Bauhaus vs. Luxus:Quadratisch, praktisch - gut?

Freischwinger für alle: Die große Bauhaus-Ausstellung in Berlin untersucht einen Mythos des 20. Jahrhunderts.

Lothar Müller

Eines der Worte aus der großen Wörterparade, die der Begriff Bauhaus nun schon seit Jahrzehnten unweigerlich hervorruft, ist: Freischwinger. Darauf kann jeder Geist ganz wunderbar herumturnen, auch wenn ihm das Geistige in der Kunst gar nicht liegt. Denn der Begriff Freischwinger, in die Welt gekommen mit dem Gegenstand, den er bezeichnet, ist einer der schönsten Neologismen des 20. Jahrhunderts: Er klingt so beschwingt nach Freiluft, Licht und Schaukel, dass sein Widerpart, von dem er sich mit sportlicher, boxerischer Effizienz abstößt, geradezu blamiert zurückbleibt: der schwere, nur mit Mühe verrückbare, alle Familiendramen von Ibsen bis Strindberg in seinen riesigen Ausbuchtungen verstauende Sessel des 19. Jahrhunderts. Eine Firma, pardon, eine ästhetische Bewegung, die ein Sitzmöbel mit einem solchen Namen in die Welt schickt, kann nicht ganz erfolglos sein.

Bauhaus vs. Luxus: Er klingt so beschwingt nach Freiluft, Licht und Schaukel: der Freischwinger.

Er klingt so beschwingt nach Freiluft, Licht und Schaukel: der Freischwinger.

(Foto: Foto: ddp)

Soeben wurde im Berliner Gropiusbau, dem ehemaligen Kunstgewerbemuseum, das nach Martin Gropius benannt ist - einem Großonkel des Bauhaus-Gründers und ersten Direktors, Walter Gropius -, die Ausstellung "Modell Bauhaus" eröffnet. Drei Institutionen haben sich für diese große Überblicksschau zusammengetan: die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Bauhaus Dessau und das Bauhaus-Archiv Berlin. In Weimar wurde das Bauhaus 1919 gegründet; in Dessau erlebte es, von der DVP-Regierung in Thüringen durch Etatkürzungen vertrieben, von 1925 bis 1932 seine Blütezeit; in Berlin residierte es unter Mies van der Rohe nur kurze Zeit, ehe es im Sommer 1933, nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, geschlossen wurde.

Man kann nun in Berlin einen Abguss der von Walter Gropius entworfenen Inschrift betrachten, die am Nationaltheater 1922 enthüllt wurde, um der dort tagenden Nationalversammlung zu gedenken, aus der die Republik von Weimar hervorging. Und man wird im letzten, schwarz grundierten Ausstellungsraum auf Albert Hennigs Skizzenblätter "Notizen zum gewaltsamen Ende einer Idee" (Frühsommer 1933) stoßen.

Aber die politische Geschichte des Bauhauses zwischen Stadträten, Landesregierungen und der Großwetterlage im Deutschen Reich wird hier eher en passant miterzählt. Das international einflussreiche Fortwirken der Protagonisten im Exil ist nicht ihr Thema. Im Zentrum der Schau steht die Innenansicht des Bauhauses als Schule der Formbildung, und diese Binnenperspektive macht die von Detlef Weitz und Rose Epple entwickelte Ausstellungsarchitektur von Beginn an klar.

Sie leitet den Besucher im Farbkreis von Johannes Itten durch die locker chronologisch gegliederte Schau: vom Gelb der Weimarer Jahre ausgehend changiert sie in den Dessauer Räumen von Orange-Rot bis Lila, ehe sie in Berlin das Farbspektrum von Blau und Grün erreicht und im Schwarz der Schließung endet. Dies wie der Umstand, dass der Besucher die Ausstellung durch große farbige Dreiecke, Quadrate und Kreise verlässt, macht ein Anliegen der Kuratoren unmissverständlich deutlich: Sie wollen ihren Gegenstand nicht im Begriff des "Funktionalismus" verschwinden lassen, der kaum je auftrat, ohne die "weiße Moderne", die "Abstraktion" und - als kleinen Rattenschwanz - die Formel "less is more" im Schlepptau zu haben. Das ist eine gute Idee, weil so nicht nur die Buntheit, sondern auch der Synkretismus des Bauhaus hervortritt.

Angesichts der etwa 1000 Exponate, zu denen neben den Veranstaltern Leihgeber bis hin zum Museum of Modern Art beigetragen haben, gerät der Betrachter denn auch eher in eine Art Pendelbewegung, als dass er einer Formel für das "Modell Bauhaus"habhaft würde. Er stößt nämlich immer wieder auf die Polarität von Aufgreifen und Erfinden, Ausprobieren und Festlegen, der Hinwendung zu und der Abwendung von den Imperativen technisch-industrieller Modernität.

Lesen Sie auf Seite 2 über den Tribut an Afrika und China.

"Bau dir dein eigenes Bauhaus"

Und er stößt nicht nur auf den berühmten Freischwinger und immer mobilere, zerlegbarere Versionen von Marcel Breuers "Clubsessel B 3", dessen Stahlrohrkonstruktion die technische Präzision des Begriffsfeldes "Freischwinger" unmittelbar anschaulich macht. Er stößt zugleich auf den prominent inszenierten "Afrikanischen Stuhl", den Marcel Breuer und Gunta Stölzl als junges Paar in Weimar aus Eiche und Kirschholz gebaut, mit Farben als Symbolen von Männlichkeit und Weiblichkeit bemalt und mit einer geflochtenen Rückenlehne aus Hanf, Wolle, Baumwolle und Seide versehen haben.

Dieser Tribut an die Entdeckung der afrikanischen Kunst im Expressionismus, dem der chinesische Künstler Ai Weiwei für die aktuelle Ausstellung Bambus-Versionen an die Seite gestellt hat, setzt einen Gegenakzent zum Freischwinger. So schlank er gebaut ist, hat er mit seiner hochaufragenden Lehne doch die Festigkeit und Erdverbundenheit eines Thrones. Er soll entweder ein Thron der Liebe innerhalb der Privatmythologie des jungen Paares oder ein Thron für den ersten Bauhausdirektor Walter Gropius gewesen sein.

Hier ist die erste Deutung vorzuziehen. Denn in dieser Ausstellung gibt es zwar die großen Meister und die Direktoren des Bauhauses, von Gropius selbst über Johannes Itten und Paul Klee, Kandinsky und Moholy-Nagy bis zu Hannes Meyer und Mies van der Rohe. Aber so eindrucksvoll Ludwig Mies van der Rohes Entwurf zum Ideenwettbewerb "Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße" aufragt, so programmatisch sind hier die Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Design-Objekte, Architekturskizzen- und Modelle oder typographischen Entwürfe der Meister vor den Hintergrund der Kunstschule gestellt, als die das Bauhaus in Weimar nach dem Untergang der Vorkriegswelt gegründet wurde. Die Bündelung der Energien aller Kunstgattungen war als soziales Experiment gedacht.

Wer die Exponate betrachtet, die 1923 in der Bauhaus-Ausstellung in Weimar gezeigt wurden, die Divanbehänge, das Porzellan, die Möbel, der findet in den Nebenräumen, gleichgewichtig zu all den berühmten Objekten, die Welt der "Vorkurse", in denen Josef Albers, Oskar Schlemmer oder Joost Schmidt den angehenden Schülern Aufträge im Umgang mit Materialien wie Papier, Glas oder auch Metall erteilten - um ihre Begabungen in einer Weise zu testen, die der Auswahl nach Maßgabe von Abiturnoten diametral entgegengesetzt ist.

Man sieht hier nicht nur die (zunächst zweckfreien) Gegenstände, die in die Dreidimensionalität hochwuchsen. Man sieht Übungen in "Materialökonomie". Diese Orientierung an Effizienz im Umgang mit dem Material gewann in Dessau zwar die Nähe zur großen Industrie, zum Flugzeugbau bei Junkers, zugleich aber blieb stets eine gewisse Spannung zwischen den rein industriellen Werkstoffen und denen des traditionellen Handwerks bestehen. Viele Design-Formen des Bauhauses lösten sich auf dem Weg zur Massenproduktion von der ursprünglichen Materialbindung.

Gegenstände nicht für den Luxusbedarf, sondern für den Volksbedarf hatte Hannes Meyer, genossenschaftlich inspiriert, ins Auge gefasst. Nun laufen alle Ausstellungsräume im Gropiusbau um die "Volksboutique"-Installation von Christine Hill herum: "DIY Bauhaus - bau dir dein eigenes bauhaus!" Hier hat der Werkzeugkasten aus dem Baumarkt "Bauhaus" das Sagen, Walter Gropius plakatiert als der Werbespezialist, der er war, die Außenwände, und spöttisch machen leichte Ikea-Möbel dem Freischwinger Konkurrenz.

"Modell Bauhaus", Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 4. Oktober. Info: www.modell-bauhaus.de. Katalog (Buchhandlung Walther König) im Museum 29,80 Euro.

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