Süddeutsche Zeitung

Barenboim in Berlin:Ungeheures Gefühl der Hoffnung

Lesezeit: 2 min

Daniel Barenboim dirigiert Wagner und Mozart in der leeren Berliner Staatsoper.

Von Helmut Mauró

Die Stimmung schwankte zwischen düster und feierlich, aber am Ende durfte man sich doch einbilden, ein Licht am Ende des Tunnels erahnt zu haben. Auf der Bühne der Berliner Staatsoper unter den Linden demonstrierte deren künstlerischer Leiter, der Dirigent Daniel Barenboim, wie ein Gedenkkonzert zum Kriegsende als reines 3Sat-Fernsehereignis nicht nur ohne Publikum, sondern auch ohne großspurige Reden aussehen kann.

In seiner äußerst knappen Ansprache fand Barenboim versöhnliche Worte und den passenden Ton: Der 8. Mai sei nicht nur für Deutschland ein Neubeginn gewesen, sondern für die ganze Welt. Aber, so sagte er auch, er höre derzeit das Wort Kultur gar nicht, wenn es um die verschiedenen Maßnahmen zur Corona-Eindämmung ginge. Musik könne nur in einem konkreten Raum stattfinden, und die Hörer müssten sie live erfahren können.

Er bitte auf Knien alle Verantwortlichen, dies wieder möglich zu machen. Damit sprach er sicherlich den meisten Musikern aus der Seele, die nicht nur irgendwie überleben, sondern ihre Kunst praktizieren wollen.

Mit ausreichend Abstand hätte man vielleicht sogar Publikum zulassen können

Dass es dabei nicht um vermeintlich elitäre Nischenkultur geht, zeigte die Programmwahl: Mozarts "Kleine Nachtmusik" und Wagners "Siegfried-Idyll" in der ursprünglichen Version für Kammerorchester. Drei erste Geigen, ein Kontrabass, je zwei Celli und Bratschen hatten sich in lockerem Halbkreis mit dem Rücken zum Saal gestellt, in zweiter Reihe mit viel Abstand folgten später Holzbläser und Blech. Barenboim stand vor bühnenhoher blauer Stoffbespannung, verziert mit dreireihigen Sternenbahnen, die nach oben kuppelperspektivisch zuliefen und ein bisschen an diverse "Zauberflöten"-Inszenierungen erinnerten. Das sah hygienetechnisch vorbildlich aus, aber warum ließ man in diesem riesigen Haus keinerlei Publikum zu? Mit Abstand hätte man mindestens ein Drittel der Plätze besetzen können.

Da klingt der Beginn von Mozarts Serenade fast ein bisschen trotzig aufstampfend, wenngleich nicht so martialisch wie sonst oft. Aber, und da wirkt der leere Saal fatal: es fehlt die Leidenschaft, die Spannung. Oder liegt es am Anlass, dem Jahrestag des Kriegsendes? Aber muss es dann nicht ausgelassen heiter klingen? Die Kammerbesetzung ist jedenfalls nicht das Problem. Die passt, obwohl man bei Wagner Umfangreicheres erwarten darf, erstaunlicherweise noch besser zum "Siegfried-Idyll", dem privaten Geburtstagsständchen für Frau Cosima. Ohne dass man gleich die Aufstockung durch die Bläser wahrnimmt, erscheint alles viel farbenreicher, feiner ausgearbeitet. Was für ein Paradigmenumschlag gegenüber Mozart, wenn die Klangfarben und klangräumlichen Verhältnisse Bestandteil der Komposition werden. Unterschwellig wächst doch die Erwartung eines großen Orchesters.

Dennoch: Obwohl der kleine Orchestersatz Wagners disparater ausfällt als bei Mozart, die Harmonien ungleich weiter gespannt, wirkt das Stück auch in der solistischen Kleinbesetzung intimer als die beschauliche Wiener Hofserenade. Allerdings: Die letzte Spannung fehlt auch hier. Aber in Zeiten verschlossener Konzertsäle strahlt dieses zärtlich gebrochene Wagner-Idyll ein ungeheures Gefühl der Hoffnung aus. Vielleicht haben die Menschen am damaligen 8. Mai in den Trümmern ihrer Städte eine ähnlich Sehnsucht nach sinnstiftender Kunst empfunden. Am Ende verbeugen sich die Musiker vor dem Online- und TV-Publikum.

Und obgleich man auch diesmal wieder nur via Bildschirm dabei war, etwas mittendrinniger war es schon. Was für ein fundamentaler Gefühlsunterschied klafft zwischen diesem Konzert und den diversen Home-Office-Orchestern, die derzeit ihr Heil bei sich und einem nebulös unsichtbaren Publikum suchen.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2020
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