Süddeutsche Zeitung

Bayreuther Festspiele:Das Bühnenbild ist der Coup des diesjährigen Festspielsommers

  • Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy hat das Bühnenbild und die Kostüme der "Lohengrin"-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen gestaltet.
  • Die Entscheidung für die Star-Künstler garantiert den Bayreuthern eine Aufmerksamkeit, die weit übers übliche enorme Maß hinausgeht.
  • Die Festspiele werden an diesem Mittwoch mit der Lohengrin-Premiere eröffnet, dirigiert von Christian Thielemann und inszeniert von Yuval Sharon.

Von Reinhard J. Brembeck

An diesem Mittwoch beginnen die Bayreuther Festspiele. Spektakulär daran ist wenig. Weder dass Richard Wagners "Lohengrin" gezeigt wird, noch dass Christian Thielemann dirigiert, dass vor einem Monat erst der Tenor Roberto Alagna die Titelrolle zurückgab und durch Piotr Beczała ersetzt wurde, dass Anja Harteros die weibliche Hauptrolle singt, die Elsa. Alles ist das auf hohem Niveau Erwartbare, wie es sich ähnlich auch an jedem anderen großen Opernhaus der Welt ereignet, ob in Wien, München, London, Mailand, New York. Es ist "business as usual", das auf die eingefleischte Kaste der Opernbegeisterten zugeschnitten ist. Mit all dem ist Bayreuth genauso auf der sicheren Seite wie die Festspielbesucher sowie die Hörer und Zuschauer, die den Abend live in Kinos und als Radioübertragung oder in der Fernsehaufzeichnung am Samstag auf 3sat verfolgen werden.

Das Erwartbare ist längst zum wichtigsten Faktor im Opernbetrieb geworden. Von Intendanten wird erwartet, dass die Auslastung hoch ist und dass sie zunehmend Sponsoren requirieren. Von den Sängern, dass sie blendend aussehen, stets in Höchstform sind und immer besser und höher und weiter singen. Von den Dirigenten, dass sie noch genauer und noch leidenschaftlicher sind als die Konkurrenz. Und von den Regisseuren wird Werktreue eingeklagt, weil eine Partitur als so unantastbar gilt wie ein Rubens-Gemälde, dass man ja auch nicht nach Gutdünken mit eigenen Einfällen übermalen darf.

Und von allen wird erwartet, dass die Aufführungstradition einerseits respektiert werde. Dass aber andererseits neue Interpretationsmodelle angeboten werden, die das Gefühl auf Anhieb überzeugen müssen. Oper ist für sehr viele Opernbesucher eine reine Gefühlssache und nicht einmal im Kleingedruckten auch eine Form des gesellschaftlichen Diskurses, des Überdenkens von Lebensmodellen, des Hinterfragens von Machtstrukturen. Das kommt von der ungreifbaren Musik, deren überwältigende Wirkung an Vernunft und Verstand vorbei direkt in die tiefsten Bereiche des Hirns eindringt und dort so heftig wie eine Droge wirkt.

Diese Eigenheit der Musik ist der Grund dafür, dass in einer zunehmend durchrationalisierten Gesellschaft Barockmusik, Klassik, Romantik und zunehmend auch die Klassische Moderne nach wie vor Konjunktur haben, dass Klassikkonzerte immer mehr Hörer anziehen. Während der Mensch überall sonst mitdenken, abwägen und entscheiden muss, kann er sich ohne alle Hinter- oder sonstige Gedanken in Beethovens Fünfte hineinbegeben und sich von deren bild- und inhaltslosen Exzessen mitreißen lassen. Klassische Musik ist scheinbar ein Elysium, das wunderbar vor der Welt abschottet.

Viele Opernfans wollen nicht von gesellschaftlichen Fragen beim Musikgenuss gestört werden

Genau dies wird auch von der Oper erwartet. Nicht ganz zu Unrecht. Ist doch die Musik in den gelungenen Stücken immer die dominierende Kraft. Also soll sie auch voll zu ihrem Recht kommen, genauso wie im Konzert. Deshalb fühlen sich manche Menschen durch die außermusikalischen Zumutungen der Oper beim Musikgenuss gestört, durch Bühnenbild, Kostüme, Gesten, Texte, das Regietheater. Wer das konsequent denkt, der geht eigentlich nicht in die Oper, sondern nur ins Gesangskonzert.

Nun haben alle Opernkomponisten der letzten 400 Jahre sich mit ihren Stücken stets in gesellschaftlich aktuelle Debatten eingemischt. In den ersten Opernversuchen der Florentiner Camerata vor 400 Jahren rückte revolutionär erstmals das Individuum ins Blickfeld der Komponisten, das seine tiefsten Gefühle, Verstörungen und Leidenschaften nicht nur aussprechen, sondern aussingen darf, weil die Musik im Zusammenspiel mit der Sprache Emotionen genauer und subtiler formulieren kann als die Sprache allein. Musik ist somit die Inszenierung eines Gedankens oder Gefühls. Von hier ist der Schritt zu Kostüm, Bühnenbild und Bewegung ein kleiner. Die Oper hat sich immer schamlos aller verfügbaren Künste und Mittel bedient, um den zuhörschauenden Menschen vorzumachen, was sie sind, was sie im tiefsten bewegt. Sie gleicht einem Fleckerlteppich, sie läuft wie ein gescheckter Narr herum, sie nascht von allem, sie ist sich für nichts zu schade.

Das Bild ist in der Oper die entscheidende Kategorie neben der Musik, um die Intention und Deutung des Librettos zu übersetzen. Der Text verschwindet ja immer hinter diesen beiden so viel unmittelbarer wirkenden Künsten. So wird verständlich, dass Intendanten immer wieder auf die Idee kommen, das Bühnenbild einem berühmten Künstler anzuvertrauen. Bayreuth-Chefin Katharina Wagner hat sich für die "Lohengrin"-Premiere das Künstler- und Lebenspaar Neo Rauch und Rosa Loy ausgesucht. Rauch wurde wie Wagner in Leipzig geboren und ist mit seinen knallbunten Menschenbildern einer der erfolgreichsten Maler der Gegenwart.

Neo Rauch ist der Coup des diesjährigen Festspielsommers. Er garantiert den Bayreuthern eine Aufmerksamkeit, die weit übers übliche enorme Maß hinausgeht. Mit ihm erreicht die zunehmend überalternde und hermetische Opernszene ihr sonst versperrte Publikumskreise. Und um bisher klassikferne Besucher buhlen im Moment alle Intendanten. Weil die Zuschauerzahlen kleiner werden, die Jugend nicht so richtig zieht, Oper als elitäre Hochkultur abgestempelt wird. Von daher ist diese Entscheidung marketingmäßig absolut richtig.

Künstler als Bühnenbildner zu verpflichten, ist nicht neu. Es hat selten zu überzeugenden Ergebnissen geführt, weil die Bühnenbildner-Künstler ein Primat formulieren, das an den Intentionen der Regie oft vorbeigeht. Als der Regisseur Alfred Kirchner für den Bayreuther "Ring" 1994 mit der Künstlerin Rosalie zusammengespannt wurde, überrannten deren vorlaute Bühnenbilderfindungen das brave Inszenierungskonzept. Von Strawinskys "The Rake's Progress" in Salzburg 1994 sind die frechbunten Bilder und Kostüme Jörg Immendorffs erinnerlich, hinter denen die assoziative Regie Peter Mussbachs längst verblasst ist. Und an der Bayerischen Staatsoper bühnenbebilderte gerade Georg Baselitz den "Parsifal", während Pierre Audis Regie ornamental oberflächlich blieb.

Überzeugender sind meist jene Künstler, die gleich auch noch Regie führen, weil sich da dann nicht widersprüchliche Intentionen in die Quere kommen. Die besten Beispiele sind Achim Freyer und William Kentridge. Und Jonathan Meese. Nachdem dieser als Bühnenbildner in Salzburg Wolfgang Rihms Nietzsche-Oper herausgebracht hatte, sollte er den "Parsifal" 2016 in Bayreuth machen, das Projekt zerschlug sich. Für Bernhard Langs "Mondparsifal" (Wien 2017) gab er dann sowohl den Regisseur und als auch den Ausstatter. In den besten Arbeiten dieser Art wird eine assoziativ die Musik erweiternde Bühne mit einer Personenführung verbunden, die als Mittler zwischen Klang und Bild fungiert.

Für solch eine Personalunion stehen auch die derzeit interessantesten Opernmacher: Romeo Castellucci und Dmitri Tscherniakow. Der Reiz von deren Arbeiten besteht darin, dass sie vom Bild her auf die Musik zugehen und sich nicht wie viele Nur-Regisseure in dramaturgischen oder hermeneutischen Spitzfindigkeiten verlieren. Diese Art des Regietheaters jedenfalls ist völlig aus der Mode. Jetzt bleibt abzuwarten, ob dem Bayreuther "Lohengrin"-Regisseur Yuval Sharon in den Bühnenbildern Neo Rauchs Ähnliches gelingt.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2018/luch
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