Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Barbara Köhler:In Jenseitsgärten

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Landschaften wurden bei ihr immer auch zu Sprachlandschaften: Zum Tod der Dichterin Barbara Köhler

Von Tobias Lehmkuhl

Barbara Köhler war eine begnadete Gärtnerin. Nicht nur ihre Duisburger Kleingartenparzelle brachte sie zu geradezu tropischer Blüte, selbst aus dem völlig lichtlosen Hinterhof des Mietshauses, in dem sie wohnte, machte sie einen wunderschönen Schattengarten. In ihren Gedichten aber wird man duftende Blumen und zwitschernde Vögel vergeblich suchen. Hier interessierte sie vor allem die historisch geformte Landschaft. In ihrem ersten Gedichtband, "Deutsches Roulette" von 1991, einem Abgesang auf die untergegangene DDR, fragt sie sich: "Worauf aber sollen wir bauen und was, zwischen Barock-Konserven Ruinen Beton."

1959 im sächischen Penig geboren, lebte Barbara Köhler während der Wende in Karl-Marx-Stadt/ Chemnitz. 1994 führte sie die Liebe nach Duisburg. Dem das Ruhrgebiet durchziehenden Fluss Emscher setzte sie mit mit dem Band "42 Ansichten zu Warten auf den Fluss" geradezu ein Denkmal: "Man wartet, man wartet auf. Hört auf, schaut auf: sieht. Warten auf den Fluss, auf den flow, warten auf Gegenwart - Gegenwarten."

Landschaften interessieren Barbara Köhler immer auch als Sprachlandschaften, die Emscher als verbindender Grenzfluss zwischen Deutsch, Niederländisch und Französisch, oder die Rhône am Fuß des Berges Gorwetsch im Wallis, dem sie mit einem Gruß an Hokusei ein Buch mit nun "36 Ansichten" gewidmet hat: "die Rhone, in den Rotten, dans le Rhône" heißt es da, "es scheint ein Wasser zu sein, mit dem die Dinge ihre Wörter, das Geschlecht ändern."

In der Überforderungszone blieb ihr Blick an Vertrautem hängen

Die Frage, wie Sprache und Geschlecht miteinander in Beziehung stehen, geht Köhler auch in "Niemands Frau", einer Neudeutung der "Odyssee" und in "Wittgensteins Nichte" nach, und zwar immer auf eine hochkonzentrierte und doch leichthändige, bis zum Kalauer sich neigende Weise: "Jeder, Jede, Jedi".

Köhlers Nähe zur bildenden Kunst zeigt sich nicht nur in ihren konzeptionellen Arbeiten, die bei ihr ab Mitte der Neunzigerjahre das klassische Gedicht ablösen, sie war selbst auch eine begnadete Fotografin. Für ihren Text-Bild-Band "Istanbul, zusehends", der während eines längeren Aufenthalts in der türkischen Großstadt entstand, erhielt sie 2016 den Peter Huchel-Preis.

In der audiovisuellen "Überforderungszone" der Bosporus-Metropole bleibt der Blick der Dichterin, jener mit dem grünen Daumen, dann aber doch an etwas Vertrautem hängen, dem Muster der Kacheln an den Istanbuler Hauswänden: "In unverwüstliche Gärten, Meer-als-Gärten/ Jenseitsgärten verzieren vexieren behexen/ verlieren ... den Augen-, den Blickkontakt." Am vergangenen Freitag ist Barbara Köhler nach langer Krankheit verstorben.

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