Graphic Novel: "Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger":Der Mantel, den sie zur Ohrfeige trug

Graphic Novel: "Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger": Die berühmteste Szene aus dem Leben von Beate Klarsfeld: die Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger.

Die berühmteste Szene aus dem Leben von Beate Klarsfeld: die Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger.

(Foto: Pascal Bresson, Sylvain Dorange: "La Boîte à Bulles"./Carlsen Verlag)

Pascal Bresson und Sylvain Dorange zeigen in einem Comic, wie zäh das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld hinterher war, dass die Täter des NS-Regimes angeklagt werden konnten. Und welche deutsche Normalität ihre Arbeit nötig machte.

Von Alex Rühle

Was macht man als Kidnapper, wenn die Entführung gründlich schiefläuft? Man kontaktiert alle Zeitungen, um ihnen mitzuteilen, dass der Plan gescheitert ist. Ein paar Tage später trifft man sich dann noch mit den Journalisten, damit sie auch schön Fotos von einem machen und Details der Straftat berichten können.

Kurt Lischka war SS-Obersturmbannführer und als Kommandierender der Gestapo in Frankreich für die Deportation von mindestens 73 000 Juden über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz mitverantwortlich. Er wurde zwar 1950 von einem französischen Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, die Adenauerregierung dachte aber gar nicht daran ihn auszuliefern. Lischka lebte unbehelligt in Köln, sein Name stand im Telefonbuch, er war als Prokurist einer Getreidegroßhandlung tätig.

1971 planten Beate und Serge Klarsfeld seine Entführung nach Frankreich, damit er endlich ins Gefängnis käme. Das Ganze ging grotesk schief. Die Klarsfelds lauerten dem alten Lischka gemeinsam mit zwei Bekannten vor seiner Wohnung auf, im Getümmel schlugen sich die Kidnapper gegenseitig k.o., die Polizei kam, alle mussten fliehen.

Kaum jemand hat so viel für die Aufarbeitung von Naziverbrechen in Frankreich getan

Statt das nun aber zu vertuschen und schleunigst zurück nach Frankreich zu fahren, traf sich Beate Klarsfeld mit Journalisten, die konsterniert fragten, warum sie, die ohnehin schon einen Prozess am Hals hatte, nicht nur ihre Straftat zugebe, sondern auch noch in Köln bleibe. Antwort Klarsfeld: "Wenn ich verhaftet werde, ist das der Beweis, dass die Behörden lieber mich ins Gefängnis stecken, als die Kriegsverbrecher, die in Deutschland frei herumlaufen, an die Justiz auszuliefern."

So sagt sie es in der Graphic Novel, die Pascal Bresson und Sylvain Dorange dem französisch-deutschen Ehepaar gewidmet haben: "Beate und Serge Klarsfeld - Die Nazijäger". Bresson ist ein Comic-Autor mit großem politischem Sendungsbewusstsein, er hat minutiös recherchierte Comics über französische Justizirrtümer oder über ökologische Fragen gemacht. Im Zentrum seines Werks steht aber der Holocaust, es gibt von ihm eine hervorragend recherchierte Graphic Novel über das Leben von Simone Veil, und er hat mit "Elle s'appelait Sarah" versucht, die Judenverfolgung in Frankreich jugendlichen Lesern näherzubringen. Die Doppelbiografie der Klarsfelds erscheint da wie eine zwingende Ergänzung, schließlich hat kaum jemand so viel für die juristische Aufarbeitung der Naziverbrechen in Frankreich getan wie dieses Ehepaar.

Zusammengetan hat sich Bresson mit dem Zeichner Sylvain Dorange, der die historischen Interieurs, Stadtbilder, Moden sehr akribisch nachzeichnet, aber seine Protagonisten in neue Körper steckt: Die beiden gezeichneten Figuren haben phänotypisch wenig mit den Physiognomien der echten Klarsfelds gemein. Beate wirkt hier wie ein energetisches Wunder, dreiecksscharfe Nase, Bleistiftröcke, Pagenschnitt, drahtiger Körperbau, die ganze Frau eilt durch die Panels wie ein schlanker Vektor. Und Serge wirkt mit seinem enormen Haarturm eher wie ein Hipster als wie der Historiker und Jurist, der er war. Den alten Klarsfelds, die die Entstehung des Buches begleitet haben, war es egal, wie sie aussehen, nur die Fakten mussten stimmen, bis hin zum Mantel, den Beate Klarsfeld am Tag der Kiesinger-Ohrfeige trug, geschnitten in der Form des Lothringer Kreuzes.

Helmut Kohl wollte lieber keine neue Debatte über die Schuld von Kriegsverbrechern

Die Fakten also: 1968 fuhr Beate Klarsfeld zum CDU-Parteitag in Berlin. Acht Jahre vorher hatte sie in Paris ihren Mann kennengelernt, dessen Vater in Auschwitz ermordet worden war. Sie schaffte es aufs Podium, ohrfeigte den Bundeskanzler und schrie dabei mehrfach: "Nazi!" Zwar wurde sie verurteilt, befeuerte aber die Debatte, wie es sein kann, dass ein Mann Bundeskanzler ist, der im Reichspropagandaministerium mitverantwortlich war für die permanente antisemitische Hetze der NS-Maschine.

Zwar scheiterte die Entführung Kurt Lischkas, dafür haben die beiden mit dafür gesorgt, dass ihm - gemeinsam mit Ernst Heinrichsohn und Herbert M. Hagen - später der Prozess gemacht und er zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Vor allem aber hätte es ohne die Klarsfelds den Barbie-Prozess nie gegeben.

Über Jahre haben die beiden die Spur des "Schlächters von Lyon", Klaus Barbie, verfolgt, ihn in La Paz ausfindig gemacht, wo er Schergen des damaligen Diktators Nachhilfe in diversen Foltermethoden gab - und mit dafür gesorgt, dass er 1983 endlich an Frankreich ausgeliefert wurde. Helmut Kohl hatte eine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland verhindert, um eine erneute Debatte über die Schuld von Kriegsverbrechern im Land nicht aufkommen zu lassen.

Graphic Novel: "Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger": Pascal Bresson und Sylvain Dorange: Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger. Aus dem Französischen von Christiane Bartelsen. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 208 Seiten, 28 Euro.

Pascal Bresson und Sylvain Dorange: Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger. Aus dem Französischen von Christiane Bartelsen. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 208 Seiten, 28 Euro.

Bresson und Dorange verweben die jahrelange Suche nach diesem Mann sehr gekonnt mit dem Alltag der Klarsfelds, den Todesdrohungen, dem immer neuen Scheitern bei ihren Recherchen auf eigene Faust und dem Versuch, trotzdem als Familie mit zwei Kindern zu funktionieren. Ihr Buch ist eine Feier der Hartnäckigkeit. Wie kann es sein, dass all diese Männer frei herumlaufen dürfen? Dass die Staaten von sich aus nichts tun, um ihrer habhaft zu werden? Dass ein einzelnes Ehepaar immer und immer wieder Beweise aus Archiven vorlegen muss, bis sich jemand bemüßigt sieht, einen Prozess zu eröffnen? Barbies Prozess war am Ende eines der wichtigen innenpolitischen Ereignisse der Achtzigerjahre, löste er doch heftige Kontroversen über die Kollaboration mit den Deutschen und den aktuellen Antisemitismus aus.

Pascal Bresson und Sylvain Dorange kommen jetzt nach München: Im Rahmen des Comicfestivals erzählen sie am 3. Juni um 19 Uhr über "Beate und Serge Klarsfeld" . Und wer sich selbst ein Bild von ihrer Kunst machen will: Im Foyer des Jüdischen Museums München werden die ganze Woche über markante Szenen aus der Graphic Novel gezeigt.

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