Streit um Äußerung zu #allesdichtmachen:"Wir haben jetzt schon mal Platz gemacht"

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Georg M. Oswald ist Jurist und Schriftsteller. Zuletzt hat er den Roman "Vorleben" veröffentlicht (Piper, 2020). Seit 2020 arbeitet er als Lektor im Hanser-Verlag.

(Foto: Gerhard Leber/Imago)

Sechs Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben im Streit die Bayerische Akademie der Schönen Künste verlassen. Auch Georg M. Oswald, der hier erklärt, warum, und ob eine Zukunft dieser überalterten Institution noch denkbar ist.

Interview von Nils Minkmar

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste ist nur selten in den Nachrichten. Umso erstaunlicher ist die Beschleunigung, mit der die 1948 gegründete Institution dieser Tage ihre Konflikte an die Öffentlichkeit trägt. Auslöser, sicher nicht die Ursache, war ein Interview, das Akademiepräsident Winfried Nerdinger der SZ gab. Dort äußerte er Verständnis für die Aktion "#Allesdichtmachen", mit der Schauspielerinnen und Schauspieler die Corona-Maßnahmen pauschal kritisierten. Daraufhin erschien in der FAZ ein Protestbrief von 20 Akademiemitgliedern, die sowohl den Inhalt als auch den Stil von Nerdingers Aussagen bemängelten. Am Mittwoch nun kam es zum Eklat: Friedrich Ani, Dagmar Leupold, Jonas Lüscher, Norbert Niemann, Albert Ostermaier und Georg M. Oswald erklärten ihren Austritt aus der Akademie - bekannte Namen der Literaturklasse. Ein Interview mit Georg M. Oswald, zuletzt Direktor der Abteilung Literatur in der Akademie, die er jetzt verließ, über seine Sicht der Dinge.

SZ: Warum sind Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der bayerischen Akademie der Künste ausgetreten?

Georg M. Oswald: Wir haben versucht, mit dem Präsidenten eine Übereinkunft zu erzielen, wie interne Abstimmungen in der Akademie aussehen sollten. Nach unserer Auffassung ist es zwingend notwendig, dass der Präsident, bevor er mit Erklärungen an die Öffentlichkeit geht, sich ein Stimmungsbild in der Akademie macht. Und mehr als das, dass er die Mitglieder zur Diskussion einlädt. Aber er besteht darauf, seine Statements ohne eine solche vorhergehende Diskussion abzugeben. Ständig öffentlich mit Positionen in Verbindung gebracht zu werden, von denen man zuvor noch nie etwas gehört hat, ist kein Zustand. Es entspricht auch nicht unserer Vorstellung von demokratischer Diskussionskultur.

Präsident Nerdinger ist seit 2019 im Amt - entwickelte sich Ihre Kritik an ihm erst nach der Aktion "#Allesdichtmachen" und seiner wohlwollenden Reaktion, oder geht das schon länger?

Es ist ein grundsätzliches Problem: Selbstverständlich muss der Akademiepräsident mit niemandem reden, bevor er seine Stellungnahmen veröffentlicht. Aber es wäre sicher sinnvoll. Vielleicht hätte ein solches Gespräch seine Begeisterung für "#Allesdichtmachen" ein wenig gezügelt. Zu dem Zeitpunkt, als er das Interview gab, war die Aktion schon ausgiebig von AfD bis Maaßen beklatscht worden, und etliche der Mitwirkenden hatten sich davon bereits wieder distanziert. Und dann kam er und machte sich wegen der Kritik daran Sorgen um die Kunstfreiheit. Er bediente damit öffentlich einen Diskurs, den er, da bin ich mir sicher, keinesfalls bedienen will. Das hat nichts mit Furcht vor falschem Applaus zu tun, sondern einfach mit einer Aktion, die gründlich schiefgegangen ist. Hätten wir eine interne Diskussion geführt, hätte er diese Kritikpunkte bestimmt anders bewertet. Wenn nicht, hätte ich umso mehr das Bedürfnis gehabt, mich von diesen Positionen zu distanzieren. Gleiches gilt bei dem von ihm geplanten Lesebuch. Er hat in der Akademie eine ganze Literaturabteilung voller Fachleute, die ihm bei Nachfrage schnell erklärt hätten, dass eine coronakritische Mitglieder-Anthologie mit einem Paul-Celan-Vers als Titel so ziemlich das gruseligste Buchprojekt ist, das man sich ausdenken kann. Er kann sich das vielleicht nicht vorstellen, aber andere Menschen empfinden das Bedürfnis, solchen Vorhaben und Ansichten deutlich zu widersprechen, so wie er darauf besteht, sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Da kann es anderen nicht verwehrt sein, ihre Ablehnung ebenso zu veröffentlichen, nachdem alle internen Versuche, dies zu diskutieren, zu nichts geführt haben.

Welche Zukunft sehen Sie unter diesen Umständen für die Akademie?

Mit einem derart hoheitlichen Amtsverständnis wird das schwierig. Aber die Satzung gibt dem Präsidenten in gewisser Weise recht. Die Akademie soll danach "oberste Pflegestelle der Kunst" sein. Ob eine so hierarchische Kunstvorstellung nicht ohnehin komplett überholt ist, ist die Frage. Allein schon diese Formulierung klingt zumindest für heutige Ohren nach einer ziemlichen Anmaßung. Ob das ein sinnvoller Auftrag für eine Akademie sein kann, sollte überdacht werden. In der Satzung steht aber auch, wie dieser Auftrag erfüllt werden soll. Durch Konzerte, Vorträge, Lesungen und andere Veranstaltungen. Um da etwas wirklich Interessantes zu machen, bräuchte man aber das nötige Geld, das die Akademie nicht hat. Und sie dürfte nicht nur ein Austrag für hochbetagte, meistens männliche Honoratioren sein. Bei den Sitzungen war ich mit meinen 57 Jahren immer einer der Jüngsten. In der Literaturabteilung sind von 49 Mitgliedern neun Frauen. Das Wort Diversität habe ich in der Akademie überhaupt noch nie gehört. Und junge Leute werden gar nicht gewählt, auch wenn die Satzung dies keineswegs ausschließt. Mein Plädoyer wäre: Fenster auf! Türen auf! Junge Leute rein! Das wäre eine Akademie, die eine Zukunft haben könnte. Wir haben jetzt schon mal Platz gemacht.

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