Barney Hoskyns: Tom Waits:Hobo - frühvollendet

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Straßenrand und Große Oper: Barney Hoskyns hat eine 700 Seiten starke Mutmaßung zur Person Tom Waits verfasst. Die dieser nicht wollte und alles daran setzte, sie zu verhindern.

Bernd Graff

Wenn man den jungen Tom Waits, Youtube sei Dank, heute in seinen ersten Fernseh-Interviews sieht, dann besticht die schon früh ausgebildete Perfektion seiner Unangepasstheit. Waits ist Ende der siebziger Jahre bereits leidlich erfolgreich, und das nicht nur, weil er mit einer unverwechselbaren Stimme ausgestattet ist. Er ist es auch deswegen, weil er das Gegenteil des Hitparaden-Mainstreams verkörpert. Waits zelebriert seinen Nonkonformismus und kokettiert damit, ein kettenrauchender Boozer zu sein.

Tom Waits: Hasardeurs im Obdachlosenschick? (Foto: Foto: getty)

Ein Pegeltrinker, der kühn von sich behauptet, kein Problem mit dem Alkohol zu haben, solange genug davon da ist. Entsprechend inszeniert er sich mit der umwölkten Nonchalance des Gewohnheitstrinkers: Die Syntax seiner Sätze folgt der Logik des Rausches, man notiert den nicht fokussierenden Blick, die rudernden Gesten und eine beschwipste Hemmungslosigkeit im Umgang mit seinen Interviewpartnern.

So erklärt Waits 1976, dass er sich weder als Poet noch als Sänger verstehe, sondern vielmehr als Prediger, der ab und zu auf einer Kneipentoilette erwache. Ein Jahr später zückt er in der Show Fernwood 2 Night den Flachmann und antwortet auf die Frage, wie ihm denn die Stadt gefalle, dass er in einem Restaurant speisen musste, in dem die Köche nicht wussten, wie sie ein Gericht servieren sollten, das sie zuvor per Anhalter mitgenommen hätten.

Einem australischen Showmaster liefert Waits 1979 ein Nicht-Interview an der Grenze autistischen Verhaltens. Er schwankt, stiert grummelnd auf den Boden. "Gibt es da unten etwas, von dem ich wissen müsste?", fragt der Fernsehmann. Waits nuschelt: "Warum machen wir nicht einfach weiter?" Der Australier kommt dann auf den mutmaßlichen Reichtum von Waits zu sprechen. "Sie genießen Kultstatus und sehen für mich aus wie ein Leprechaun", provoziert ihn der Host.

Mann mit der Reibeisenstimme

Damit meint er den Schuhmacher aus der irischen Mythologie, der verhärmt erscheint, aber heimlich Gold scheffelt und hortet. Waits reagiert geistesgegenwärtig - und überhaupt nicht betrunken: "Ja, ich genieße eine gewisse Popularität in Japan, Europa, sicherlich auch in Irland. Man kennt mich aber auch in Iowa . . . und im übrigen", jetzt mit offenem, klaren Blick, "habe ich gerade den Eindruck, meine Großmutter zu besuchen." Waits ist da noch nicht einmal dreißig Jahre alt, aber schon in jeder Hinsicht selbstbestimmt, rollensicher und sattelfest im Geschäft.

Man wird also bei dem extrem öffentlichkeitsscheuen Mann mit der Reibeisenstimme zu unterscheiden haben zwischen einerseits der Kunstfigur des trunkenen Hobos, der aus der Romantik des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart gefallen zu sein scheint, um Kintopp-Musik zu Großer Oper umzuschreiben. Und andererseits dem Menschen Tom Waits, der seit mehr als einer Generation äußerst erfolgreich Film-, Musik- und Musiktheatergeschichte schreibt, branchenüblich verdient und die Medien lieber meidet.

Insofern ist jeder Biograph von Tom Waits gefordert, dem Konstrukt des Hasardeurs im Obdachlosenschick nicht auf den Leim zu gehen. Und darum muss die über 700 Seiten starke Biografie von Barney Hoskyns verwundern, die im Original: "Lowside of the Road: A Life of Tom Waits" heißt und gerade als "Tom Waits. Ein Leben am Straßenrand" auf deutsch erschienen ist. Denn welches "Leben am Straßenrand" Hoskyns da auch immer ausgemacht haben will, es dürfte nicht das von Tom Waits sein, sondern das seines Bühnen-Avatars.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Hoskyns Indizienbiografie über Tom Waits' Leben so unterhaltsam ist.

Hoskyns weiß um seine Lage: Den Auftakt seines Buches bildet eine gut 10-seitige Begründung, warum er dieses Buch besser nicht geschrieben hätte. Tom Waits, den Hoskyns in dessen dreißig Karrierejahren zweimal persönlich getroffen hat, schlug die Bitte um Mithilfe an dem Biographie-Projekt nicht nur aus, er versuchte auch, die Recherche daran zu verhindern. Wie im Chor ertönte das Nein von Wegbegleitern, die substantiell hätten beitragen können: Keith Richards, Jim Jarmusch, Elvis Costello, Chuck E wollten sich nicht äußern. Rickie Lee Jones, Waits' Gefährtin für einen Lebensabschnitt, antwortet sogar: "Waits, hmm, was gibt's da zu sagen? Ich warte auf ein Buch über MICH."

Für diese Absagen, da ist sich Hoskyns sicher, zeichne Kathleen Brennan verantwortlich, die Ehefrau von Tom Waits. Das Paar, so bilanziert er bereits auf Seite 13, "will nicht, dass ein Buch erscheint, das Waits auf so eine pseudofreudianische Tour auf die Summe seiner Lebenserfahrungen reduziert. Und dafür habe ich durchaus Verständnis." Danach müsste der ungewollte Biograph den Griffel eigentlich weglegen. Zumal Waits auch ausdrücklich erklärt hat: "Die Öffentlichkeit ist ein wildes Tier. Es ist besser, sie nicht allzu gut zu füttern." Doch Hoskyns will ihr partout Futter geben, und sei es eine voluminöse Mutmaßung zur Person. Pseudofreudianisch, ad hominem. Doch das ist nicht einmal eine Schande. Jedenfalls keine große.

Denn Hoskyns hat akribisch recherchiert und dann gedeutet, was sich so deuten lässt. Das tut er, indem er in den Wald an verfügbaren Zeugen hineinruft, den er dann vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Er holt so viele Originalstimmen aus dem weiteren Umfeld, dass ihm deren Kakophonie gar nicht auffällt. So liest man über Rickie Lee Jones' Karrierestart auf aus Beteiligtenmund: "Diese Mieze zieht die totale Show ab. Ich habe keine Ahnung, ob sie nur das geringste Talent hat, aber sie weiß, wie man Aufmerksamkeit bekommt." Zwei Seiten weiter klingt es aus neuer Quelle ganz anders: "Sie schien nicht ehrgeizig zu sein. Das Tamtam . . . interessierte sie überhaupt nicht." Ja, was denn nun?

Obwohl Hoskyns Tom Waits' Leben als Indizienbiografie aus Fundsachen und dem Sound des Hörensagens zusammensetzt, ist das Ergebnis der Recherche äußerst unterhaltsam. Aus dem Dickicht an disparaten Informationen schält sich nach und nach so etwas wie eine Gestalt heraus, von der man nur zu gerne glauben möchte, dass sie Waits sein könnte.

"I did it my way"-Sinatra

Demnach wurde der Künstler 1949 in Whittier, einem kalifornischen Mittelklasse-Traum von überschaubarer Urbanität, als Kind zweier Lehrer geboren. Vater Frank, ein strammer Trinker, verließ die Familie früh, doch, wie Waits einmal sagte, reichte seine Erziehung zum unfallfreien Umgang mit Messer und Gabel. Seine Mutter zieht mit der Restfamilie in das sonnenumschmeichelte San Diego. Waits lernt dort die Drop-Outs und Beatniks der Sechziger kennen, verschlingt Kerouacs "On The Road", vergöttert Ray Charles, jobbt als Pizza-Bäcker, nimmt Piano-Stunden und entwickelt sich auch sonst ganz prächtig. Allerdings in Richtung eines freiwillig frühvergreisten Weisen, der den Hippies und politisch plusternden Folkschrammlern seiner Generation die Kopie eines "I did it my way"-Sinatra entgegensetzt.

Hoskyns' Buch operiert an diesen frühen Jahren mit dem Besteck eines Neuro-Chirurgen: fein, vorsichtig, Fasern freilegend. Von den ersten Alben über die Beziehungen zu Bette Midler und Rickie Lee Jones zu den "Asylum Years", der Zeit unter Vertrag des Label-Chefs David Geffen. Es sind dies, stets eingedenk der lärmenden Zeugen-Kompanien, die der Autor jeweils auffährt, die aufschlussreichsten Kapitel seines Buches. Während der Arbeiten an Francis Ford Coppolas "One From The Heart" lernt Waits 1982 seine spätere Frau Kathleen kennen, mit der er inzwischen drei Kinder hat.

Diese Ehe nährt auch Waits' künstlerisches Schaffen, holt ihn im Lauf der Jahre mehr und mehr aus der Hobo-Ecke. Er schwört Alkohol und Nikotin ab und orientiert sich an der arrivierten Avantgarde. Waits arbeitet nun mit erfolgreichen und namhaften Künstlern zusammen: mit Jarmusch, Robert Altman, William S. Burroughs und Robert Wilson, dem schicken Theaterverstörer. Folgt man dem Autor, dann ist es die Yoko-Ono-hafte Gattin, die die Karriere-Fäden im Hintergrund zieht. "Kathleen", so resümiert Bones Howe, ein Produzent, "hat ihn von allen isoliert. Doch ich hege keinen Groll. Ich weiß, dass sie ihm das Leben gerettet hat." Hoskyns' Buch tröpfelt gegen Ende aus. Hier stützen Song-Interpretationen und Konzertbesprechungen seinen dann auch penetrant werdenden Psychologismus.

Von Tom Waits stammt der Satz: "Alles kann heutzutage erklärt werden. Wir leben in einer Zeit, in der man jemanden beiläufig etwas fragt. Schon rennen alle zum Computer und erklären es dir in fünf Sekunden. Das ist vielleicht ganz gut so, aber manchmal möchte ich auch nur einfach weiter staunen." Hoskyns größtes Verdienst dieser Nicht-Waits- Biografie ist es, dass man über das Phänomen Tom Waits auch nach der Lektüre weiter staunen kann.

BARNEY HOSKYNS: Tom Waits. Ein Leben am Straßenrand. Heyne, München 2009. 701 Seiten, 24,95 Euro.

© SZ vom 27.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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