"Bastard" im Kino:Ausgekochtes Schneewittchen

"Bastard" im Kino

Mathilda und Leon wollen ihre Eltern erziehen.

(Foto: W-film / Kerstin Stelter)

In Carsten Ungers Debütfilm erpressen zwei Jugendliche ihre Eltern. Während die sozialkritische Handlung vorhersehbar bleibt, brilliert besonders die Hauptdarstellerin: Sie ist zart-verletzlich und gleichzeitig eine ausgekochte "teenage-bitch".

Von Rainer Gansera

Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, müssen erzogen werden. Am besten erhalten sie Nachhilfe und Unterweisung von den Kindern selbst. Die Rollenumkehr in Sachen Erziehungsberechtigung scheint ein virulentes Thema zu sein, auch im Kino.

In Carsten Ungers Debütfilm "Bastard" findet sich eine Szene am familiären Abendtisch, die ähnlich schon in anderen aktuellen deutschen Filmen zu sehen war. Da geben Kinder die Erziehungskommandos: "Nicht herumzappeln! . . . Jetzt müsst ihr fragen, wie es in der Schule war!" In diesem Film ist das ein erpresserisches Spiel, Teil eines Rachefeldzugs, bei dem dreizehnjährige Kids ihren Anspruch auf harmonische Vater-Mutter-Kind-Geborgenheit mit schrillen Provokationen einklagen.

"Bastard" beginnt mit drei Akkorden, in drei verschiedenen Tonlagen. Zuerst sieht es nach Horrormovie aus, wenn eine Nachtlicht-Videokamera durch ein Kellerverlies geistert. Dann im Schwimmbad die ersten Skizzen zum Porträt einer koketten Lolita, die ältere Herren, vorzugsweise Familienväter, anmacht. Drittens startet eine handelsübliche Tatort-Ermittlung, wenn Kriminalpsychologin Meinert (Martina Gedeck) erscheint, um die Spuren eines Entführungsfalls aufzunehmen. Alle drei Motive werden weitergesponnen, wobei sich zeigt, dass Carsten Unger der Lolita-Figur, sie heißt Mathilda, die größte Hingabe schenkt.

Das Kinder-Duo: Unschuldig und böse zugleich

Für sie hat er eine brillante junge Darstellerin entdeckt, Antonia Lingemann, die der schwierigen Balance von Unschuld und Durchtriebenheit mühelos gewachsen ist. Mathilda, 13, haust mit ihrer alkoholsüchtigen, alleinerziehenden Mutter in einer Absteige des sozialen Wohnungsbaus. Wenn sie auf dem Rummelplatz steht, mit Lippen so knallrot wie der glasierte Apfel, an dem sie knabbert, erstrahlt sie in ihrem doppeldeutigen Glanz: einerseits zart-verletzliches Schneewittchen, andrerseits ausgekochte teenage-bitch.

Auf der Erzähloberfläche geht es um Leon, auch er 13, der herausfindet, dass seine wohlhabenden, blasierten Eltern nur Adoptiveltern sind. Mit der Entführung eines Mitschülers will er sich an seine leibliche Mutter, die ihn einst in einer Babyklappe ablegte, heranpirschen.

Auch Leon-Darsteller Markus Krojer fügt sich prächtig in seine Rolle, deren Abgründigkeit freilich immer ein wenig aufgesetzt erscheint. Leon und Mathilda, die sich zusammentun, sollen als Böse-Kinder-Duo faszinieren und auf ihre Seite ziehen: böse und unschuldig, böse geworden, weil aufgewachsen in Kältezonen der Lieblosigkeit.

"Bastard" hat das Prädikat "Besonders wertvoll" in thematischer Hinsicht erhalten. Tatsächlich aber bleiben die sozialthematischen Koordinaten, die Carsten Unger im Verlauf der Filmhandlung absteckt, im Vorhersehbaren. Auch der Erzählstrang des Ermittlungskrimis folgt eher dem Kurs blasser Pflichtübungen. Seine Stärken entfaltet Carsten Unger, wenn er sich ins Mathilda-Universum einschwingt. Da erhalten die Bilder Prägekraft, Thrill und Emotion. Da bezeugt der Psychothriller "Bastard" im Reigen der aktuellen Versuche, hierzulande Genrekino wiederzubeleben, eine aufregende Virtuosität.

Bastard, Deutschland 2011 - Regie, Buch: Carsten Unger. Kamera: Lars Petersen. Musik: Steve B-Zet, Ralf Hildenbeutel. Schnitt: Dora Vajda. Mit: Martina Gedeck, Markus Krojer, Antonia Lingemann, Sibylle Canonica, Hanns Zischler, Thomas Thieme, Finn Kirschner, Matthias Koeberlin, Beate Maes, Stephan Schad. W-Film, 125 Minuten.

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