Süddeutsche Zeitung

Auktion bei Sotheby's:Banksys Schredder-Streich wirft Fragen auf

Lesezeit: 3 min

Hat der Streetartkünstler mit der Zerstörung seines Werks auf einer Auktion den Kunstmarkt vorgeführt oder ihn clever bedient? Indizien sprechen dafür, dass das Auktionshaus Sotheby's vorher davon wusste.

Von Alex Rühle und Laura Weissmüller

Wann ist ein Streich ein Streich? Genauer gefragt: Wenn derjenige, dem er gespielt werden soll, eingeweiht ist, was ist das Ganze dann? PR für beide Seiten? Ein Spaß auf Kosten eines Dritten?

Am Freitagabend wurde bei Sotheby's in London "Mädchen mit Luftballon", ein sehr eingängiges Bild des weltberühmten Streetartkünstlers Banksy versteigert. Es war das letzte Werk auf dieser Auktion, die vorher schon 90 Millionen Pfund eingebracht hatte, ein prächtiger Abend also für den internationalen Kunstmarkt. In dem Moment, in dem der Auktionator seinen Hammer niedersausen ließ und verkündete, dass das Gemälde für 1,04 Millionen Pfund verkauft sei, erklang ein Piepton, und dann schien das kleine Mädchen mit seinem Ballon plötzlich durch den Rahmen zu rutschen. Alles, was unten wieder rauskam, war in schmale Streifen zerschnitten.

Anscheinend war vorab ein Schredder in den Rahmen eingebaut worden, der das Gemälde im Moment des Kaufs zerschlitzte - nicht zur Gänze, aber doch so viel, dass das Auktionshaus später schrieb: "We just got Banksy-ed." Klingt nach meisterhaft coolem Prank: Mitten im Herzen des Kunstbetriebs, bei Sotheby's in London, wird ein Werk, das gerade mal wieder einen dieser astronomisch absurden Preise erzielt, im Moment seiner Kapitalisierung vom Künstler selbst dem Markt durch Zerstörung entzogen.

Je länger man aber über das Ganze nachdenkt, desto seltsamer mutet die Aktion an: Banksys Gemälde war das allerletzte Werk, das an diesem Abend versteigert wurde. Das kann Zufall sein. Andererseits - es passte natürlich wunderbar. Hätte die Aktion vorher stattgefunden, wie hätte man danach zum business as usual zurückkehren sollen? So, Banksy hat uns allen vorgeführt, wie pervers doch ist, was wir hier treiben, aber jetzt bitte das nächste Millionengebot für ein anderes Kunstwerk. Alle Konzentration wäre dahin gewesen - was für Sotheby's teuer hätte werden können.

Banksys Verweis auf Picasso ist so populistisch wie die gesamte Aktion

Noch eine Seltsamkeit, die freilich irgendwie wegerklärt werden kann: Banksys Gemälde wurde an eine Wand gehängt. Normalerweise werden Werke dieser Größe meist auf ein Podest gestellt. Da wäre dann aber kein freier Platz unter dem Rahmen gewesen. So hingegen baumelten die Bildstreifen nach dem Schreddereinsatz dekorativ und unzerknittert in der Luft, ähnlich einem bedruckten Vorhang.

Was das Ganze wirklich seltsam macht: Banksy, dessen Identität bis heute nicht bekannt ist, hat auf Instagram ein Video gepostet, auf dem zu sehen ist, wie er - angeblich vor Jahren schon - diesen Schredder eingebaut hat. Es ist kaum vorstellbar, dass Mitarbeiter von Sotheby's diese Konstruktion bei der Einlieferung nicht bemerkt haben. Der Schredder hätte allein schon vom Gewicht her auffallen müssen. Außerdem wird aber vor einer Auktion der Zustand jeder Arbeit untersucht. Dafür nimmt man Werke aus ihren Rahmen. Spätestens da müsste jemandem die sperrige Metallkonstruktion aufgefallen sein.

Alle diese Seltsamkeiten legen nahe, dass man bei Sotheby's im Vorfeld von der geplanten Zerstörung gewusst haben muss. Das wiederum würde Banksys vermeintlich subversiven Akt als clevere Werbung für das Auktionshaus entlarven. Die Aufregung im Saal verbreitete sich über die sozialen Medien in Windeseile weltweit; fast alle Newsportale berichteten dann über die Auktion. Und das ohnehin weltberühmte Kunstwerk ist nach dieser Aktion noch mal weltberühmter - und damit vermutlich auch noch mal mehr wert als die gut eine Million Pfund, für die der anonyme Käufer den Zuschlag erhielt. Was die Absurdität des Kunstmarkts offenbaren sollte, nutzte diesem stattdessen.

Banksy stellte seinem Instagram-Video ein Picasso-Zitat vorweg: "Der Drang zu zerstören ist auch ein kreativer Drang." Der kunsthistorische Verweis ist so populistisch wie die gesamte Aktion. Die Geschichte von Werken, die von ihren Schöpfern nur für einen Moment geschaffen und dann zerstört wurden, ist zwar lang, aber Picasso dürfte die falsche Bezugsgröße sein. Eher knüpft Banksys Aktion an die autodestruktive Kunst an, die Gustav Metzger 1959 ins Leben rief. Bereits 1953 schuf Robert Rauschenberg "Erased de Kooning Drawing", indem er eine Zeichnung seines Künstlerkollegen mit dem Radiergummi anging. Seit den Fünfzigern wiederum experimentiert Arnulf Rainer mit Übermalungen seiner Werke. Kurz: Die Nachkriegskunst ist voll Zerstörungswut. Banksys' ist nur die marktkompatibelste.

Der britische Streetartist schafft zunehmend Kunst für Leute, die sich nur für den Markt interessieren. In gewisser Weise wäre es da nur konsequent, wenn Sotheby's im Bild gewesen sein sollte. Nur mit der Glaubwürdigkeit hat Banksy nun ein Problem: Wer dem Kunstmarkt zu neuen Hypekapriolen verhilft, dem nimmt man nicht recht ab, dass er dieses System in Wahrheit bekämpfen will.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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