Ballett-Karrieren in Kriegszeiten:Spielbälle im Politpoker

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Vor dem Ukraine-Krieg ist auch die Ballettwelt nicht sicher - Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook verlassen das Bayerische Staatsballett Richtung Moskau

Von Dorion Weickmann

Auch sie tanzten auf der Krim: die ehemaligen Ersten Solisten des Bayerischen Staatsballetts Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook, hier in Cooks Choreografie "Played", als die beiden noch am Haus in München arbeiteten. (Foto: Ksenia Orlova)

Wenn sich Mitte September der Vorhang im Nationaltheater wieder hebt, wird das Bayerische Staatsballett mit neuen Gesichtern aufwarten. Zum Beispiel mit Yago Gonzaga, bisher in Perm engagiert, oder Julian MacKay, zuletzt in San Francisco unter Vertrag und nunmehr Verstärkung für die Riege der Ersten Solisten. Denn dort tun sich Lücken auf, die das Publikum schmerzen werden: Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook verlassen München Richtung Moskau. Der Weg führt sie nicht ans Bolschoi, sondern ans Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater. Also dorthin, wo Münchens neuer Ballettdirektor Laurent Hilaire bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs tätig war. Sein Nachfolger in der Leitungsfunktion ist ein vierundzwanzigjähriger Newcomer namens Maxim Sevagin. Was hat Ryzhkova und Cook zu diesem wagemutigen Schritt bewogen?

Der Wechsel des Traumpaars - beide sind um die dreißig, auch privat liiert und haben zwei kleine Kinder - dokumentiert die Turbulenzen, in die der Ukraine-Krieg die Ballettwelt gestürzt hat. Ryzhkova ist in Moskau geboren, Jonah Cook britischer Staatsbürger. Beider Karrieren wurden maßgeblich von Igor Zelensky, Ex-Direktor des Staatsballetts, gepusht, der im Frühsommer aufgrund enger Beziehungen zu Wladimir Putin den Chefsessel räumen musste. Für seine beiden Schützlinge offenbar ein entscheidender Grund, nun selbst das Weite zu suchen, wobei sie der SZ auf Anfrage mitteilten: "Nach Russland zu gehen, war gar nicht unsere ursprüngliche Hoffnung." Trotzdem halten sie Moskau für eine gute Option, und zwar nicht nur karrieretechnisch. Einerseits lebt Ryzhkovas Familie dort, andererseits hat der Brexit Deutschland und Großbritannien - sprich: Jonah Cook und seine Eltern - "gefühlt weiter entfernt denn je". Da macht Moskau keinen großen Unterschied mehr, findet der Tänzer.

Vom Starnberger See zum Roten Platz

Cook führt außerdem politische Motive an - ein Novum in der Tanzbranche. Kritisch betrachtet er die gegenwärtige Polarisierung der Gesellschaft: "Kulturelle Normen im Westen verschieben sich. Was vor zehn Jahren eine vernünftige konservative Meinung war, ist zu etwas Unaussprechlichem geworden". Vordergründig werde für Meinungsfreiheit gekämpft, aber eigentlich gehe es nur darum, "wer die Redefreiheit hat". Und noch etwas verstört den Tänzer, der in München das gesamte Repertoire mit hinreißender Eigenwilligkeit interpretierte und oft an Ryzhkovas Seite auftrat: "Der Aggressionspegel vieler Europäer gegenüber normalen russischen Bürgern ist erstaunlich - es wird Generationen dauern, bis das alles überstanden ist."

Manche Kollegen haben das Paar vor dem Alltag in Moskau gewarnt. Jonah Cook ficht das nicht an: "Die einfache Frage, ob sie je dort gewesen sind, bringt sie normalerweise zur Einsicht, dass sie Urteile ohne Sachverstand fällen." Problematisch erscheint ihm zudem die Politisierung der Staatsoper in den letzten Monaten: "Bis dahin stand die Kunst im Mittelpunkt", inzwischen könnten Künstler zu "Schachfiguren im Spiel eines anderen" werden - zu Spielbällen im Politpoker. Ob das in Moskau besser ist, sei freilich dahingestellt.

Jonah Cook scheidet nicht leichten Herzens von München, von den Freunden und Kollegen im Staatsballett. Das Paar - Noch-Wohnsitz in der Nähe des Starnberger Sees - wird Bayern vermissen. Die wichtigste Erfahrung für beide: "Dass wir uns hier kennen gelernt haben". Möge Russland sie gut empfangen. Und irgendwann wieder hergeben.

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