Wiener Staatsoper:Oh Mann

Don Giovanni
Wiener Staatsoper

Don Giovanni (Kyle Ketelsen) hat Erfolg bei Frauen, (wie hier Patricia Nolz als Zerlina), weil er der Meinung ist, dass er unwiderstehlich ist.

(Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper)

Mozarts "Don Giovanni" wird gern als Frauenverschlinger inszeniert. An der Wiener Staatsoper läuft es gerade anders.

Von Helmut Mauró

Mozarts Oper "Don Giovanni" ist ja trotz Arienüberschwang und Handlungsspannung vor allem eines: eine Abhandlung der menschlichen Sexualität zwischen urwüchsigem gewaltaffinen Trieb und der zivilisierten Variante von Verführung und Koketterie, Leidenschaft und Empathie. Das Bühnendrama bietet hierbei keine einseitige pamphlethafte Stellungnahme, sie wertet nicht einmal, obwohl der Frauenverschlinger Don Giovanni am Ende zur Beruhigung der Bauern- und Adelsgesellschaft zur Hölle fährt. Da kommt Freude auf in der Runde der Enttäuschten, eine moralisch kontaminierte Freude, die sich aus dem Schaden des anderen nährt.

Der Schutz der Allgemeinheit wird als Tatmotiv nicht einmal vorgeheuchelt, darin unterscheidet sich die Debattenkultur wenig von vielen heutigen. Es ist ein zeitloser Diskurs, der zum Prozess der Zivilisation gehört. An den Inszenierungen, aber auch an der musikalischen Regie von "Don Giovanni" kann man jeweils ablesen, auf welchem Stand der Diskussionskultur wir uns befinden. Bis in die 1970er-Jahre sah man Don Giovanni noch als echten Kerl, der kein Degengefecht und keine Frau links liegen ließ. Ein Draufgänger, wie ihn die Kriegsgeneration als Rollenmodell vergötterte.

Regisseur Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin und vielleicht etwas vorschnell als hochtalentierte Ulknudel des Opernbetriebs abgestempelt, hat in der Neuproduktion des "Don Giovanni" an der Wiener Staatsoper einen anderen Weg eingeschlagen. Nachdem die realen gesellschaftlichen Debatten um Sexualität und Sozialmoral hitzige Höhepunkte erreicht haben, zieht sich Kosky mit seiner Inszenierung gleichsam daraus zurück und zeigt die Oper als das, was sie im Kern ist und vielleicht einfach bleiben sollte: eine Sozialparabel, in der das allgemein Menschliche konkret unmenschlich wird, in der die Handhabung der Sexualität symptomatisch ist für den generellen Umgang miteinander, für erstarrte Moral und Kommunikationsunfähigkeit. Der Einzige, der souverän und virtuos kommuniziert, ist Don Giovanni. Deshalb hat er leichtes Spiel bei der Verführung der Frauen, und Kyle Ketelsen verkörpert diesen Typus des selbstsicheren Lebemannes virtuos. Auch weitgehend stimmlich, wenngleich sich sein gut sitzender tiefer Bariton gerade in der Höhe hin und wieder unschön verengt.

Kosky konzentriert sich auf das, was er kann: eine ausgeklügelte Personenregie

Wäre der Sexbaron nicht einmal zu weit gegangen, indem er Donna Anna zu vergewaltigen versucht und deren dazwischenfunkenden Vater im Duell erstochen hat, dann müsste man diesen Mann feiern als Inbegriff herzhafter Lebensfreude. Selbst im Zustand des Animalischen wirkt er charmant, als er sich mit Leporello hinter einen Felsen kauert und löwenhaft auf Beute lauert: "Ich rieche Frauenduft." In vielen Inszenierungen bleibt dieser Widerspruch bis in die regelmäßig missglückte Komturszene bestehen, wenn der tote Vater als Rachegeist auftaucht und als sprechende Marmorstatue den Wüstling moralinsauer zu Tode quasselt.

In der Wiener Produktion entsteht diese Gefahr gar nicht erst. Kosky taucht die ganze Oper in eine graue Felslandschaft, in der auch die fröhlichsten Partyszenen, die normalerweise im glamourös beleuchteten Schloss stattfinden, zu einem Karnevalsgehampel in Endzeitstimmung heruntergedimmt werden. Eine Inszenierung, die drei Stunden lang mit einem solch drögen Bühnenbild auskommt, ohne zu langweilen, ist bemerkenswert. Man kann nur hoffen, dass dieses Beispiel nicht wieder Schule macht, denn in aller Regel lassen solche Einheitsbilder die Aufmerksamkeit ins Bodenlose sinken.

Nicht so bei Kosky, der sich darauf konzentriert, was er meisterlich beherrscht: eine detailverliebt ausgeklügelte Personenregie. Jeder Auftritt ist vorbereitet und nachbereitet, man hört die Entschwundenen noch aus der Kulisse rufen, niemand stolpert einfach so über die Bühne, keine Schauspielbewegung dient sich selbst. Neben, vielleicht sogar noch vor Kyle Ketelsen ist es vor allem Philippe Sly, der als Leporello stimmlich und schauspielerisch glänzt. Manchmal ein bisschen ungelenk in den Bewegungen, aber im Vergleich zur Streaming-Premiere schon deutlich routinierter.

Live kommt zum Leben, was in der Stream-Premiere schlecht funktionierte

Diese coronabedingte Streaming-Premiere zeigte vor allem, dass Oper auf dem Bildschirm nur sehr schlecht funktioniert. Das betrifft nicht nur die Akustik, sondern auch das schauspielerische Moment. Vieles sieht man genauer als nötig, dafür hat man selten bis nie den Gesamteindruck, den man live permanent hat und der erst jenen Bezugsrahmen liefert, in dem die einzelne Aktion sinnvoll wird. Man wird aufs Detail gezwungen, auf den verengten Blick, und soll nach Absicht des Komponisten doch das Detail nur als Ausgangspunkt fürs größtmögliche Ganze wahrnehmen. Sonst wäre das alles Klamauk und nicht jene hintergründige Komödie, die Mozart mit seinem Textdichter Da Ponte der reinen Unterhaltungskunst entgegengestellt hat.

Gerade darin zeigt sich Mozart doch als wahres Genie, und Dirigent Philippe Jordan, seit einem Jahr Musikdirektor des Hauses, bemüht sich auch vom ersten bis zum letzten Takt um das richtige Tempo, den jeweils passenden Tonfall, gerät dabei oft in ein etwas zerdehntes Zeitgefühl, will offenbar keine Note unterbelichtet lassen. Leider auf Kosten eines dramatisch zupackenden Vorwärtsdranges, aber natürlich hinreißend in den langsameren lyrischen Arien. Patricia Nolz als Zerlina - mit einem ausbalancierteren Mezzosopran als die mitunter schneidend scharf artikulierende Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna - glänzt hierbei ebenso wie Stanislas de Barbeyrac als Don Ottavio, ein in guten Momenten fantastischer lyrischer Tenor, der im Gegensatz zur Stream-Premiere live vollkommen überzeugt und die ganze Tragik des einzigen selbstlos Liebenden in dieser Oper aufdeckt. Er wird von Donna Anna, die sich als reines Opfer selbst inszeniert, gnadenlos missbraucht.

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