Die Macht des Intendanten:Ich bin das Theater

Eine strengere Hierarchie als am Theater findet sich nirgendwo in der Gesellschaft: Warum ein Opernintendant ein absoluter Herrscher sein muss.

Reinhard J. Brembeck

Der einzige Bereich, in dem sich die Demokratie noch absolute Herrscher leistet, ist das Theater. Dieser Herrscher heißt Intendant, und auch wenn es in Rundfunkanstalten und Konzerthäusern, bei Orchestern und Festivals ebenfalls Intendanten gibt, so ist deren Machtfülle doch eingeschränkter als der des Theater- und insbesondere der des Opernintendanten. Der kann nämlich das ganze Jahr über machen, was er will. Weil ihm inhaltlich völlig freie Hand gelassen wird.

Die Macht des Intendanten: Hat sich in München durchgesetzt: der Intendant Nikolaus Bachler.

Hat sich in München durchgesetzt: der Intendant Nikolaus Bachler.

Das muss man wissen, um zu verstehen, warum sich im Münchner Machtkampf zwischen Staatsopernintendant Nikolaus Bachler und Generalmusikdirektor Kant Nagano am Ende der Manager durchgesetzt hat und nicht der Musiker. Was wenig mit Kunst, aber viel mit Macht zu tun hat.

Zutiefst wesensfremd

Denn die öffentliche Hand will, kann und soll sich inhaltlich nicht in die Kunst einmischen, die ihr zutiefst wesensfremd ist und von der sie in der Regel auch nichts versteht. Oft wird deshalb Wahl oder Nichtverlängerung eines Dirigenten oder Intendanten als Anmaßung ahnungsloser Politiker empfunden. Denn Theater agiert im Spannungsfeld zwischen Repräsentation und Revolution. Wobei Politiker eher ersterer Position zuneigen. Weshalb dann auch allen Intendanten immer etwas Staatstragendes innewohnt, selbst wenn sie so lautstark auftreten wie ein Peymann.

Eine strengere Hierarchie als am Theater findet sich nirgendwo in der Gesellschaft, und es sollte zu denken geben, dass die darstellenden Künste von diesem Ideal nicht abrücken können. Dirigenten, Regisseure, Intendanten scheinen in ihrer absoluten Machtfülle unverzichtbar, um Kunst machen zu können.

Selbst wenn partnerschaftliches Kunstwollen als Ideal behauptet wird, gibt es im Zweifelsfall immer den einen Kunstwillen, dem zuletzt alle zu folgen haben. Obwohl John Cage gegen ein solches Denken rebelliert hat und manche Streichquartette das Gegenteil vorleben, hat Basisdemokratie am Theater und ganz generell in der Kunst einen ausnehmend schlechten Ruf. Was zeigt, wie ähnlich sich die Gesellschaft und ihre Kunst sind, und begründet, warum ein Theaterintendant mit solch einer ungeheuren Machtfülle ausgestattet wird.

An großen Opernhäusern, an denen genug Geld vorhanden ist, sind dem Intendanten selbst durch äußere Zwänge so gut wie keine Grenzen gesetzt. Er kann alle Sänger einladen, die er schätzt, er kann alle Stücke machen, die er für richtig hält, er kann sich Regisseure und Bühnenbildner ganz nach seinem Geschmack aussuchen. Doch nicht immer reicht dafür das Geld. Selbst an einem wirtschaftlich so gut aufgestellten Haus wie der Bayerischen Staatsoper konnte in der Schlussphase der Ära Peter Jonas ein "Boris Godunow" nicht realisiert werden, weil der allzu viele Sänger erfordert, und dafür war damals kein Geld da. Da offenbart sich die Zukunft.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wo die Grenzen sind.

Schuldenmachen ist eine Todsünde

Trotz dieser Machtfülle sind einem Intendanten dennoch Grenzen gesetzt.

Die äußeren Grenzen sind schnell beschrieben, sie werden durch die Politik definiert. So gilt Schuldenmachen heutzutage als eine Todsünde, und mittlerweile muss jeder Intendant als williger Sparkommissar funktionieren.

Die ausgebuhte Inszenierung

Vor allem aber muss der Intendant das Renommee der Stadt oder des Bundeslandes steigern, dessen Haus er vorsteht. Er soll Aufmerksamkeit erregen, bei Publikum wie Medien - ohne dabei jedoch als unqualifizierter Krachmacher aufzufallen, weil das dem Ansehen schaden würde. Dass viele Opernintendanten gerade ihr traditionelles Publikum regelmäßig durch moderne Inszenierungen provozieren, wird von der öffentlichen Hand durchaus geschätzt. Denn so lange der Unmut ein gewisses Grummeln nicht übersteigert, fördert das die Attraktivität des Hauses: Nur die ausgebuhte Inszenierung garantiert Aufmerksamkeit.

Andere Grenzen werden dem Intendanten vor allem durch die eigene Persönlichkeit gezogen. Muss er doch ein Menschenfänger sein, der - trotz und gerade wegen seiner institutionalisierten Überlegenheit - andere zur Mitarbeit überredet und motiviert. In der Regel sind Intendanten keine Künstler, und das ist gut so. Der Künstlerintendant hat nämlich allzu leicht nur seine eigenen Interessen im Sinn und verliert so die der anderen Ensemblemitglieder aus dem Auge.

Damit aber vergeht er sich an der zentralen Forderung, dass ein Intendant ein Pater familiaris zu sein habe, der all seine Mitarbeiter moderierend zu befeuern habe. Also gibt es auch nur wenige Beispiele für überzeugende Künstlerintendanzen. Besonders befremdlich sind Dirigentenintendanten, die in aller Regel die Bedürfnisse der Musik über die des Theaters stellen und somit ihr eigenes Scheitern provozieren.

Häufige und heftige Konflikte

Nun ist es ein alte und gern endlos diskutierte Streitfrage, ob in der Oper die Musik oder die Bühne wichtiger sei. Die Antwort aber ist ganz klar: Musik ist in der Oper das entscheidende Mittel, um Theater zu machen. Deshalb muss so gut wie möglich musiziert und dirigiert werden.

Aber Musik darf sich dabei nicht Selbstzweck sein wie im Konzert, sondern Mittel, um damit Theater zu machen, Charakter auf die Bühne zu stellen, Konflikte zu zeichnen oder Leidenschaften zu vermitteln. Dirigenten, Sänger und Hörer, die das nicht verstehen, werden sich immer schwer tun mit dem Hybrid Oper, das sich seit 400 Jahren Jahren scham- und hemmungslos bei sämtlichen ihr erreichbaren Künsten bedient.

Musiker mögen es aber gar nicht gern, wenn, wie im Theater, Musik benutzt wird. Deshalb sind die häufigen und heftigen Konflikte vorprogrammiert, die es zwischen Opernintendanten und ihren Chefdirigenten gegeben hat und gibt.

Schon Verdi focht einen (letztlich vergeblichen) Kampf dafür, dass seine Lady Macbeth nicht schön singen dürfe: Hässlich muss sie singen, um einen hässlichen Charakter zu zeichnen. Denn in der Oper zählt immer die Wahrheit der Szene und nicht die absolute Logik der Musik, die zum dienen verdammt ist. Und weil das so ist, steht an vielen Häusern der Opernintendant in der Hierarchie über dem Chefdirigenten, was für viele Musikfreunde einfach nur Unsinn ist.

Andererseits ist der Intendant die Geisel des Chefdirigenten. Man kann durchaus mit matten Sängern und einer schwachen Regie einen packenden Opernabend zustande bringen - wenn der Dirigent konsequent auf die Szene hindirigiert. Deshalb war beispielsweise für Zürichs dominanten Opernchef Alexander Pereira die Frage des Chefdirigenten immer zentral, weshalb er sich lange Zeit Franz Welser-Möst als Favoriten hielt.

Macht- und theaterbewusst

Sein noch sehr viel machtbewussterer Wiener Kollege Ioan Holender aber kam lange Zeit ganz ohne Musikdirektor aus, erst spät wählte er den wunderbaren, extrem höflichen und kaum machtversessenen Seji Ozawa. Der konnte Holenders Position nun wahrlich nicht erschüttern. Zudem war Holender, anderes als Pereira, vor allem an Sängern interessiert - weil anderes die Wiener sowieso kaum interessiert. Doch nun folgt Welser-Möst auf Holender, mit einem kaum sichtbaren, also womöglich schwachen Intendanten an seiner Seite: Ob das gut gehen wird, ist fraglich. In und an Wien ist schon eine beachtliche Reihe von großen Dirigenten gescheitert.

Blickt man vor diesem Hintergrund nach München, versteht man, den Weg den der ebenfalls äußerst machtbewusste und theaterbewusste Staatsintendant Nikolaus Bachler dort eingeschlagen hat. Ich bin das Theater, mag er nun denken, da sein Generalmusikdirektor Kent Nagano das Handtuch geworfen hat. Denn nun kann Bachler ungestört das Erbe von Pereira, Holender und Everding antreten.

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