Süddeutsche Zeitung

Bayerische Staatsoper:Rasanter Aufstieg

Als Geiger hat Johannes Erath schon unter Kirill Petrenko gespielt. Nun inszeniert er an dem Haus, an dem sein ehemaliger Dirigent Generalmusikdirektor ist, Giuseppe Verdis "Un ballo in maschera"

Von Egbert Tholl

Man muss lange überlegen - und dann fällt einem doch keiner ein. Kein Opernregisseur, der zuvor als Musiker in einem Orchester gespielt hat. Schauspielregisseure inszenieren Oper, Sänger inszenieren Oper, Künstler inszenieren Oper. Aber Musiker? Da dürfte Johannes Erath ziemlich allein sein. Am Sonntag hat seine Inszenierung von Verdis "Maskenball" ihre Premiere an der Bayerischen Staatsoper.

Das ist natürlich kein Zufall. Schon als Kind, sagt er, sei er fasziniert vom Theater gewesen. So richtig ausleben konnte er diese Leidenschaft dann, als er zum Geigenstudium nach Wien ging. Da sei er dann jeden Abend im Theater gewesen, egal, ob dort gesprochen oder gesungen wurde. An der Wiener Staatsoper arbeitete Erath zwischen zeitlich als Statist, etwa in einer Inszenierung von Giuseppes Verdis "Jérusalem". Der Dirigent war damals Zubin Mehta. Mehta hat nun die musikalische Leitung vom "Maskenball" inne.

Es lief gut bei Erath mit dem Geigen. Im Wiener Musikverein spielte er etwa die Vierte von Brahms unter Sinopoli, er spielte im Orchester der Volksoper. Damals dirigierten dort Kirill Petrenko, Simone Young, Asher Fisch - "da waren die noch no names". Na ja, wohl nicht ganz. Der Intendant der Volksoper war damals übrigen Nikolaus Bachler. Die Produktion ist nun also ein multilaterales Wiedersehen, nach vielen Jahren und einigen Operninszenierungen, die Erath in Frankfurt, Hamburg, Graz und Wien ablieferte.

Johannes Erath saß also im Graben der Volksoper und schaute auf die Bühne hinauf. Er liebte es. Er liebte die ganze Zeit dort. Da wuchs in ihm ein Wunsch. Er wollte Teil, viel mehr Teil dieses ganzen Komplexes werden, wollte nicht mehr nur "die Energie in die Fingerkuppen leiten". Außerdem sagte er sich: Du hast mit der Geige viel erreicht, du kannst auch etwas Neues wagen. Also legte er die Geige weg und ging nach Paris.

Damals konnte er kein Wort Französisch, ging jeden Tag ins Kino, vor allem am Vormittag, da kann man dort sehr viele französische Filmklassiker sehen. Das hatte einerseits natürlich den Effekt, dass er die Sprache lernte, anderseits beschäftigte er sich damit, was zwischen den Menschen passiert. Wenn man nicht aufs Gesagte achtet, nicht dem Wort vertraut. Das findet man in seiner Opernregie wohl wieder: "Der hehre Anspruch ist schon, dass man es versteht, ohne die Übertitel lesen zu müssen." Daneben interessiert ihn die Frage, was zwischen den Szenen passiert.

Selbst in einer so perfekt, dicht und geschlossen gebauten Oper wie Verdis "Maskenball" gibt es natürlich das Ungesagte, das Nicht-Sichtbare, das, was sozusagen nicht vertont ist, nicht auf der Bühne dargestellt wird. Wie etwa eine etwas seltsame Verschwörung, ein dramaturgisches Handlungsvehikel, das so unmittelbar auftaucht wie es wieder verschwindet. Aber was passiert dazwischen?

Erath weiß selbst nicht, ob man die kleinen Nuancen, die er sich dafür ausgedacht hat, alle erkennt. Sagt aber selbst, dass das gar nicht notwendig ist. Vielleicht muss man diese als ein Surplus verstehen. Überhaupt verstehen: Erath ist wichtig, was das Publikum empfindet. Er will nicht hinterher die Frage hören: "Was haben Sie da gemeint?" Glücklich wäre er, wenn er eine Assoziationskette auslösen könnte, die dann natürlich bei jedem Zuschauer anders verläuft. Ein Hardcore-Konzeptualist ist er ohnehin nicht, dazu ist er viel zu sehr Musiker, aufgewachsen mit musikalischen Phrasen. Alles, was er auf der Bühne macht, soll in einem Verhältnis zur Musik stehen. Für Erath sind Überlegungen selbstverständlich, die manchem Regisseuren wohl nie kämen. Wie etwa: Im "Maskenball" liebt Riccardo Amelia, die Frau seines besten Freundes Renato. Riccardo ist in der von der italienischen Zensur freigegebenen Fassung Gouverneur von Boston - gemeint ist aber eigentlich ein (absolutistischer) Herrscher. Nun fiel Erath auf, dass Riccardo, schon im Libretto nicht mit durchschlagender Entscheidungsfreude ausgestattet, stets in entlegenen Tonarten herumflirrt, kaum festzulegen, kaum zu fassen ist. Was also bedeutet dies? Man kann mit Erath die ganze Oper Schritt für Schritt durchgehen, es ist schön zu erleben, wie er stets detailliert aus der Synthese von Wort und Musik heraus argumentiert. Der junge Mann wirkt dabei wie ein Exeget alter Schule. Er stellt sich die Fragen, die das Werk stellt. Er hört ihm zu. Und er hörte wohl auch Zubin Mehta genau zu, den er für seinen "supertheatralischen Instinkt" lobt.

Bald nachdem er in Paris angekommen war, bewarb Erath sich um eine Hospitanz in der Oper - "zum Glück bei einer Crew, in der fast alle deutsch sprachen". Für die Kostüme war dabei die Dresdner Kostümchefin verantwortlich. Die empfahl ihn nach Dresden. Zu Willy Decker. Und dann ging alles sehr schnell. Heute müsse er sich manchmal zwicken, um sich daran zu erinnern, dass er gerade als Regisseur und nicht als Komparse auf der Bühne steht.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2016
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