Ballettoper:Auf den Flügeln der Phantasie

Bei den Opernfestspielen: Der belgische Tänzer und Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui inszeniert mit "Les Indes galantes" erstmals eine Ballettoper am Prinzregententheater. Den exotischen Stoff versetzt er dabei in die Welt einer Multikulti-Putzkolonne

Von Eva-Elisabeth Fischer

Kaum zu glauben, dass ein hochmusikalischer Mensch, ein inbrünstiger Sänger wie Sidi Larbi Cherkaoui, seine erste Opernaufführung erst mit Anfang 30 gesehen hat. Die allerdings hat ihn schwer beeindruckt. Der flämische Theatermacher Guy Cassiers hatte in Brüssel den "Fliegenden Holländer" inszeniert und dafür mithilfe eines Choreografen den Chor ins Spielgeschehen integriert. "Da habe ich Feuer gefangen für das Genre und für mich ein weites Bestätigungsfeld entdeckt", sagt der belgische Tänzer und Choreograf. Noch in diesem Jahr setzt er seine wenig später begonnene Zusammenarbeit mit Cassiers fort - in Berlin als Choreograf der "Götterdämmerung".

Jetzt ist Cherkaoui 40 und hat erstmals ein Musiktheater für die Bayerische Staatsoper nicht nur choreografiert, sondern auch inszeniert, Jean-Philippe Rameaus Ballettoper "Les Indes galantes". Uraufgeführt am 23. August 1735 in der Académie royale de musique in Paris, verkörpert sie in ihrer dekorativen Fülle, den reich verzierten Arien, aber auch einer haarsträubend verworrenen Handlung aus Kriegs- und Liebeswirren das glatte Gegenprogramm zu Richard Wagners Weltendramen. Das heute ungewöhnlich Anmutende dieses fast vergessenen Genres: Die durch den Gesang beförderte Handlung rankt sich um den Tanz. Es war Opernintendant Nikolaus Bachler, der Sidi Larbi Cherkaoui diese Ballettoper vorgeschlagen hat. Bachler hatte dessen Arbeit 2007 in Brüssel kennen- und schätzen gelernt.

Cherkaoui ist spätestens seit seiner ästhetisch bahnbrechenden Choreografie "Foi" im Jahr 2003 fest in der internationalen Tanzwelt verankert. In diesem Stück über Glaubenskriege verschmolz er gregorianische Gesänge mit zeitgenössischem Tanz zu einem gänzlich neuen, betörend schönen und dabei menschlich wahrhaftigen Amalgam. Seitdem ist Cherkaoui international unterwegs, immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen, vor allem nach solchen, die sein ganzheitliches Weltbild bereichern.

Ballettoper: Auf in den Krieg, raus aus Europa: Lisette Oropesa in der Rolle der Hébé, umgeben von Bildern der Flora und Fauna in fremden Ländern.

Auf in den Krieg, raus aus Europa: Lisette Oropesa in der Rolle der Hébé, umgeben von Bildern der Flora und Fauna in fremden Ländern.

(Foto: Wilfried Hösl)

Seit 2010 leitet er seine eigene Kompanie Eastman in seiner Heimatstadt Antwerpen und dort auch seit vergangenem Herbst, was man nie vermutet hätte, das bis dato rein klassisch orientierte Königliche Ballett von Flandern. Und jetzt feiert er also nach wenigen eindrücklichen Gastspielen seinen Einstand in München mit dieser Ballettoper, die er natürlich strukturell ganz anders denkt und anpackt, als es im 18. Jahrhundert üblich war. Zunächst einmal werden bei Cherkaoui die Tänzer nicht nur in den für sie vorgesehenen Akten auftreten, sondern, stets präsent, mit den Sängern die Handlung voran treiben.

Cherkaoui ging mit Lust ans Werk. Ihn interessieren an "Les Indes" die vertrackten Liebes-Dreierkonstellationen, die er ins Zentrum rückt: A liebt B, aber auch C. Und die fremden Länder, die hier bereist werden, um etwas über die Kunst der Liebe zu erfahren. Mit Türken, Inkas, Persern und Indianern als Lehrmeister. "Den kulturellen Austausch hat es damals schon gegeben zwischen Holland, Portugal und Japan - behaftet mit den entsprechenden Vorurteilen", sagt er und nutzt die exotische Szenerie, um den fremden Blick auf die eigene Kultur mit einzubeziehen.

Es wird in seiner Version freilich keine Phantasiereise und keine Exoten geben. "Es spielt alles in einem Raum", sagt er. Dort treffen Menschen verschiedener ethnischer und kultureller Herkunft aufeinander, wie heute in jeder Stadt, in jedem Land. In der Ausstatterin Anna Viebrock hat er offenbar eine verwandte Seele gefunden. Sucht er nach aktuellen Bildern für die Allegorien von Krieg, Liebe und Frieden, so meidet die Schöpferin abgewetzter Christoph-Marthaler-Katastrophen-Kathedralen alles barocke Gepränge wie auch die Illustration edler Wildnis.

392 Hertz

Die Musiker bei "Les Indes galantes" spielen auf historischen Instrumenten in der - etwas tieferen - Stimmung 392 Hz. Dafür engagierte die Staatsoper Alte-Musik- Spezialisten, die aus europaweit verstreuten Ensembles stammen. Jetzt firmieren sie unter dem Namen Münchner Festivalorchester. Aus München stammt allerdings keiner der Virtuosen.

Über solches Zusammenleben, über Diskriminierung und Vorurteile weiß Cherkaoui bestens Bescheid, der polyglotte Sohn eines muslimischen Marokkaners und einer katholischen Flämin, der als offen schwuler Mann mit einem Japaner sein Leben teilt. Er hat reichlich die Welt bereist, hat länger in New York gelebt. Er bewundert die japanische Kultur und kam in China bei den Shaolin-Mönchen nach einem Zusammenbruch buchstäblich wieder auf die Füße. Sein Weg, alle möglichen Kulturen zu adaptieren und zu integrieren, führt, versteht sich, über den Tanz.

In "Les Indes galantes" sucht und findet er das Zeitgemäße, das Heutige. Die aktuellen Massenfluchten wie auch die jüngsten Anschläge des IS, zumal in Brüssel, lassen ihn die Begriffe Frieden und Freiheit, zwei wesentliche Motive in dieser Oper, neu überdenken: "Wie kann ich dem anderen gegenüber verantwortlich handeln und mich dennoch frei fühlen?"

Ganz klar, dass Cherkaoui zeitlich bedingte Vorgaben des Werks ignoriert. Opera héroique? Fehlanzeige. Den heldenhaften Gestus, wie ihn die Musik pompös in Szene setzt, greift er inhaltlich nicht auf: "Ich habe sicherlich meine Ideale. Heldentum ist für mich, gut für sich selbst und andere zu sorgen, entspricht aber keineswegs der Vorstellung eines Drachentöters", sagt er und bringt damit eher den Wagnerschen Siegfried ins Spiel als die Rameau'schen Liebessucher. Cherkaouis Tänzer und Tänzerinnen, die er aus Antwerpen mitgebracht hat, tragen weder Allongeperücken noch Schönheitspflaster. Sie treten auf - als multinationale Putzkolonne. Auch die wird gewiss ihre eigene Schönheit entfalten.

Les Indes galantes, Premiere am Sonntag, 24. Juli, 18 Uhr, im Prinzregententheater

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