollywood.

Casey Affleck am 4. November in Hollywood.

(Foto: Foto: Reuters)

Affleck: Weil dieser George Reeves Superman im Fernsehen war?

SZ: Weil Sie einen Mann spielten, der nicht damit klarkam, immer der Kerl zu sein, den alle Kinder und alle Erwachsenen mögen.

Affleck: George Reeves mochte die Rolle nicht, weil seine wahren Ambitionen sich nicht erfüllten, und er darauf festgelegt blieb. Weil er nicht mehr aus der Sache herauskam, Superman zu sein.

SZ: Sie waren doch oft genug selbst eine Art Superman. In Blockbustern wie Armageddon, Der Anschlag, Daredevil. Hatten Sie nicht irgendwann genug davon?

Affleck: Das ist nicht der Punkt. Man hat ja nicht das Ziel: Jetzt mache ich nur noch Blockbuster. Es war eine andere Zeit in meinem Leben. Es musste vorwärtsgehen. Und natürlich war es schon eine Art von Karriere, aber was ich vor allem wollte, war: mich ausprobieren. Ich konnte sie machen, und ich habe es gemacht. Was nicht heißt, dass ich es heute auch noch tun würde. Das ist alles.

SZ: Dann kam das furchtbare Jahr 2003. Sie bekamen zwei Goldene Himbeeren auf einen Schlag! Als schlechtester Hauptdarsteller in gleich drei Filmen und mit Jennifer Lopez als schlechtestes Paar. Hätten Sie sich damals am liebsten versteckt?

Affleck: Wissen Sie, ich habe überhaupt nie darüber nachgedacht. Dieser Preis hat in Wirklichkeit nichts mit Schauspielerei zu tun. Es hat nur etwas mit den Medien zu tun. Ich war immer derselbe Schauspieler. Und ich war immer derselbe Mann.

SZ: Aber die Rollen waren andere. Der Gangster Gigli war auf seine Weise ein übler Bursche. Vielleicht können Sie einfach keinen bösen Menschen spielen?

Affleck: Der Film hat wirklich nicht funktioniert, absolut richtig. Aber Sie müssen das Ganze unter dem Gesichtspunkt betrachten, welche Bedeutung ein Film hat: Wie viele Filme kommen jedes Jahr heraus, die nicht gut sind? Sehr viele!

SZ: Wohl wahr.

Affleck: Diese Filme kommen in die Kinos und verschwinden nach einer Woche wieder, ohne dass irgendjemand noch ein Wort darüber verliert. "Gigli" aber wurde ein berühmter schlechter Film. Und das hatte sehr viel mit den Medien zu tun.

SZ: Warum? Wegen Ihrer Ex-Verlobten Jennifer Lopez und Ihnen?

Affleck: Wie auch immer. Abgesehen von der Tatsache, ob dieser Film nun schlecht oder gut war, waren die Bedingungen ideal für eine effektive Exekution durch die Presse. Ansonsten war es einfach ein Film, der sein Konzept verloren hat. Die Schauspieler waren nicht wirklich furchtbar. Die Kamera war okay. Wissen Sie, was ich glaube? "Gigli" war ein ganz normaler schlechter Film. Mehr nicht.

SZ: Der Ihrer Karriere nicht geschadet hat?

Affleck: Doch das hat er.

SZ: Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?

Affleck: Sicher.

SZ: Sie waren mal alkoholabhängig - allerdings in der Zeit, in der Sie sehr erfolgreich waren. Das ist doch seltsam, oder?

Affleck: Ja, das war 2001, damals bin ich in eine Entzugsklinik gegangen...Ich werde dazu Folgendes sagen: Wissen Sie... manchmal...Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll - sorry.

SZ: Ich musste nur an einen Satz von Robert Mitchum denken: In Hollywood trinken alle. Diejenigen, die keinen Erfolg haben, trinken viel. Aber diejenigen, die Erfolg haben, trinken noch mehr.

Affleck: Au, Mann!

SZ: Ich musste daran denken, dass Sie einmal zum "sexiest man alive" gewählt worden sind. Klingt toll, aber ich glaube, es ist nicht leicht, so etwas zu sein, oder?

Affleck: Es gibt tatsächlich etwas, was diesen Effekt auslösen kann. Wenn Sie in dieses Business reinkämen, würden Sie Leute sehen, die sich großartig amüsieren und berühmt sind, aber auch jede Menge rückständige Narren und solche tausendmal durchgespielten Dinge. Irgendwie ist es am Ende tatsächlich so: Hollywood ist voller Idioten und Irrer.

SZ: Und was bedeutete das für Sie?

Affleck: Es gibt kein Training, das dich darauf vorbereitet. Und das, obwohl es ein extremer Stress für die Psyche ist, diesen Wechsel durchzustehen. Hollywood ist wie eine Hochdruckkammer für die Psyche. Es ist, als ob du 100 Meter tief unter Wasser geschossen wirst, und zwar in 0,5Sekunden. Die verrücktesten Dinge passieren, und du brauchst eine Weile, um damit klarzukommen - und Hilfe, um das zu schaffen. Du brauchst ein gutes Elternhaus und Menschen um dich herum, die smart sind und dir gute Ratschläge geben. Hollywood ist wirklich voller Schlangen. Und es ist eine sehr knifflige Sache mitanzusehen, wie Leute dort verrückt werden.

Auf der nächsten Seite landet Ben Afflecks neuer Film auf dem Index.

"Hollywood ist voller Idioten und Irrer"

Ben Affleck im Interview: Ben Affleck und Matt Damon mit ihrem Drehbuch-Oscar 1998.

Ben Affleck und Matt Damon mit ihrem Drehbuch-Oscar 1998.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Sie und Damon hatten mit dem Script für "Good Will Hunting" einen Riesenerfolg. Warum haben Sie danach kein neues geschrieben?

Affleck: Weil wir damit beschäftigt waren, in anderen Filmen mitzuspielen. Und ein Drehbuch zu schreiben, erfordert sehr viel Zeit. Wir haben jetzt für "Gone Baby Gone" zwei Jahre gebraucht. Dabei hatten wir sogar eine Buchvorlage.

SZ: Sie haben in großen Hollywoodproduktionen gespielt und in Independent-Produktionen. Was können die kleinen von den großen Filmen lernen?

Affleck: Was Blockbuster immer haben, sind hervorragende Schauspieler. Und vor einiger Zeit hätte ich noch gesagt, dass die kleinen vom Tempo der großen Filme lernen können. Aber heute habe ich den Eindruck, dass die Blockbuster viel eher Tempo vom Independent-Kino lernen können. Auch was den Punkt Disziplin angeht. Blockbuster sind heute drei, vier Stunden lang. Entscheidend ist die Kreativität, die in einem Film steckt, und die Aufrichtigkeit, auf der er beruht. Das ist das, was ich wirklich an "Gone Baby Gone" mag.

SZ: Da kann ich nur zustimmen.

Affleck: Das, was einen Film wirklich gut macht, auch wenn er ein Blockbuster ist, ist die Frage, ob er eine Seele hat - und ob er auf einer guten Idee beruht.

SZ: Gewalt spielt in amerikanischen Filmen eine sehr große Rolle, auch bei Regisseuren wie Tarantino, Scorsese, Stone...

Affleck: Nehmen Sie allein Peckinpah oder die ganze Westerntradition. Natürlich.

SZ: Ist Amerika ein gewalttätiges Land? Gewalttätiger als andere?

Affleck: Amerika war sicher in bestimmten Phasen seiner Geschichte gewalttätiger als Europa. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Gewalt, die in uns steckt, abbauen, wenn wir diese Filme anschauen, oder ob wir uns dadurch noch mehr stimulieren.

SZ: Hat es nicht von beidem etwas?

Affleck: Wer weiß. Wenn man Werke von wirklich großen Regisseuren sieht, wie denen, die Sie gerade erwähnt haben, dann denke ich immer, es ist immer gut, weil die Gewalt inhaltlich konsequent dargestellt wird. Natürlich langweile ich mich bei Filmen, die eine Gewalttätigkeit an die andere reihen, ohne dass das einen Sinn ergäbe oder ohne dass man das Gefühl hat, das könnte in der Wirklichkeit passieren. Wenn Kinder das sehen, sind sie zu Tode erschreckt. Allerdings sind sie das auch bei guten Filmen, die Gewalt zeigen.

SZ: "Gone Baby Gone" ist ebenfalls auf dem Index gelandet.

Affleck: Natürlich. Diesen Film dürften Kinder nie sehen.

SZ: Warum spielt Gewalt auch in Ihrem Film eine so wichtige Rolle?

Affleck: Weil sie notwendig ist, um zu verstehen, worum es geht. Es geht um eine moralische Entscheidung, die dieser Bursche treffen muss, und sie beruht zum Teil auf der Gewalt, die wirklich geschieht. Er ist isoliert, umgeben von dieser Gewalt. Wenn man das nicht zeigt, versteht man den Wandel seines Charakters nicht. Es ist, wie es ist.

SZ: Vordergründig geht es um Kindesentführung und Kindesmissbrauch. Aber die Darstellung der verwahrlosten Welt der Mutter ist extrem. Warum?

Affleck: Dieser Film ist mehr als eine normale Homekidnapping-Geschichte. Im Kern dieses Films geht es um die Bedingungen, unter denen viele Kinder in unserer Nachbarschaft aufwachsen, Kinder, denen es bei ihren Eltern nicht gutgeht, und um die sich niemand kümmert. Deshalb sehen die Leute so aus, wie sie aussehen. Man hat mir vorgeworfen, eine Freakshow gedreht zu haben. Aber so sieht es in bestimmten Gegenden in jeder Stadt der USA aus, wenn sie dort hinfahren und die Menschen fotografieren. Das ist nicht Film, das ist Realität.

SZ: Sie haben in Boston gedreht, Ihrer Heimat. Und wieder war es - wie in "Good Will Hunting" - eine arme Gegend, in der Sie gedreht haben. Damals Southend. Diesmal Dorchester.

Affleck: Ich mag es, auf mein eigenes Erleben zurückzugreifen. Das ist mein Material. Es war, wie noch einmal ganz von vorne anzufangen.

SZ: Es sind arme Menschen, die dort leben. Was verbindet Sie mit ihnen?

Affleck: Viele sind arm und viele müssen hart kämpfen. Es ist der Kampf einer Gemeinschaft, der mich schon immer sehr berührt hat. Ich glaube an die Idee, dass es Menschen gibt, die, weil sie gegen wirklich schwierige Umstände ankämpfen müssen, gebrochen sind, oder an Leib und Seele beschädigt, dass diese Menschen es trotzdem hinkriegen, ihre Würde zu bewahren!

SZ: Fühlen Sie sich als einer von ihnen?

Affleck: Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich mich mit ihnen auf eine Stufe des Lebenskampfes stellen will. Das nicht. Aber ich will ihnen helfen, weil mich das alles definitv an zu Hause erinnert und ich eine Verbundheit mit diesen Menschen fühle. Darum wusste ich, als ich beschloss, diesen Film zu machen, wohin ich zu gehen habe. Und dass diese Menschen es sein werden, die ich fotografieren will.

SZ: Meine letzte Frage, Mr. Affleck, gilt Ihren Fähigkeiten als gefürchteter Imitator Ihrer Schauspielkollegen. ..

Affleck: Ja, ich kann das ganz gut. Aber ich weiß nicht, ob es auf Deutsch funktioniert.

SZ: Auf jedem Set suchen Sie sich einen Ihrer Co-Stars aus, den Sie nach Drehschluss imitieren. Wen hatten Sie diesmal ausgewählt? Wieder Morgan Freeman?

Affleck: Morgan kann ich ganz gut. Aber nach einem so langen Interview würde ich auch Sie ganz gut hinkriegen.

Ben Affleck, amerikanischer Schauspieler und Regisseur, 35, wuchs in Cambridge, Massachusetts, auf. Schon als Schüler wollte er Schauspieler werden. Der Sohn einer Lehrerin und eines Sozialarbeiters ging nach der Highschool mit seinem Schulfreund Matt Damon nach Hollywood, wo er sich zunächst im Independent-Kino durchschlug. Nach dem Erfolg von "Good Will Hunting", in dem Damon die Hauptrolle übernahm und Affleck die Rolle des besten Freundes, spielte er in zahlreichen Großproduktionen Hauptrollen, so in "Armageddon", "Pearl Harbor", "Der Anschlag" und "Daredevil" sowie in romantischen Publikumsfilmen wie "Bounce" und "Auf die stürmische Art". Den Darsteller-Preis der Filmfestspiele Venedig erhielt er 2006 für seine Rolle als Superman-Darsteller George Reeves in "Hollywoodland". Aufsehen erregten seine Beziehungen mit Gwyneth Paltrow, Jennifer Lopez und seiner heutigen Ehefrau Jennifer Garner, mit der er eine kleine Tochter hat. Sein erster als Regisseur verantworteter Film "Gone Baby Gone"kommt am 29. November in die deutschen Kinos.

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