Barbara Nüsse will ihren 80. Geburtstag nicht mit einem Staatsempfang feiern. Sie will auf der Bühne stehen, als Pippi Langstrumpf. Das hat sie sich ausdrücklich gewünscht. Denn Spielen ist das, was sie glücklich macht. Große Gewese um die eigene Person aber nicht so. Darum fühlt sie sich an ihrem Freudentag mit der roten Zopfperücke und dem bunten Riesenkostüm beim Welterklären und Kopfstandmachen vor dem Publikum des Thalia Theaters viel passender aufgehoben. Und es könnte auch kein stimmigeres Bild für ihr pralles, langes Theaterleben geben. Alter und Jugend in einer Person vereint, beides irgendwie auch eine Illusion, eine Täuschung, oder der Beweis einer großen Ausnahme. Spielt da wirklich eine Frau 15 Jahre nach der Pensionsgrenze ein Mädchen von neun, das Weisheit im Quatsch findet?
Es gibt schon lange kein Rollenformat mehr, das zu klein oder zu groß wäre für Barbara Nüsse, seit 2010 die meistbeschäftigte Angestellte am Thalia Theater. Und auch nicht zu männlich oder zu weiblich. Ihre Schönheit ist die Metamorphose. Sie erfindet in Luk Percevals "Blechtrommel" Oskar Matzerath neu als dürren Zweifler oder verwildert den Zauberer Prospero in Jette Steckels Shakespeare-Adaption. Sie kann adelige Biester, zynische Chefs, alkoholisierte Mütter, Könige und Seherinnen, norddeutsch und schweizerisch, fidel und düster, dramatisch und postdramatisch. In diesem gesegneten Körper voll altersloser Spannung steckt ein ganzes Ensemble, ein Theater-Dschinn, der alles und jeden in einem Stück spielen kann, auch den Mond und die Wand.
Aber Barbara Nüsse aus Sprockhövel bei Wuppertal, die Ende der Sechziger am Münchner Residenztheater eine vagabundierende Bühnenkarriere begann, die sie an nahezu jedes namhafte deutschsprachige Schauspiel führte, ist bei aller Wandelbarkeit unverkennbar. Wenn sie die Bühne betritt, oder nur wenn man die heisere Selbstverständlichkeit ihrer Stimme aus dem Dunklen vernimmt, dann erscheint die liebste Begleiterin des Publikums. Denn Barbara Nüsse ist die alles Durchschauende. Gewitzt, immer ein bisschen ironisch, aber nie beschämend oder auftrumpfend, gibt sie jeder Szene Sicherheit, bildet den Fels in der Brandung menschlicher Irrtümer und Eitelkeiten.
Ihre Bühnenintelligenz resultiert aus der Gutmütigkeit eines Menschen, der schon alles gesehen hat und darüber nicht verzweifelt ist. Im Gegenteil. Ihre Neugier ist ungebrochen, ihre Bereitschaft, sich auf Ansätze von Regisseurinnen und Regisseuren einzulassen, die ihre Kinder und Enkelkinder sein könnten, aufrichtig. Ihr Aussage, dass sie noch immer Neues lernt, der Grund, warum sie nicht eine dieser Bühnendiven geworden ist, die ständig nach dem richtigen Licht suchen. Trifft man Barbara Nüsse abseits der Bühne, dann erscheint ein sehr aufmerksamer Mensch frei von Manierismen, der durch Komplimente in Verlegenheit gerät. Barbara Nüsse spricht lieber über die interessanten Dinge des Lebens als über sich. Das macht sie so interessant.
Doch natürlich wird es an diesem Freitag, 17. Februar, nach der Pippi-Show noch ein Fest zu ihren Ehren geben, bei der ihr die Ehrenmitgliedschaft des Thalia Theaters verliehen wird. Und bei dem sie sicherlich sehr viele und sehr berechtigte Komplimente hören wird. Da muss sie dann durch.