Süddeutsche Zeitung

Bedeutung Gerhard Richters für den Kunstmarkt:Brennende Kerzen gehen am besten

Von der Kritik gelobt, von Sammlern geliebt - Gerhard Richter ist ein Phänomen. Für seine Werke erzielt der Maler Rekordpreise. Begehrt sind heute vor allem seine Kerzen-Bilder. Dabei wollte sie früher keiner haben.

Sarah Thornton

Gerhard Richter ist der wichtigste Maler der Welt. Der deutsche Künstler ist in den bedeutendsten Museums-Sammlungen vertreten, Häuser wie die Tate Modern richten ihm - in Zusammenarbeit mit der Nationalgalerie in Berlin und dem Pariser Centre Pompidou - die Retrospektive "Panorama" zum 80. Geburtstag im Februar aus. Kunsthistoriker wie Robert Storr (Yale) und Benjamin Buchloh (Harvard) halten ihn für wichtiger als die Maler Lucio Fontana oder Jackson Pollock - die Richter in seinen Anfangsjahren beeindruckt hatten.

Zudem erfreut sich Gerhard Richter nicht nur höchsten Lobes von Seiten der Kunstkritik, sondern auch eines unvergleichlichen kommerziellen Erfolgs. Der Branchendienst Artnet hat für 2010 den Gesamt-Auktionsumsatz von Werken Richters mit 76,9 Millionen Dollar angegeben. Das ist mehr, als jeder andere lebende Künstler erzielte; Jeff Koons erzielte 41,8 Millionen Dollar, Damien Hirst 18,8 Millionen Dollar. Auch der chinesische Star Zeng Fanzhi liegt mit 33,2 Millionen Dollar weit dahinter.

Während der vergangenen Auktions-Saison lösten Käufer aus Russland und China seine bisher stärkste Anhängerschaft, die Amerikaner und Südkoreaner, ab. Laut Cheyenne Westphal, Auktionatorin für zeitgenössischen Kunst bei Sotheby's, haben viele Werke von Gerhard Richter seit Mitte der neunziger Jahre Deutschland verlassen.

Neben den Auktionshäusern hat vor allem das Händlerduo Paul Schönewald und Anthony Meier den Export der frühen Gemälde zu verantworten. Der Düsseldorfer Paul Schönewald ist dabei für den Nachschub zuständig, er kümmert sich um den Ankauf aus deutschen Sammlungen, während Anthony Meier, der in San Francisco lebt, weiß, welche internationalen Käufer nach Richters Werken suchen.

Die Nachfrage nach Gemälden von Richter entspricht der Jagd nach Werken von Andy Warhol - nur, dass der Markt durchsichtiger ist. Er wird eher von Sammlern angetrieben, als von Händlern, die auf Halde ankaufen, um die Preise hochzutreiben. Die New Yorkerin Marian Goodman, seit 1985 Richters Hauptgaleristin, steht dafür ein, dass der Richter-Markt das bleibt, was sie ein "ehrliches Spiel" nennt. Goodman betrachtet Auktionen als "nützliches Übel" und tut ihr möglichstes, um zu garantieren, dass Arbeiten, die sie verkauft, nicht im Auktionssaal auftauchen. Was das Atelier verlässt, wird meist unter dem Auktionswert angeboten. Zudem wählt sie die Käufer sorgfältig aus und bevorzugt Sammler, die gewillt sind, Werke einem Museum zu stiften.

Die höchsten Preise unter den Richter-Gemälden erzielen die Kerzen-Bilder, von denen Richter nur 27 Stück malte; eines von ihnen ist in diesem Monat in London bei Christie's für 16,5 Millionen Dollar verkauft worden. Richter selbst nennt solche Preise "vollkommen absurd, unmöglich". Als Max Hetzler die Kerzen vor knapp dreißig Jahren in Stuttgart zeigte, verkaufte er keine einzige, obwohl der Preis bei nur 15 000 Mark lag. Das Motiv galt als veraltet - heute gilt es als zeitlos. "Richters Kerzen sind wie die Marilyns von Warhol", sagt Francis Outred, der Leiter der Abteilung für zeitgenössische Kunst von Christie's.

Die "Abstrakten Bilder" sind ebenfalls sehr begehrt, vor allem die, die nach 1988 mit einem großen Rakel bearbeitet wurden. Richter bezeichnete Abstraktion schon mal als "mysteriös wie ein unbekanntes Land" - und hat Hunderte von Expeditionen auf diesem Terrain unternommen. Sie sind ein Markenartikel geworden. Der russische Milliardär Roman Abramovich zahlte 15,2 Millionen Dollar für eines dieser Motive. Am 9. November bietet Sotheby's in New York eine ganze Gruppe dieser Abstraktionen an.

Und auch die Bilder des "kapitalistischen Realismus" aus den Sechzigern verkaufen sich hervorragend - wobei Käufer Motive bevorzugen, die etwas fröhlicher sind als beispielsweise das Bild "Tante Marianne", das Richters Tante zeigt, die von den Nationalsozialisten sterilisiert und ermordet wurde. Dieses Bild erzielte nur 2,1 Millionen Pfund, als Pierre Chens Ygeo Foundation in Taiwan es 2008 erwarb, während Stephan Schmidheinys Daros Foundation in der Schweiz die "Zwei Liebespaare" für 7,3 Millionen Pfund angekauft hat.

Eine gute Museumsretrospektive erneuert nicht nur die Aufmerksamkeit für ein Werk, sie rückt auch den Status einzelner Werkgruppen zurecht. Die gegenwärtige Ausstellung in der Tate Modern beleuchtet alle Aspekte von Richters Schaffen, nicht nur die Genres, die der zeitgenössische Markt bevorzugt. Mark Godfrey, der die Ausstellung kokuratierte, sagt, er liebe jetzt vor allem die Werke, die er anfangs missachtet habe. Tatsächlich kann es sein, dass Richter-Käufer, die aufmerksam die Ausstellung analysieren, das Bedürfnis verspüren, eine breitere Auswahl des Werks zu sammeln, um der Intelligenz und Strenge eines besonders vielseitigen Malers gerecht zu werden.

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SZ vom 29.10.2011/anbo
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