Belästigung im Klassikbetrieb:Klarheit bitte

Mittlerweile werfen 20 Frauen dem Sänger Placido Domingo vor, sie sexuell belästigt zu haben. Der lässt weiterhin dementieren. Wirklich geklärt werden können die gravierenden Vorwürfe nur vor Gericht.

Von Reinhard J. Brembeck

Der grundlose Verdacht", singt Giuseppe Verdis Opernheld Otello, "nützt gar nichts. Vor dem Zweifel die Untersuchung, nach dem Zweifel der Beweis, nach dem Beweis ... " Plácido Domingo ist als Otello in den Siebzigerjahren als Tenor weltberühmt geworden. Mittlerweile schafft der 78-jährige Sänger von seinen abnehmenden Stimmkräften her zwar nur noch Baritonpartien, er füllt aber noch immer die Säle und Hallen und dirigiert auch.

Jetzt steht er selbst unter Verdacht. Mittlerweile erheben 20 Frauen Vorwürfe, von ihm sexuell belästigt worden zu sein, die Nachrichtenagentur AP hat sie publik gemacht. Die ersten Vorwürfe wurde Mitte August laut, Domingo hat sie damals zurückgewiesen: "Die Anschuldigungen dieser ungenannten Personen, die bis zu dreißig Jahre zurückliegen, sind zutiefst beunruhigend und - so wie sie dargestellt werden - unzutreffend." Er hat aber eingeschränkt: "Ich habe geglaubt, dass all meine Handlungen und Beziehungen immer gewünscht und einvernehmlich waren." Die neuen Vorwürfe jetzt nannte seine Sprecherin unzutreffend, sie sprach von "unethisch" und "Kampagne".

Der Verdacht ist nun also in der Welt, Untersuchungen und Beweis stehen noch aus. Aber alle, die mit Domingo zu tun haben - Intendanten, Orchester, Opernhäuser, Publikum - müssen Haltung beziehen: Ob sie Domingo glauben oder den Frauen, ob ihnen die Kunst wichtiger ist oder die Moral. Das Publikum in Salzburg hat Domingo im August ostentativ bejubelt. Die Festspiele haben an dem Sänger genauso festgehalten, wie es die Wiener Staatsoper oder die Hamburger Elbphilharmonie tun. Das Philadelphia Orchestra und die Oper in San Francisco sagten dagegen Domingo-Auftritte ab. Die Oper von Los Angeles, die Domingo seit 2003 leitet, kündigte eigene Ermittlungen an, die auch die New Yorker Met abwarten will, bevor sie darüber entscheidet, ob Domingo wie geplant in Verdis "Macbeth" und Giacomo Puccinis "Madama Butterfly" auftreten wird.

Das Dilemma, in dem sich die sich so gern unpolitisch und weltfern gebende, weil nur dem Erhabenen verpflichtete Klassikwelt und einer ihrer wichtigsten Superstars befinden, ist unübersehbar. Auch dass sich einige berühmte Sängerinnen mit Domingo solidarisiert haben, weil er sich ihnen gegenüber immer korrekt verhalten habe, besagt rein gar nichts. Erstens könnte er auch ein Gelegenheitstäter sein, und zweitens werden Übergriffe durch hierarchische Ordnungen begünstigt, die die Klassikszene nach wie vor übermäßig stark dominieren.

Dass Intendanten auf Vorwürfe hin keine Aufführungen absagen wollen, ist verständlich. Erstens gilt die Unschuldsvermutung, zweitens kosten Absagen viel Geld. Verständlich auch, dass nach solchen Vorwürfen gelegentlich still und heimlich Lösungen an der Öffentlichkeit vorbei ausgehandelt werden. So zwischen dem Dirigenten Daniele Gatti und dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, das ihn nach Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe fristlos entließ. Solche Übereinkünfte sind aber höchst unbefriedigend, grenzen sie doch an Mauscheleien.

Wenn solche Vorwürfe erhoben werden, müssten die betroffenen Männer nicht nur dementieren, sie müssten ihren guten Ruf aktiv verteidigen, am besten vor Gericht. Denn Gerichte, das hat der Fall des wegen sexueller Nötigung verurteilten Münchner Musikhochschulchefs Siegfried Mauser gezeigt, haben bessere Möglichkeiten der Wahrheitsfindung als jeder Laie. Dieser Weg hätte Daniele Gatti offengestanden, auch Plácido Domingo könnte sich jetzt dafür entscheiden. Ein solches Vorgehen ist nicht ohne Risiko. Aber es würde der Öffentlichkeit eindeutig signalisieren, dass sich der Betroffene tatsächlich zu Unrecht beschuldigt fühlt.

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