"Bande de filles" im Kino:Frauen, seid stark und männlich

Lesezeit: 3 min

Ungeschliffener Rohdiamant: Bevor sie sich mithilfe ihrer "Bande de filles" neu erfindet, hat Protagonistin Marieme im Alltag wenig Grund zur Freude. (Foto: Peripher)

Sexismus, soziale Ungerechtigkeit, Rassismus: Dagegen kämpfen Marieme und ihre Mädchenbande im Film "Bande de filles". Doch ihr Widerstand reproduziert den Chauvinismus, unter dem sie selbst leiden.

Von Philipp Stadelmaier

Eine Bande Mädchen, die meisten schwarzer Hautfarbe, auf einem Footballfeld. In einem Banlieue irgendwo jenseits der Pariser Peripherie. Wie in einem amerikanischen Sportfilm, etwa "An jedem verdammten Sonntag" von Oliver Stone; wie die Männer in ihrer Cité. Frauen eignen sich hier einen Männersport an, um zu zeigen, wie Männer leben: Helm an Helm, in ständigem Körperkontakt, aggressiv. Sie zeigen auch, wie Frauen leben: in Helmen, eingesperrt. Und sie zeigen, wie Frauen leben sollten: stark, auf einer Ebene mit Männern.

In dieser ersten Szene von Céline Sciammas "Bande de filles" werden die Footballspielerinnen ebenso zu Regisseurinnen wie Schauspielerinnen in ihrem eigenen, sehr guten, weil mehrdeutigen Film. In einer Inszenierung in Slow Motion, zur elektronischen Musik von Light Asylum, einem bestimmten Rhythmus folgend, einem Beat, der ebenso energisch wie entschleunigend ist. Wenn sie die Welt der Männer inszenieren, dann eignen sie sich diese gleichsam an: Sie zeigen, wie sie läuft - und wehren sich dagegen.

Eine ganze Serie aus Demütigungen

"Bande de filles" ("Mädchenbande") folgt nun einer jungen Frau aus dem Football-Team: Marieme (Karidja Touré). Sie erlebt eine ganze Serie aus Demütigungen. Nachdem sie vom Football nach Hause gekommen ist, kriegt sie von ihrem älteren Bruder eine übergezogen, weil sie an seiner Playstation spielt. Erstens geht es also um Sexismus: Die Männer dominieren die Frauen.

Nächste Szene: Marieme wird von einer Lehrerin aufgefordert, wegen schlechter Noten die Schule zu verlassen und eine Ausbildung zu machen. Die sozial Benachteiligten sollen auch benachteiligt bleiben, um Billigjobs zu machen, weswegen Marieme bald ihrer Mutter beim Putzen helfen muss: Das wäre ein ökonomisches Problem.

Und dann gibt es drittens noch den alltäglichen Rassismus: Mit den anderen schwarzen Mädels, ihrer "Bande", mit denen sie sich nach dem Rauswurf aus der Schule anfreundet, stöbert Marieme in einer Boutique in einem Einkaufszentrum herum - und wird prompt von der weißen Verkäuferin verfolgt.

Sciammas Film liest sich ein bisschen wie ein sozialistisches Wahlprogramm, das die wunden Punkte der Gesellschaft aufzeigt: Gleichstellung zwischen Männern und Frauen, Klassenkampf, Rassismus. Jede Szene präsentiert ein erkennbares Einzelproblem, wie eine Aufzählung in einem Soziologiereferat.

In dieser Hinsicht werden Merieme und ihre Freundinnen ein wenig auf Rollen- und Gesellschaftsbilder reduziert. Wo ein Wahlprogramm ist, sind meist auch Lösungsvisionen. Jene in "Bande de filles" lautet: Frauen, seid keine Frauen, sondern stark und männlich, zeigt Härte.

Merieme, die von den Freundinnen in Vic (wie Victory) umbenannt wird, tritt bald mit ihrer Bande gegen andere Mädchenbanden an. Der Büstenhalter, den sie einmal als Trophäe mit nach Hause bringt, beeindruckt den großen Bruder so sehr, dass er sie diesmal nicht schlägt, sondern sogar Playstation spielen lässt. Womit sie sich weniger emanzipiert, als dass sie eine ziemlich chauvinistische Matrix reproduziert.

Aber all dies ist kein Problem, solange Sciamma die Mädchen ihre eigene Welt entwerfen lässt, sie wie Regisseurinnen ihres Lebens behandelt - wie eingangs auf dem Footballfeld. Sie erzählen sich ständig, was gerade passiert ist - oder hätte passieren können. Ausgehend von dem, was sie kennen, was sie mögen, wovon sie träumen.

Absoluter Widerstand gegen all das

Sie legen sich in der Metro mit einer anderen Mädchenbande an, tanzen zu Musik aus dem Handy. Oder in einem Hotelzimmer zu "Diamonds in the Sky" von Rihanna, in einer Art Clip im Film, getaucht in tiefblaues, künstliches Bühnenlicht. Nachdem sie sich ordentlich in Schale geschmissen und sich natürlich mit ihren Handys gefilmt haben. Nicht für andere, für sich. Für ihren eigenen Film, der "Bande de filles" ist.

Solange die Mädels in diesem eigenen Film Regie führen, hält "Bande de filles" sein wunderbares Gleichgewicht: Auf der einen Seite die Welt, wie sie ist, mit ihren aufgezwungenen Rollen und ebenso aufgezwungenen Widerstandsoptionen. Auf der anderen Seite der absolute Widerstand gegen all das: Der Traum, das Kino, der Pop - die Welt, wie sie sein sollte.

Aber gleichzeitig steht die Sache auf der Kippe. Denn letztlich führt doch Sciamma Regie. Und damit deren sozialistisches Programm seinen warnenden Ton nicht verfehlt, steuert der Film irgendwann auf die Misere zu, in der seine Protagonistin nicht mehr inszenieren darf, sondern leiden muss.

Nach den diesjährigen Oscars und der Diskussion über eine meist männlich-weiße Academy zeigt der Film aber, was gebraucht wird: mehr Regisseurinnen - vor allem schwarze.

Bande de filles , FRA 2014 - Regie und Buch: Céline Sciamma, Kamera: Crystel Fournier. Mit Kardija Touré, Assa Sylla u.a. Peripher, 112 Min.

© SZ vom 27.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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