Süddeutsche Zeitung

Beckett-Inszenierungen unter Corona-Bedingungen:Schlechte Therapie gegen das Schlafvirus

Lesezeit: 3 min

Intendant Uwe Eric Laufenberg knöpft sich am Staatstheater Wiesbaden Samuel Beckett und die Corona-Beschränkungen vor.

Von Till Briegleb

Es gibt Menschen, die wollen sich nach ihrem Tod in Stickstoffbehältern einfrieren lassen, um in der Zukunft aufgetaut und neu belebt zu werden.

Bevor sie das tun, sollten sie sich vielleicht die zwei Samuel-Beckett-Inszenierungen am Staatstheater Wiesbaden ansehen, die der Intendant Uwe Eric Laufenberg zur frühen Wiedereröffnung des Theaters unter Corona-Bedingungen eingerichtet hat. "Warten auf Godot" und "Endspiel", die als "Beckett-Trilogie" mit "Glückliche Tage" für ein Minimal-Publikum am Wochenende dort Premiere hatten, verstörten ältere Menschen nur durch Farbe. Hatte man als Kind nicht genau die gleichen Inszenierungen schon auf dem Schwarz-Weiß-Fernseher gesehen, nur irgendwie authentischer, frischer, lebendiger?

Becketts berühmte Dystopien verlorener und letzter Menschen in einer zerstörten Welt wirken in Laufenbergs aufgetauten Versionen tatsächlich sehr schlecht konserviert. Als hätten Becketts traurige Komiker des Immergleichen die ganze lange Spanne interessanter Theaterentwicklungen seit der Nachkriegszeit verpasst, agieren sie ohne Bezug zur aktuellen Lage, die uns gerade mit der Realität der Weltzerstörung bekannt macht. Dafür sind diese Rollen aus der Mikrowelle völlig falsch eingekleidet, die im Graben schlafenden "Landstreicher" Wladimir und Estragon etwa mit teurer Wintermode und blitzblank geputzten Schuhen (man ist schließlich in der Boutiquen-Hauptstadt Wiesbaden). Aber auch Hamm und Clov, Nagg und Nell im "Endspiel", das ebenso altbacken aufgewärmt wurde, sind kostümiert, als säßen sie nicht seit Unzeiten mit ihren Unterleibsbehinderungen in Küche, Stuhl und Mülleimern fest, sondern kämen direkt von einem Smoking-Empfang aus dem Parkhotel (die Eltern) oder von einem Klaus-Meine-Ähnlichkeitswettbewerb nach einem Scorpions-Gig (der Sohn-Despot).

Die kruden Forderungen des Intendanten haben leider Aluhut-Qualität

Nur für Pozzo und Lucky hat sich das ebenfalls seit Jahrzehnten zusammenarbeitende Austatterehepaar Marianne und Rolf Glittenberg eine inhaltlich bedeutungsvolle Aktualisierung ausgedacht. Der dumme Herr und sein kluger Sklave, die die Wiesbadener Edel-Clochards an ihrem "kahlen Baum" mit grünen Zweigen besuchen, tragen Arztkittel und Pflegerweiß. Oho, Corona, muss da gedacht werden. Soll das heißen, die Pfleger werden am Galgenstrick der Virologen durch die Arena gezerrt? Dieses kleine Interpretationsangebot in einer Inszenierung, die sonst sehr ideenarm Becketts prophetische Brisanz ignoriert, erklärt sich durch Laufenbergs Beschäftigung mit dem Internet, das er in den Corona-Ferien als Propagandamedium für sich entdeckt hat. In sieben "Solo-Diskursen" plus Vorwort, die via Website des Theaters bei Youtube und Facebook anzusehen sind, erklärt der "Künstler" Laufenberg die Welt in der Krise.

In der Pose eines Märchenonkels vor dem goldenen Stuck des wilhelminischen Prachttheaters sitzend, entwickelte Laufenberg im April aus der schweren Trauer, sein "geliebtes" Theater nicht machen zu dürfen, eine Generalabrechnung mit dem Lockdown. Gleich einleitend vergleicht er die Sicherheitsmaßnahmen der Bundesregierung mit der Machtergreifung Hitlers, weil in beiden Fällen das Grundgesetz außer Kraft gesetzt worden sei. Pathetisch verklärt er das Grundgesetz dann als eine Art Heilige Schrift, mit deren "Abschaffung" in der Corona-Krise den Menschen "das Wichtigste" in ihrem Leben geraubt worden sei. Schließlich endet er in der völlig idiotischen Forderung, dass lieber 50 Prozent der Menschheit wie er selbst zum Sterben bereit sein sollen, damit die anderen 50 Prozent weiter frei und mit dem Grundgesetz Theater spielen können. Im Gegensatz zu Frank Castorfs albernem Gejammer kürzlich im Spiegel und dessen Forderung, einen republikanischen Widerstand gegen das Händewaschen zu beginnen, sind Laufenbergs egomanische Kurzschlüsse schlimm und gedanklich näher bei den Aluhüten als beim Grundgesetz.

Dabei hätte ein Blick in das Parkett genügt, um festzustellen, dass in seinem Wiesbaden keineswegs die demokratische Apokalypse vollzogen worden ist, sondern dass eigentlich alles ist wie immer, nur eben mit drei Sitzen und einer freien Reihe Abstand zwischen den Zuschauern, die im Saal des Großen Hauses nicht einmal Masken tragen müssen. Es gibt sogar Rosé-Sekt und Brezel vor der Tür, und einen warmen Applaus für die Schauspieler. Darunter Laufenberg selbst, wenn auch nicht ganz freiwillig. Weil Michael Birnbaum krank wurde (kein Covid-19, wie betont wird, denn sonst hätte ihm vielleicht Laufenbergs 50/50-Lösung gedroht), spielte der beste Freund des Grundgesetzes den Wladimir in Becketts ungesetzlicher Welt ohne Godot eben selbst.

Mithilfe von Suhrkamps grünem Taschenbuch Nummer 1, dem Souffleur und etwas Improvisation hangelte sich Laufenberg an der Seite der rührend-trotzigen Sybille Weiser (die im Programm als Bill Weiser umgeschlechtet wird) ganz souverän durch die Aufführung. Was vermutlich nicht so schwer ist bei einem, der diese Inszenierung als Kind im Schwarz-Weiß-Fernseher gesehen haben dürfte. Und der daraufhin beschlossen haben muss, dass dieses Stück so eingefroren gehört, bis er selbst als Regisseur es künstlich wiederbelebt. Ist als Therapie gegen Schlafvirus keinesfalls zu empfehlen.

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SZ vom 08.06.2020
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