Bayreuther Wagner-Festspiele: "Götterdämmerung":Handtuch in den Ring

Nun, nach dem letzten Teil des neuen Ring-Zyklus´, ist es amtlich: Regisseur Dorst ist gescheitert. Dirigent Thielemann brilliert.

Joachim Kaiser

Den ¸¸Ring des Nibelungen" in Bayreuth zu inszenieren, das hat in vergangenen Jahrzehnten immer als allergrößte, als furchteinflößendste Herausforderung gegolten, der sich ein noch so erfahrener, Metier-sicherer Opernregisseur überhaupt stellen kann.

Bayreuther Wagner-Festspiele: "Götterdämmerung" Dorst Thielemann

Linda Watson: Frappierende Kraft in der Brünnhilde.

(Foto: Foto: ddp)

Als 1980 der 50-jährige Sir Peter Hall - immerhin Direktor des Britischen Nationaltheaters und mit 14 Opern-Darbietungen hervorgetreten - es auf sich nahm, Wolfgang Wagners Bayreuth-Einladung zu folgen, da schrieb Hilde Spiel, die große Dame des deutschen Feuilletons in der FAZ, für diese Aufgabe gehöre selbst für einen Hall ¸¸mehr als Mut".

Für den neuen Bayreuther ¸¸Ring" des Jahres 2006 indes muss Wolfgang Wagner - durch die Absage des Lars von Trier in der Klemme - jedoch auf ein Wunder gehofft haben. Er bot die heikelste Aufgabe des Weltmusiktheaters dem 80-jährigen Schauspiel-Autor Tankred Dorst an - der tatsächlich noch nie eine Oper, geschweige denn ein Wagner-Werk inszeniert hatte. Offenbar von keiner bösen Ahnung gewarnt, nahm Dorst an!

Handtuch in den Ring

Doch aus dem erhofften Wunder wurde nichts. Noch während der ersten drei ¸¸Ring"-Abende hatte das Premierenpublikum anhaltend freundlich den Musikern und Sängern gedankt. Das gewohnte Bayreuther Beifallsritual: Die stolzen Kartenbesitzer sind dankbar, festlich froh dabei zu sein. Als dann aber nach der ¸¸Götterdämmerung" Tankred Dorst sich verbeugte, donnerte neben mächtigem Beifall auch machtvoller Protest. Dieser Bayreuther ¸¸Ring" wurde verworfen - nicht weil ein allzu kühnes Konzept irritierte, sondern weil Dorsts Personenregie die Künstler überhaupt nicht formte, steigerte, zu passioniert und bestimmt agierenden Gestalten machte. Auch schloss Dorsts Konzept manche Beliebigkeit ein: Es bestand gleichsam aus essayistischen, diskutablen oder auch abwegigen Rand-Bemerkungen, Zutaten. Aber das zentrale Szenische blieb ohne Gewalt und Passion. Dafür kam einzig die Musik auf.

Jeder Opernenthusiast ärgert sich mit Recht, wenn in kritischen Erörterungen immerfort kilometerlang über Inszenierungsprobleme orakelt wird - sodass alles Sängerische und Symphonische am Ende mit ein paar pauschalen Phrasen abgetan werden muss. Nun waren in unseren Berichten über ¸¸Rheingold" und ¸¸Walküre" musikalische Einzelheiten umfänglich berücksichtigt worden und im Folgenden soll natürlich auch die erfreuliche Steigerung des Siegfried von Stephen Gould und die am Ende frappierende Kraft von Linda Watsons Brünnhilde ihre Würdigung finden. Trotzdem müssen, zumal nach dem überraschend deutlichen ¸¸Buh" für Dorst, die Probleme seiner Arbeit doch vordringlich zur Diskussion stehen. Dorsts Hauptthese lautet, dass man die alten Götter nicht einfach modernisieren, also dem Wotan nicht statt eines Speeres ohne weiteres eine Aktentasche in die Hand drücken dürfe. Umso eindringlicher will Dorst vorführen, dass diese alten Götter und Geschehnisse auch heute noch vorkommen: etwa im Luxushotel, unter einer Autobahnbrücke, im Schulgebäude oder wo auch immer.

Eine reizvoll klingende Idee. Sie wirkt poetisch, zumindest irgendwie erbaulich. Aber der spezifischen Entfaltung von Szenen helfen noch so schöne oder verwirrende Konzepte wenig. Zumal dann nicht, wenn eine solche, selbst gestellte Regel doch enorme Beliebigkeit ermöglicht. Alles könnte sich überall zutragen. Kein Zuschauer ahnt, warum die Götter sich in einer alten Schule aufhalten wollen, in einem Abstellplatz für Denkmäler oder in einem Luxushotel. Sie nehmen ja (begreiflicherweise) auch nie Bezug auf Dorsts neue Welt und ihre Beliebigkeit.

Das allein hätte die Aufführung gewiss noch nicht ruiniert. Als gefährlicher erwies sich, dass es dem Regisseur, als stünde er unter einem Aktualisierungs-Zwang, so deprimierend oft nötig schien, Wagners genial ersonnener Handlung massenhaft zeitgenössische Figuren oder Objekte hinzuzudichten. Da stehen gut hundert Paar Schuhe im Luxushotel. Da malen zwei Männer den Umriss des (später ermordeten) Siegfried auf die Bühne. Ein Fotograf knipst diese ¸¸Tatort"-Kreidezeichung. Ein Junge, bezaubernd munter, den unsereiner während der vier Abende zu fürchten gelernt hat, tanzt auf besagter Kreidezeichnung. Während des ersten ¸¸Götterdämmerungs"-Aktes liest jemand in einem Buch, Siegfried nimmt es ihm aus der Hand, wirft es dann rasch zu Boden . . . Ob ein derartiger Rüpel am Ende einen gewaltigen Trauermarsch verdient hat? Es ist nicht leicht, über diese zahlreichen, oft mythologischen, rätselhaften, entschlüsselbaren oder auch schleierhaften Zutaten ohne weiteres hinwegzuhören.

Dorsts Regie schien immer dort akzeptabel, wo er realistisch schauspieltheaterhaft arrangierte. Das furchtbare Aufeinandertreffen der verzweifelten Brünnhilde mit dem sich selbst entfremdeten Siegfried bot eine gewaltige Spannungshöhe. Hagens Intrige ließ sich plausibel nachvollziehen. Warum freilich Gunther in die Kammer der Brünnhilde geht statt des verwandelten Siegfried, das dürften außer Dorst höchstens die Götter wissen.

Nun stellen handfeste Vorgänge keineswegs das eigentliche Problem (gelingender oder scheiternder) Opern-Regie dar. Die bieten sich jedem ehrgeizigen Wagner-Regisseur am dringlichsten dann, wenn ausführlich und monologisch singende Menschen einander gegenüberstehen und dabei eben nicht nur irgendwelche Gesten aus dem Fundus verlegen ausführen, sondern sich passioniert bewegen in ihrem Schmerz, in ihrer Eigenart geprägt, geführt und gesteigert. Woher freilich sollte ein Nicht-Opern-Regisseur diese auch für die Qualität der Solisten höchst wichtige Regiekunst können? Dorst stand sie begreiflicherweise nicht zu Gebote.

So begann, um nun aufs Musikalische zu kommen, die ¸¸Götterdämmerung" mit drei Nornen, zwischen denen platterdings nichts vorging, die sich kein am Ende reißendes Schicksalsseil zuwarfen, sondern nur ein paar Mal die Hände vor Augen oder Ohren legten. Kümmerlich. Wenn auch harmonisch gesungen. Immerhin leuchtete über ihnen der gestirnte Himmel und sie trugen schöne Kostüme. Szenisches Oratorium in Bayreuth - spöttelte man einst über dergleichen. Auch bei Siegfrieds Abschied von der diesem Weggang liebevoll heiter zustimmenden Brünnhilde ereigneten sich höchstens ein paar konventionelle Gesten und Umarmungen. Ob da wirklich Liebe oder vielleicht schon beginnende Enttäuschung herrschte - es wurde schwerlich erkennbar.

Dann aber ereignete sich etwas Überraschendes und Beglückendes: Deutlich und dankbar hörte man, dass Stephen Gould, der ¸¸Götterdämmerungs"-Siegfried bemerkenswert besser liegt als der ¸¸Siegfried"-Siegfried. Hier war der leicht baritonale Charakter seiner Stimme weit mehr am Platze. Auch störte nun keine schwächende Indisposition mehr. Gewiss ließ der Sänger im zweiten Akt manche Intonations-Durchhänger erkennen. Er war leider auch nicht dazu ermutigt worden, die wunderbare Schizophrenie vorzuführen! Denn trotz des Vergessenstrankes reagiert Siegfried beklemmend unruhig, wenn die noch nicht ganz vergangene Erinnerung an Brünnhilde zur Sprache kommt. Dankenswert schien die Kraft, mit welcher Gould im Schlussakt seine von Schwierigkeiten gespickte Erzählung meisterte.

Auch die Brünnhilde (Linda Watson), nicht immer hinreichend rhythmisch artikulierend, besaß für ihren Schlussgesang gewiss eine unerschöpfte, üppig schöne, Stimmkraft. Nur hatte die Regie der Sängerin auch hier zu wenig geholfen. Dass sich der Schlussgesang vom Ausdruck tiefer Klage und ¸¸blühenden Leides" emanzipiert zu wundervoll schicksalbejahender Ruhe - es kam kaum heraus. Bemerkenswert spannend wirkte die Aufwertung der Gutrune (Gabriele Fontana). Sie wurde anfangs als Champagner trinkendes Salonflittchen erkennbar, als Mittelpunkt einer Boulevard-theaterhaften Intrige. Am Schluss erschien sie als verzweifelte Gegenspielerin. Vergnügliche Fortschritte hatten die Rheintöchter gemacht. Nach dem statuarischen Unfug, zu dem sie im ¸¸Rheingold" verurteilt gewesen waren, erfreuten nun ungemein attraktive, beneidenswert gut gewachsene, barbusige Sängerinnen Aug und Ohr (Fionnuala McCarthy, Ulrike Helzel, Marina Prudenskaja). Wagner zeigt freilich nicht nur raffiniert, wie wirkungsvoll diese Rheintöchter den Siegfried ¸¸anmachen", sondern auch tiefsinnig, dass sie ihn in dem Moment nicht mehr aufregen und beunruhigen, wo sie statt zu flirten mit fürchterlichen Entwicklungen drohen. Vielleicht wäre es richtiger gewesen, wenn sich die Rheintöchter als warnende Schicksalsdamen doch wieder etwas züchtiger dargeboten hätten.

Hans-Peter König imponierte als fabelhaft stimmstarker Hagen. Nur: Bleich und unfreundlich schien zunächst der ¸¸unfrohe" Mann gar nicht. Sondern eher wie ein jovialer Oberförster, vergnügt und apoplektisch. Dass eines der abgründigsten Mysterien des Werkes, ¸¸Hagens Wacht", trotz aller Gesangskunst um seine volle musikdramatische Wirkung betrogen wird, wenn Hagen auf der Treppe eines Grand Hotels etwas überflüssig Wache halten muss, keineswegs ganz allein, das sind eben Probleme des Konzeptes.

Nachdem der glockenrein singende Publikumsliebling Mihoko Fujimura als statische Erda im ¸¸Siegfried" dem Wotan so ergreifend zu antworten wusste, schien die schmächtige Sängerin in ihrer Waltraute-Szene doch dramatisch überfordert. Angst, Qual, loderndes Entsetzen, tiefe Enttäuschung über Brünnhildes verliebten Egoismus: Das alles konnte sie kaum zwingend darstellen. Darum verpuffte eine Szene in Schöngesang, die manche Wagner-Bewunderer für den tiefsten Moment des ganzen ¸¸Ringes" halten. Ein Glück, dass der Gunther nicht als bloßer Schwächling denunziert wurde. Er ist ein Krieger. Siegfried erkennt ihn als ebenbürtig an. Erst allmählich verliert er an Gewicht (recht charakteristisch Alexander Marco-Buhrmester).

Dass der 47-jährige Dirigent Christian Thielemann Herr und Herrscher dieses ¸¸Ringes" sein werde, war von den ersten ¸¸Rheingold"-Takten an klar. Und er schien auch in allem Folgenden der großen Partitur gewachsen. Brachte gerade die heiklen Solostellen der Streicher, am Schluss des ¸¸Siegfried" und im ersten Akt der ¸¸Götterdämmerung", fast vollendet heraus. Immer wieder, etwa auf Siegfrieds Rheinfahrt, verblüffte die Mischung aus kammermusikalisch durchsichtiger Brillanz und symphonischer Sonorität. Den Rang seines ¸¸Meistersinger"-Dirigats hat Thielemanns ¸¸Ring" freilich noch nicht. Da wirkte das Vorspiel zum zweiten Akt der ¸¸Götterdämmerung" nur düster, doch ganz ohne jene finstere Größe, die Wagner gewollt hat vor dieser Szene, in der dann die beiden bösen ¸¸Dinosaurier" Alberich (gewohnt sicher: Andrew Shore) und Hagen in tiefster Nacht singen müssen. Der ¸¸Trauermarsch" dürfte Thielemann in einer korrigierten Inszenierung auch noch besser gelingen. Hier ereignet er sich in einer wirren Welt der Frackträger und Salondamen. Auch kam bei dieser szenischen Darbietung des Siegfried niemand auf die Idee, dessen Tod mit einem riesigen Trauermarsch zu ehren. Oder mit Thomas Mann zu schwärmen: ¸¸Der Sonnenjüngling selbst liegt auf der Bahre, erschlagen von bleicher Finsternis." So waren am Ende beide Publikumsreaktionen nur zu berechtigt: der Beifall wie das Buh.

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