Belletristik:Ein Monster in Tudorrot

Inger-Maria Mahlke

Autorin mit unerbittlichem Blick auf die Bruchstellen des Seins: Inger-Maria Mahlke.

(Foto: Sibylle Baier/Berlin Verlag)

Inger-Maria Mahlkes Roman "Wie Ihr wollt" schildert ein Frauenschicksal trotziger Selbstbehauptung in der Elisabethanischen Epoche.

Von Dana Buchzik

Thomas Hettches Blurb auf dem Rücken von Inger-Maria Mahlkes neuem Roman kann kaum überraschen: Zwischen Hettches jüngstem Werk "Pfaueninsel" und "Wie Ihr wollt" lassen sich einige Gemeinsamkeiten ausmachen. Beide erzählen kammerspielartig fiktionalisierte Lebensgeschichten von kleinwüchsigen Adeligen, beide werfen die drängende Frage auf, wie sich die eigene Würde bewahren lässt, wenn man zeitlebens schweren Ungerechtigkeiten ausgeliefert ist. Während "Pfaueninsel" sich um die Zwergin Marie, angelehnt an das im 19. Jahrhundert lebende Schlossfräulein Maria Strakon, dreht und auf der nur anderthalb Kilometer Meter breiten Pfaueninsel in der Havel spielt, begleitet Mahlkes Roman das Leben der kleinwüchsigen Adeligen Mary Grey, einer Enkelin Mary Tudors, im England des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Erzählkunst der 37-jährigen Berliner Autorin ist geprägt von Unversöhnlichkeit

Mary ist aufgrund einer heimlichen Eheschließung bei Königin Elizabeth I. in Ungnade gefallen und zur Gefangenschaft verurteilt worden. Sir Thomas Gresham und dessen Frau wurden zur Aufsicht erklärt und beherbergen Mary missmutig in ihrem Anwesen in Bishopsgate, in einem heruntergekommenen Raum im ersten Stock: die Vorhänge mottenzerfressen, die spärlichen Möbel marode, und mindestens einmal täglich baut sich Greshams "Alte" vor der verschlossenen Tür auf, um ihren Hass herauszuschreien: Totschlagen solle man das Monster, heißt es, in einen Sack stecken und in den Fluss werfen; mit dem Teufel sei es im Bunde. Würde Mary die Tür öffnen, die Alte müsste auf die Knie fallen; trotz aller Verdammnis bleibt Mary die Cousine der Königin. Die 26-Jährige aber verbarrikadiert sich hinter verschlossener Tür und vertreibt sich die Tage damit, ihre duldsame Zofe Ellen zu schikanieren und etwaige Erfolge in ihrem Journal festzuhalten: "Hab den Schuhkrieg gewonnen. . . Hab still gehalten, gewartet, bis ihre Finger dicht an meinem Knöchel waren, ehe ich ihn hochzog, auf den Stuhl. Sie hat meine Wade gepackt, versucht, den Fuß wieder unter den Tisch zu zerren, ich hab nach ihr getreten. Ellen wollte ausweichen, ist mit dem Kopf gegen die Tischplatte gestoßen. So fest, dass der Krug umgekippt ist, selbst schuld, sie hat ihn nach dem Frühstück nicht abgeräumt."

Die fromme Ellen ist der einzige verbliebene Mensch im englischen Königreich, der Mary Grey rund um die Uhr Gehorsam schuldet - und dafür muss sie büßen. Mary tritt ihre Zofe, wenn sie etwas will, bewirft sie mit schweren Büchern oder scharfkantigen Bürsten, beißt und kratzt, sobald etwas nicht nach ihrem Willen geht - bei einem Leben in Gefangenschaft ein Dauerzustand. Marys Inneres ist ganz Zorn, ganz Missgunst; sie fühlt sich vom Schicksal betrogen, das ihr, einer Adeligen, ein Leben bei Hofe vorenthält. Wenn sie nicht ihre Verwandten und allen voran die Königin verdammt, giert sie in ihren Träumen nach Macht: "Glück zu gewähren oder nicht, wie es einem beliebt, nützlich erscheint. Jeden Tag zu sehen, wie alle danach lechzen und deine Füße waschen und lechzen und den Toilettenstuhl leeren und lechzen und stotternd Bericht erstatten über ihre Aufträge und lechzen. Um Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten bitten, deine Unterschrift, dein in Wachs gedrücktes Siegel. Und lechzen."

Inger-Maria Mahlkes Romane sind von erzählerischer Unversöhnlichkeit geprägt, von einem unerbittlichen Blick auf die Bruchstellen und Abgründe menschlichen Seins, von Protagonisten, die fast schon schmerzlich unsympathisch sind. Auch in ihrem vorangegangenen Roman "Rechnung offen" arbeitete die Autorin mit einem Kammerspielsetting (die Handlung spielt fast durchweg in einem Neuköllner Mietshaus) und disparaten Erzählsträngen. In ihrem dritten Buch aber scheint sie sich nun von jeder konventionellen Erzählhaltung verabschieden zu wollen: Die fragmentarisch-abgehackten Journaleinträge, in denen eine gehässig-bittere Protagonistin von einem Leben ohne Hoffnung berichtet und von ihren unablässigen Versuchen, ihr Umfeld mit ins Elend zu stürzen, sind eine schwer aushaltbare Lektüre.

Das Tagebuch der Protagonistin wird zur Ersatzbühne für die Rolle, die man ihr vorenthält

Inger-Maria Mahlke schickt ihre Protagonistin und deren Bedienstete immer wieder über den gleichen Erzählparcours: Mary sucht Streit mit Ellen, wird handgreiflich und beschwert sich dann im Tagebuch darüber, dass ihre Bedienstete nicht nur ein Ärgernis, sondern plötzlich so verstockt und wortkarg sei; eine Endlosschleife der Grausamkeit und des verhärmten Selbstmitleids. Lichtblicke bietet dagegen der zweite Erzählstrang: Mary Grey entscheidet sich, nicht nur ihre ereignisarmen Tage zu protokollieren, sondern rückschauend ihr Leben und das ihrer Familie aufzuschreiben, eine Grey'sche Chronik, die zum Zeitdokument wird, einem Porträt der Herrschaftsperiode des Hauses Tudor. Hier kommt Mahlkes trockener Erzählton am besten zur Geltung: Achselzuckend erklärt Mary, wie Mary Tudors Thronaussichten dadurch gestärkt wurden, dass ihre Schwägerin "fünfmal nichts, was länger als ein Jahr lebte", geboren hatte. Dass im Geburtenwettlauf unter Adeligen auch verstopfungsinduzierte Blähbäuche schnell zur Schwangerschaft erklärt werden und wirklich artige Königsgattinnen sich durch einen Tod im Kindbett hervortun. Dass der Gang zum Schafott sich möglichst früh anbietet ("Ist man jung, geht es schneller. . . Der Kopf sitzt noch nicht so fest auf dem Rumpf, Muskeln, Sehnen, Bänder, alles teilt sich mit einem trockenen Hühnerknochengeräusch") und dass der Versuch, sich die Haare tudorrot, königinnenrot zu färben, zwar für ein neues Lebensgefühl sorgen kann, jedoch nicht unbedingt für das gewünschte: "Zu hell, zu dunkel, grünlich, als wären sie verbrannt, manchmal fielen ganze Strähnen aus. hinterließen nässende Stellen, die Kopfhaut schuppte, und ein Ausschlag säumte den Haaransatz, den die Schminke nur unzureichend überdeckte."

Der zweite Erzählstrang überzeugt nicht nur durch seinen bitterbösen, herrlich unschwülstigen Blick auf die Herrschaft des Hauses Tudor, sondern zeigt auch, dass es nicht der Gefangenschaft bedurfte, um Mary Grey zur Ausgestoßenen zu machen. Ihre Mutter wandte sich aus Enttäuschung, dass sie keinen Sohn geboren hatte, schon nach der Geburt von ihrer Tochter ab, ihr Vater richtete zeit seines Lebens kein einziges Wort an sein kleinwüchsiges Kind, und ihre Schwestern missbrauchten sie für sadistische Spielchen. Das Tableau ihrer Familie verleiht Mary Plastizität. Ihre Chronik stellt sich als verzweifelter Versuch heraus, etwas Bleibendes zu schaffen, sich einen Platz in der Welt zu erkämpfen: Wenn niemand anderes von ihr erzählen will, muss sie das eben selbst übernehmen. Dabei muss sie jedoch feststellen, dass ihr die Ablehnung, die ihr selbst engste Verwandte entgegenbringen, unentrinnbar eingeschrieben ist.

Die 37-jährige Inger-Maria Mahlke legt mit "Wie Ihr wollt" einen fragmentarischen Roman vor, der dem Leser die starke Parfümierung so mancher Historienromane erspart, mit seinem spröden Ton und seiner in innerer Stagnation verhafteten Protagonistin jedoch mitunter den Blick auf den Abgrund verstellt, um den der Roman eigentlich kreist: Die beängstigende Vorstellung, dass eine Existenz schon von Anfang an die Unmöglichkeit eines glücklichen Lebens in sich trägt.

Inger-Maria Mahlke: Wie Ihr wollt. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2015. 272 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: