"Bavaria" im Kino:Nix gesagt ist gelobt genug

Vor lauter Euphorie im Hubschrauber pressiert es ziemlich. In "Bavaria - Traumreise durch Bayern" führt Joseph Vilsmaier die Schönheiten seines Heimatlandes im Überflug vor. Die dunklen Seiten und das Elend der Modernisierung übersieht er.

Hans Kratzer

Die im 17. Jahrhundert in das oberpfälzische Stiftland hineingebaute Wallfahrtskirche Kappl ist eines der schillerndsten Bauwerke im Freistaat Bayern. Georg Dientzenhofer hatte der Kapplkirche seinerzeit mit elegant geschwungenen Mauern sowie mit drei schlanken Zwiebeltürmen eine orthodoxe Anmutung verpasst und die schwerblütige Landschaft auf diese Weise herausragend akzentuiert.

Bavaria - Traumreise durch Bayern von Joseph Vilsmaier

Eine Luftaufnahme des Sylvensteinspeichers in "Bavaria - Traumreise durch Bayern".

(Foto: Concorde Filmverleih GmbH)

Der Regisseur Joseph Vilsmaier und sein Pilot Hans Ostler haben es bei den Dreharbeiten für das Filmprojekt "Bavaria - Traumreise durch Bayern" nicht versäumt, die Kappl mit dem Hubschrauber zu umkreisen und sie im Glanz des nachmittäglichen Seitenlichts aufzunehmen. Im Film wirkt diese Sequenz allerdings ernüchternd, vor allem weil Vilsmaier kein einziges Wort über diese Perle hiesiger Baukunst verliert. Zwar kursiert in Bayern das Sprichwort "Nix gesagt ist gelobt genug", aber das wird die Zuschauer, deren Neugierde hier geweckt wird, kaum trösten.

Vilsmaier versteht seinen dokumentarisch angelegten Film, den er überwiegend aus der Luft gedreht hat, als eine Hommage an seine bayerische Heimat. Niemand solle sagen können, er habe Deutschland gesehen, wenn er Bayern nicht gesehen hat, benennt er seine an einen Spruch Ludwigs I. angelehnte Motivation. Leider lässt er jene Kinogänger, die nicht jeden Winkel des Landes picobello kennen, mehr als einmal ratlos zurück. Auch die hoch über Pfarrkirchen thronende Wallfahrtskirche Gartlberg, das Käppele in Würzburg, das Königshaus am Schachen und die Wetterstation am Hohen Peißenberg im Pfaffenwinkel besitzen von oben betrachtet eine spektakuläre Ausstrahlung, werden aber vom Regisseur ähnlich wie die Kappl mit keinem Wort gewürdigt.

Weil es dermaßen pressiert in diesem Film, sind die Schnitte oft ähnlich atemlos getaktet wie die Werbespots fürs Kinderfernsehen. Vilsmaier will dem Publikum alle bedeutenden Städte, Schlösser, Burgen, Kirchen und Klöster des Bayernlandes in 90 Minuten servieren - auf Hochglanz getrimmt, von Haindlings Klängen untermalt und mit einer futuristischen Kameratechnik eingefangen, die gleichwohl nicht verhindert, dass die Bildqualität merkwürdig volatil ist. So sehr der Regisseur aufs Tempo drückt, so wenig verrät er dem Kinobesucher, warum er Bayern als ein Bilderbuchland voller Sensationen fast irreal überzeichnet. Die Bilder wirken streckenweise wie ein Sedativum, mit dessen Hilfe das andere, das schattenseitige Bayern mit wenigen Ausnahmen (KZ-Gedenkstätte Dachau, Obdachlose in München) ausgeklammert wird.

Vilsmaier verschweigt, dass der Preis, den Bayern für seinen Aufstieg zu einem der größten Industrieländer Europas zu zahlen hat, mit Zersiedelung und Verschandelung beglichen wird. Es passt ins Bild, dass er ausgerechnet das Isental nicht überflogen hat, eine der eindrucksvollsten unbekannten Landschaften in Bayern. Die mäandernde Isen, das benachbarte Gattergebirge von toskanischer Anmut, stolze Einödhöfe, all das wird demnächst geopfert für eine Autobahn mit angehängtem Siedlungs- und Gewerbebrei, der Städte wie Pfarrkirchen und Eggenfelden schon längst bis zur Unkenntlichkeit überdeckt und erdrückt hat.

Ein Drittel aller Rindviecher

Wenn im Film dann von einem solchen Elend unberührte und durchaus beeindruckende Bilder vorübergleiten - der Blick auf die Kapelle am Riederstein, der dramatisch in eine Wolke stechende Wendelstein, die senkrechte Draufschau auf die Allianz-Arena, in der gerade der FC Bayern gegen den FC Basel spielt -, wünschte man sich umso mehr, Vilsmaier wäre ein bisschen von der Melancholie Joseph Roths berührt gewesen, von dessen Liebe zum Verschwindenden und den dazugehörigen Zwischentönen.

Oder von der Wehmut des Dichters Harald Grill, der seine Heimat nicht weniger liebt als Vilsmaier, der aber gerade deshalb an ihr verzagt. Und was wäre wohl herausgekommen, wenn er sich einen wie den Journalisten Dieter Wieland zur Seite genommen hätte, der in den Achtzigern mit alttestamentarischem Furor den fahrlässigen Umgang der Bayern mit ihren kulturellen und architektonischen Reichtümern gegeißelt hat.

Wenn Vilsmaier das neue industrielle Bayern zeigt, den Funkenflug im Hochofen, das Gewirr aus Roboterarmen in der Automobilbranche, dann entwickelt sein Film eine Dynamik, die stellenweise an die Bildsequenzen von "Koyaanisqatsi" von 1982 erinnert, eines Films, der mit eigenwilliger Bildsprache zur weltweit beachteten Zivilisationskritik ausholte. Vilsmaier zielt jedoch exakt in die andere Richtung. So blitzt in dem von dem Journalisten Hannes Burger geschriebenen Text, den der Regisseur selber spricht, viel zu viel Schulfunk und Schönrednerei auf und zu selten jener Hintersinn, der für den alten Bayernkosmos so typisch ist. Gerne hätte es mehr Sentenzen wie jene geben dürfen, wonach in Bayern ein Drittel aller Rindviecher lebt - "die wissen, wo es am schönsten ist."

Dass er schöne Bilder, Ironie und Skepsis zu einer packenden Einheit vermengen kann, hat Vilsmaier schon vor 25 Jahren mit "Herbstmilch" bewiesen. Es ist die Verfilmung des bitteren Lebens der Rottaler Bäuerin Anna Wimschneider, die, anders als Vilsmeier, keineswegs von einer unstillbaren Liebe zu diesem Land ergriffen war. Letztlich wollte sie hier nicht einmal begraben sein. Sie setzt damit einen scharfen Kontrapunkt zu einem Film wie "Bavaria" - jene Wimschneider also, deren Schicksal Vilsmaier den ersten großen Kinoerfolg beschert hat. In "Herbstmilch" hatte er auch die dunklen Seiten Bayerns mit unvergesslichen Bildern verewigt. In der Euphorie im Hubschrauber hoch über Bayern ist ihm diese Tugend abhanden gekommen.

Bavaria - Traumreise durch Bayern, D 2012 - Regie: Joseph Vilsmaier. Kamera: Joseph Vilsmaier, Irmin Kerck (Helikopter Kamera), Jakob von Lenthe, Gogol Lobmayr. Concorde, 92 Minuten.

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