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Maler Joseph Stieler:Die Schönheit im Blick

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Sein Porträt Ludwig van Beethovens ist weltberühmt. Dennoch ist über den Künstler Joseph Stieler wenig bekannt. Ein neuer Bildband lädt nun zur Entdeckung des Familienmalers der Wittelsbacher ein.

Von Sabine Reithmaier

Von Joseph Stieler gemalt zu werden, war ein gesellschaftliches Muss. Jedenfalls für die Schicken und Schönen, die Reichen und Berühmten. Goethe saß ihm 1828 wenigstens zwölfmal Modell, lud ihn zum Mittagessen ein und fachsimpelte mit ihm über die Farbenlehre. Der ungeduldige Beethoven, den der Maler mit rotem Halstuch im Hausmantel porträtierte, hielt 1820 angeblich nur vier Sitzungen durch, nicht ahnend, dass gerade dank der Siebdrucke Andy Warhols sein bis heute am besten vermarktetes Konterfei entstand, das längst Tassen, T-Shirts und Briefmarken ziert.

Über die Ausdauer der jungen Damen, deren Porträts Stieler im Auftrag von König Ludwig I. für die Schönheitengalerie schuf, ist nichts bekannt. Aber während sie noch anmutig von den Wänden im Schloss Nymphenburg blicken, ist der Name des königlich bayerischen Hofmalers fast vergessen. Die Journalistin Sonja Still hat sich nun des "Celebrity-Chronisten" (Still) angenommen und lädt mit einem umfangreichen Bildband zur Wiederentdeckung des Malers (1781 - 1858) ein.

Seit der Dissertation Ulrike von Hase-Schmundts im Jahr 1971 haben sich Kunsthistoriker bestenfalls in Einzelaufsätzen mit Stieler beschäftigt. Auch Sonja Still liegt es fern, eine kunsthistorische Abhandlung zu schreiben. Sie lädt ein, "in aller Leichtigkeit in die Welt der guten Geleschaft des frühen 19. Jahrhunderts einzutauchen". Das gelingt ihr gut. Die ganzseitigen Porträts, die den ersten Teil des Buches ausmachen - darunter einige, die erst in jüngster Zeit auf dem Kunstmarkt wieder auftauchten - bezaubern ganz unmittelbar. Die biografischen Angaben zu den Dargestellten sind knapp gehalten, manchmal wünscht man sich, noch mehr über die Geschichten dahinter zu erfahren.

Der zweite Teil besteht größtenteils aus Interviews. Die Journalistin unterhält sich mit Max Emanuel, Herzog in Bayern, über die Bedeutung des Malers für die Familie der Wittelsbacher, plaudert mit zwei Ururenkelinnen über den ehemaligen Sommersitz des Malers am Tegernsee, heute ein liebevoll restauriertes Café. Sie besucht das dortige Heimatmuseum, das Arbeiten des Malers besitzt und lässt sich vom Kirchenhistoriker Roland Götz über die Vervielfältigungsgeschichte mancher Gemälde aufklären. Mit Silke Bettermann vom Bonner Beethoven-Haus spricht Still über das bereits erwähnte Porträt des Komponisten, während sie mit Rainer Schuster vom Münchner Auktionshaus Neumeister über den erfolgreichen Geschäftsmann Stieler redet. Einige seiner Gemälde sind in den vergangenen Jahren teuer versteigert worden.

Stieler wird am 1. November 1781 in eine Mainzer Künstlerfamilie hineingeboren, die Vorfahren waren Graveure und Wappenschneider. Der Vater erkennt das Talent des Sohns früh, fördert ihn, doch leider stirbt er, als Joseph erst acht Jahre alt ist. Das Kind versucht den Verlust mit exzessivem Zeichnen zu bewältigen, porträtiert die Familienmitglieder, malt ein vorzügliches Konterfei seiner blassen, verhärmten Mutter mit Spitzenhaube. Bald spricht sich sein Talent herum, die ersten Kunden kommen. Sein erster Mentor, der Reichsfreiherr und Erzbischof Karl Theodor von Dalberg, reich an Einfluss und Kontakten, verschafft ihm Aufträge, ermutigt den jungen Mann, doch ganz auf die Malerei zu setzen.

Mit 17 geht er nach Würzburg, lernt bei Christoph Fesl, dem Maler der Fürstbischöfe, und studiert schließlich von 1802 an in Wien an der Kaiserlichen Akademie. Deren Direktor Heinrich Füger hätte gern, dass er sich der großformatigen Ölmalerei widmet, doch das macht ein lästiges Augenleiden bald unmöglich. Stieler beschließt, bei den sehr nachgefragten Porträts zu bleiben. Er reist quer durch Europa, finanziert sich die Reisen durch Aufträge, marschiert von Wien aus zu Fuß über München nach Paris, fühlt sich dort angesichts der Kunstschätze und der berühmten Maler als "Glücklichster aller Sterblichen", wie er im Tagebuch schreibt.

Stieler malt Frauen aller Stände, entscheidend ist für seinen Auftraggeber König Ludwig das "Ideal der Schönheit"

Doch das größte Glück für seine Karriere ist es zweifellos, dass er 1908 in Mailand Napoléons Adoptivsohn, den Vizekönig Italiens, Eugène de Beauharnais kennenlernt. Der ist verheiratet mit Auguste Amalie von Bayern, die ihre Kinder von Stieler malen lässt. Eigentlich nur als Geschenke für die Großeltern in München: König Max I. Joseph und Königin Caroline sind begeistert, nicht nur von ihren Enkeln, sondern auch vom Maler. Es dauert noch drei Jahre, bis Stieler endgültig in München landet und zum Familienmaler der Wittelsbacher avanciert.

Zum Hofmaler ernannt wird er aber erst 1820. Mal malt er die Familie ganz privat, dann wieder staatsmännisch in vollem Ornat; er hält König Max 1825 auf dem Sterbebett fest. Vier Jahre zuvor hatte er schon die tote Prinzessin "Ni" porträtiert, die jüngste Tochter von Caroline und Max, die elfjährig an "Schleimfieber" starb. Und natürlich malt er den jungen, verwegen blickenden Kronprinzen Ludwig, der ihn später 23 Jahre lang von 1827 bis 1850 damit beschäftigt, die 38 Schönheiten für seine Galerie zu malen.

Eine skandalträchtige Angelegenheit von Anfang an: Stieler malt Frauen aller Stände, entscheidend ist für Ludwig das "Ideal der Schönheit", also körperliche, geistige und moralische Vollkommenheit. Von Anfang sorgen die Bilder für Entrüstung quer durch alle Schichten. Manche Väter verkraften die plötzliche Berühmtheit der Tochter nicht, auch eifersüchtige Verlobte hatten schwer zu schlucken. Aber die Vorteile für die Frauen überwiegen: Die Bürgertöchter machen allesamt gute Partien, der König zahlt die Mitgift und springt ihnen auch sonst in finanziellen Nöten bei.

Ludwig und sein Maler suchen die Damen systematisch aus, uneins sind sie sich nur bei Lola Montez, die den König letztlich den Thron kostet. Stieler will sie nicht malen, er hält sie anders als der König nicht für ein "ehrbares Frauenzimmer". Erst auf Druck greift er zum Pinsel, malt sie im Kostüm einer spanischen Tänzerin, was Ludwig unmöglich findet. Er besteht auf einem schwarzen, züchtig hochgeschlossen Samtkleid, ist aber auch dann noch nicht zufrieden mit seinem Maler.

Stieler, der 1823 den Münchner Kunstverein mitgründet, arbeitet in zwei Ateliers. In der Villa in der Barer Straße 6 beschäftigt er auch junge Künstler, die seine großen Gemälde kopieren, Stiche und Lithografien anfertigen. Das zweite Atelier liegt direkt in der Residenz. Natürlich malt er auch am Tegernsee in seinem Sommersitz, den er sich auf Wunsch von Ludwig I. zulegt. "Bau er sich ein Sommerhaus", sagte der König und wies ihm ein Grundstück auf der Tegernseer Point zu. Natürlich nicht umsonst, Stieler musste alles bezahlen. Denn Ludwig I., so kommentiert es zumindest Max Emanuel, Herzog in Bayern, "hat überhaupt nichts hergeschenkt".

Sonja Still: Joseph Stieler. Der königlich-bayerische Hofma ler , Allitera Verlag, München 2020

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SZ vom 14.11.2020
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