"Ballon" in der SZ-Cinemathek:Mit viel Pathos in den Westen

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Peter (Friedrich Mücke) und Frank (Jonas Holdenrieder) bereiten ihre Flucht nach Westdeutschland vor. (Foto: Verleih)

Komödienspezialist Michael "Bully" Herbig hat seinen ersten Thriller gedreht: In "Ballon" erzählt er von einer spektakulären Flucht aus der DDR - dosiert dabei aber leider ein bisschen über.

Von Karoline Meta Beisel

Das Lied "Über den Wolken" von Reinhard Mey mag bis heute an Lagerfeuern im ganzen Bundesgebiet geklampft werden - inhaltlich ist es Mumpitz, da müsste man nur mal die Strelzyks fragen.

Die Familie aus dem thüringischen Pößneck war 1979 mit einem selbstgebauten und -genähten Heißluftballon gestartet, um festzustellen, dass man über den Wolken genau dieselben Grenzen überwinden muss wie unten auf der Erde: Ihr Ballon fliegt nicht weit genug, bevor er wegen technischer Schwierigkeiten zu sinken beginnt. Der Waldboden, auf dem die Familie nach 34 Minuten Flugzeit hart aufschlägt, gehört zur DDR.

So beginnt die wahre, aber beinahe unglaubliche Geschichte der Familien Strelzyk und Wetzel, und so beginnt auch "Ballon ", der neue Film von Michael Bully Herbig, mit dem der Regisseur von Komödien wie "Der Schuh des Manitu" und "(T)Raumschiff Surprise" ins ernste Fach rübermachen will. "Ballon" ist der erste Thriller des Münchner Filmemachers.

Nach dem gescheiterten ersten Ballonflug beschließen Peter und Doris Strelzyk (Friedrich Mücke und Karoline Schuch) einen zweiten Fluchtversuch unter noch schwereren Bedingungen. Denn die Grenzschützer haben den abgestürzten Ballon entdeckt, und ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Schaffen es die Strelzyks, gemeinsam mit dem befreundeten Ehepaar Wetzel (Alicia von Rittberg und David Kross), einen zweiten Ballon zu nähen, bevor die Stasi herausfindet, wer mit dem ersten abgestürzt ist? So richtig spannend ist dieses Rennen allerdings nicht.

Herbig erzählt von einer der spektakulärsten, aber damit auch bekanntesten Fluchten aus der DDR. Die Geschichte aus einer Zeit, in der auch Deutsche in der Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Heimat verließen, ging um die Welt. Die erste Filmversion gab es bereits 1982 in den USA vom Disney-Studio unter dem Titel "Mit dem Wind nach Westen", auch wenn die beiden Familien mit ihren Kindern in Wahrheit nach Süden Richtung Bayern flogen. Herbig konnte seinen Film erst machen, nachdem Disney die Rechte an dem Stoff wieder freigegeben hatte.

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1979 gelingt zwei Familien spektakulär die Flucht aus der DDR - im selbstgebauten Heißluftballon überwinden sie den Todesstreifen. Die riesige Blamage für die Machthaber in Ost-Berlin schlachtet der Westen weidlich aus.

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Vielleicht auch, weil die Geschichte so bekannt ist, hat Herbig, der gemeinsam mit Kit Hopkins und Thilo Röscheisen auch das Drehbuch schrieb, noch die ein oder andere extra Schippe Drama draufgelegt, als wäre die Story für sich genommen noch nicht dramatisch genug. Ein Kniff erinnert an "The Americans", jene unglaublich spannende amerikanische Fernsehserie über russische Spione, die während des Kalten Krieges in den USA einen auf American Family machen. In "The Americans" müssen die getarnten Russen gleich zu Beginn feststellen, dass ihr neuer Nachbar für das FBI nach Spionen wie ihnen sucht. In "Ballon" wohnt auf der anderen Straßenseite ein netter und ziemlich harmloser Onkel von der Stasi, der ältere Sohn der Strelzyks ist in dessen Tochter verliebt.

Herbig versucht auch, den Zuschauer durch geschickte Montage der Szenen (Schnitt: Alexander Dittner) hinters Licht zu führen. Hier steht die Staatssicherheit vor einer Wohnungstür, dort hören die Ballonfahrer in ihrer Wohnung die Haustürklingel, aber es ist nicht ihre Tür, vor der die Stasi steht. Auf solche Tricks fallen aber höchstens Zuschauer rein, die noch nie einen modernen Thriller gesehen haben - und selbst die nur einmal.

Die Figuren sagen ständig Sätze mit Ausrufungszeichen: "Wir hatten einen Traum!", "Ich will meine Kinder nicht verlieren!", "Ich habe dir vertraut!" Der Film strotzt vor Andeutungen: Sei es beim Monopoly-Spiel ("Gehen Sie sofort ins Gefängnis!") oder beim Drachensteigen. Und über all dem liegt ein soßiger Musikteppich wie im schönsten Privatfernseh-Eventzweiteiler, als wüsste man sonst nicht, welches Gefühl gerade opportun wäre. Insgesamt ist es also von allem ein bisschen zu viel: zu viel Musik, zu viel Pathos, zu viel Drama.

Es lässt sich aber auch Gutes über den Film sagen. Etwa über die liebevolle Ausstattung, mit der die Filmemacher ein bayerisches Dorf für die Dreharbeiten als thüringisches Pößneck verkleideten; oder über das Ensemble aus überwiegend jungen Schauspielern, mit denen man dann doch mitfiebert, auch wenn man anders als die Figuren, die sie spielen, ja schon weiß, dass alles gut wird. Thomas Kretschmann, der den Stasi-Offizier spielt, der den Ballonfahrern auf der Fährte ist, floh an seinem 21. Geburtstag 1983 selbst über die Grenze von Ungarn nach Jugoslawien aus der DDR.

Am wichtigsten aber: Die Geschichte ist der Wahnsinn, auch, wenn man ihr Ende kennt. Im echten Leben ließen sich die Familien Strelzyk und Wetzel nach der geglückten Ballonflucht in Bayern nieder. Strelzyks gingen wenige Jahre nach der Wende zurück nach Pößneck, und irgendwann in den Achtzigerjahren haben die Familien den Kontakt zueinander abgebrochen. Aber davon erzählt der Film nicht mehr.

Ballon , Deutschland 2018 - Regie und Produktion: Michael Bully Herbig. Kamera: Torsten Breuer. Drehbuch: Kit Hopkins, Thilo Röscheisen und Michael Bully Herbig. Mit: Friedrich Mücke, Karoline Schuch, David Kross, Alicia von Rittberg, Thomas Kretschmann. Verleih: Studiocanal, 120 Minuten.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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