Beginn des Irak-Kriegs vor zehn Jahren:"Hauptsache, wir waren unsichtbar"

Als der Irak-Krieg begann, wussten die Journalisten, dass sie Zeugen der Geschichte wurden. Weder tiefer Schlamm, noch die reißende Strömung des Tigris und nicht einmal ein Kugelhagel konnten sie deshalb davon abhalten, dabei zu sein.

Wie sich die Fotoreporterin Yunghi Kim in den Irak durchschlug.

Vor zehn Jahren, Ende März 2003, als der Irak-Krieg ausbrach, lief ich vom Osten der Türkei aus vier Nächte lang durch monsunartige Regenfälle in den Irak. Wir waren eine kleine Gruppe von Fotografen, die an der türkischen Grenze zum Nordirak in den Städtchen Silopi und Cizre im kurdischen Gebiet ihre Zelte aufgeschlagen hatten.

Ich dachte, es würde ein Spaziergang werden. Denn alles, was ich tun musste, war, den US-Truppen zu folgen, wenn sie ihren zweiten Einmarsch in den Irak von der Türkei aus unternehmen würden. Doch dann erlaubte die türkische Regierung den Amerikanern nicht, ihre Truppen zu stationieren. Der Norden des Irak war nur sechs Kilometer entfernt, doch die Grenze wurde scharf bewacht und die Lage war schwer einzuschätzen.

Wir verbrachten drei Wochen damit, einen Plan zu schmieden. Alles, was uns in den Sinn kam - sich in einem Kartoffellaster verstecken, einen türkischen Fahrer mit politischen Kontakten anheuern -, erwies sich als undurchführbar und kostete Zeit. Zeit, die wir nicht hatten, weil sich die Ereignisse überschlugen. Aus Angst vor einem Zustrom kurdischer Flüchtlinge schlossen die Türken dann die Grenze und jede Hoffnung, schnell zum Ort der Geschehnisse zu kommen, verflog.

Der einzige Weg, hinüberzukommen, war nun, illegal über die grüne Grenze zu marschieren. Der direkte Weg über den Fluss Tigris war zu scharf von türkischem Militär bewacht. Wir mussten einen anderen Weg nehmen, über Syrien. Das hieß, den Tigris zweimal überqueren zu müssen und dazu noch einige Grenzen. Es war die einzige Möglichkeit - außer, nach Hause zu fahren. Aber ich wollte auf keinen Fall den größten Krieg meines Lebens verpassen.

Der Reporter David Turnley, der damals für CNN arbeitete, versuchte mit seinem Team zweimal den Tigris zu überqueren. Beim ersten Versuch riss die schnelle Strömung seine Ausrüstung mit sich fort. Beim zweiten Versuch nahm er den Umweg über Syrien. Und er schaffte es nicht nur, in den Irak zu gelangen, er fand sogar seine Ausrüstung auf der anderen Seite wieder.

Immer den weißen Turnschuhen hinterher

Als wir erfuhren, dass David es geschafft hatte, beschlossen wir, dass es das Risiko wert war. Mit einem Kollegen machte ich mich auf, Turnleys Spur zu folgen, obwohl wir keine Vorstellung hatten, was auf uns zukam oder wie lange es dauern könnte. Wir ließen das meiste zurück. Ich nahm nur zwei Objektive, zwei Fotoapparate, ein Satellitentelefon und meinen Computer mit. Wir verpackten alles zweimal in Plastiktüten, um es vor Regen zu schützen, das war's. Keine Kleidung zum Wechseln, nichts. Was immer wir brauchen würden, müssten wir auf der anderen Seite kaufen. Wir reisten nur nachts. Die Tage verbrachten wir in sicheren Häusern.

Es sollte eigentlich eine Zweitagesreise werden. Doch der tiefe Schlamm war heimtückisch, wie Treibsand in einem Kinofilm. In unserer zweiten Nacht waren wir schon nahe dem Irak. Wir mussten nur noch an ein paar syrischen Grenzsoldaten vorbeikommen und den Fluss überqueren. Da brach ein Unwetter los. Jeder Blitz erleuchtete das Land taghell. Mit unseren Führern konnten wir nicht sprechen, denn wir hatten keine gemeinsame Sprache. Also nutzten wir das Satellitentelefon, um zurück in die Türkei zu telefonieren und uns dolmetschen zu lassen. Es wurde entschieden, dass wir den weiten, schlammigen Weg zurück zum letzten sicheren Haus gehen und es später noch einmal versuchen würden.

Untertauchen im nächsten Graben

Der Weg durch die Dörfer war riskant. Ich hatte Sorge, jemand würde aus den Häusern kommen, um zu sehen, warum die Hunde bellten und uns entdecken. Jedes Auto, das sich näherte, zwang uns, im nächsten Graben voll gurgelndem Wasser unterzutauchen. Hauptsache, wir waren unsichtbar. Ich war vollkommen erschöpft. Trotzdem dachte ich nicht einmal daran, aufzugeben. Wir ruhten uns einen Tag lang aus. Der Regen hörte auf. Das letzte Stück des Weges schien zu schaffen zu sein. Von der syrischen Seite aus wirkten der Fluss schmal und der Irak nahe.

Es sah einfach aus, aber es war alles andere. Das Wasser war eiskalt und der Fluss gewaltig und breit. Unser Schmuggler-Boot sah aus, als sei es für Kinder in einem Planschbecken gedacht. Doch anstelle von Kindern waren wir vier Erwachsene, kniend zusammengequetscht, die einen Stock mit einem Stück Sperrholz daran genagelt, als Paddel benutzten. Der Fluss schien immer breiter zu werden. Als wir ungefähr die Hälfte geschafft hatten, wurde auf uns geschossen. Ich wurde panisch. Es schien nun, als hätten wir die Aussicht auf eine von drei Todesarten: erfrieren, ertrinken oder erschossen werden.

Von da an bewegte sich die Welt nur noch in Zeitlupe - bis auf die reißende Strömung und den Kugelhagel. Wir kamen nicht schnell genug voran und nicht dorthin, wohin wir wollten. Wir verpassten die Stelle, an der wir anlegen wollten. Wir mussten unser Boot im hüfthohen Wasser zurücklassen und den Rest durchs Wasser in den Irak waten. An Land machten wir uns auf die Suche nach einem Polizeirevier. Dann, so hofften wir, würden wir in Sicherheit sein.

Wir wussten nicht, wie sie uns empfangen würden. Glücklicherweise wurden wir willkommen geheißen. Die kurdische Polizei war froh, ausländische Journalisten in ihrem Land zu sehen, nachdem Saddam diese Minderheit so lange unterdrückt hatte. Ich zeigte meinen Pass, füllte ein kleines Formular aus, trocknete meine Sachen, schlief ein bisschen und war am nächsten Morgen schon auf dem Weg zur nächsten größeren Stadt Erbil.

Im Schlamm des Flussbettes

Wenn ich heute zurückblicke, war das beunruhigendste während der mitternächtlichen Fluss-Überquerung, dass ich nicht wusste, wie tief meine Füße im Schlamm des Flussbettes versinken würden. Damals begann ich, mich auf das einzige zu konzentrieren, das ich sehen konnte: die weißen Turnschuhe meines Führers, der vor mir lief - ein schwerbewaffneter kurdischer Freiheitskämpfer oder Schmuggler. Ich konnte gerade genug von seinen Füßen sehen, um zu wissen, wie tief sie bei jedem seiner Schritte einsanken.

Würde ich diesen Marsch noch einmal auf mich nehmen? Wahrscheinlich nicht. Bereue ich ihn? Keine Sekunde. Das Leben eines Fotoreporters würde ich um nichts in der Welt eintauschen.

Die Autorin begann ihre Arbeit als Fotoreporterin für den Boston Globe, der sie 1992 nach Somalia schickte, um über die Hungersnöte zu berichten. Dort geriet sie in Gefangenschaft eines Warlords. Später fotografierte sie auch in Ruanda und im Kosovo. Yunghi Kim wurde mehrmals von der World Press Photo Foundation ausgezeichnet.

Aus dem Englischen von Viktoria Großmann.

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