Ballett:Pferdefuß und Tänzerbein

Ballett: Ein originelles Potpourri aus Music Hall, Kinderreigen und Tanztheater mit schrägen Typen richtete Russell Lepley in "Minutemade", Act three an.

Ein originelles Potpourri aus Music Hall, Kinderreigen und Tanztheater mit schrägen Typen richtete Russell Lepley in "Minutemade", Act three an.

(Foto: Marie-Laure Briane)

Allseits bewegt: Transgender, Unisex und jede Menge Atmo im Muffatwerk

Von Eva-Elisabeth Fischer

Tänzer sind schön, und Pferde sind auch schön. Wie schön müssen sie erst zusammen sein. Das dachte sich wohl Aurelia Baumgartner, als sie sich ihre Performative Video Installation, "Dancing Horses - Different Others" betitelt, ausgedacht hat. Sie lebt in Berg , betreibt dort eine Tanzschule und ihr Aureliana Contemporary Dance Project. Sie hat in München Philosophie, Theaterwissenschaften und Literatur studiert, bei Jessica Iwanson tanzen gelernt und ihre eigene Theorie über das Körperdenken entwickelt. Das alles klingt vielversprechend, und ein neues Gesicht in der Szene freut einen erstmal.

Weil zurzeit das Thema Inklusion ganz oben auf der Wunschliste der Stadt steht und das Kulturreferat bei derlei Projekten die Spendierhosen anhat, spielt in diesem nahezu eineinhalb Stunden sich im Ampere hinziehenden, ziemlich willkürlich aus Video- und Live-Tanzszenen zusammengemoppelten Stück der junge Autist Christos Tsaoussidis eine wesentliche Rolle. Bevor der aber zusammen mit einem Araberschimmel seinen großen Videoauftritt hat, muss man ausgiebig die Live-Körperbiegearbeit dreier Grazien mit diversen Modern- und Jazz-dance-Etüden samt Flamenco-Anleihen auf Schulaufführungsniveau überstehen. Die Fallhöhe wird umso deutlicher, wenn Miguel Rivero Parras, ein pfeffriger Flamenco-Tänzer aus Jerez, mit unerbittlicher Attacke den Bühnenboden in rasendem Zapateado nagelt.

Im Rüschenkleid samt Fransentuch, wohlgemerkt. Es geht ja hier um die "verschiedenen Andersartigen". Die (Trans-)Gender-Konnotation erklärt aber nicht, was spanischer Tanz mit Autismus zu tun hat. Oder - von seinen Ursprüngen mal abgesehen - mit Araberpferden. Oder gar der Lust am Spielen, die das Raubtier Mensch beim Fluchttier Pferd mittels Körpersprache zu wecken und zu lenken versteht, wenn er nur das rechte Auftreten hat. Aurelia Baumgartner hat das demonstriert, wie dieses unsichtbare Band, die Basis pferdischer Spiellust und damit aller Freiheitsdressur, zwischen Mensch und Pferd entsteht als Zeugnis einer vibrierend sinnlichen Beziehung. Auch Christos Tsaoussidis gelingt es, die Aufmerksamkeit des Wallachs auf sich zu fokussieren - und noch viel mehr, nämlich mit ihm in eine Beziehung zu treten, wie sie ihm anscheinend mit Menschen verwehrt ist.

Solche Zentrierung auf das Wesentliche hätte man auch für die "Dancing Horses" gewünscht. Hätte sich Baumgartner auf Tsaoussidis und seine wachsende Beziehung mit dem Pferd konzentriert, wäre dies nachzuvollziehen wirklich spannend gewesen. So wie die Aufführung am folgenden Abend in der Muffathalle, wo sich die Tänzer des Gärtnerplatztheaters vor Publikum aufwärmten für den Endspurt von "Minutemade", Act three, wie üblich bestehend aus nahtlos ineinander übergehenden vier Teilen von vier verschiedenen Choreografen. Die Reprise der beiden letzten Teile von Act two sowie die beiden neuen Teile von Russell Lepley und Giovanni Insaudo klopften fest, dass in diesem Ensemble jede Menge kreatives Potenzial vorhanden ist, choreografische Begabungen, denen ausnahmslos auch das Schwierigste gelingt, nämlich das Publikum mit wechselnden Stimmungen zu packen und Komik nahezu ausschließlich über Bewegungswitz entstehen zu lassen. In dem Fall eine Parade skurrilster Szenen von Männern und Frauen im Kittelschurz und einfallsreichen Polonaisen für das Corps. Animiert werden sie dazu von Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner, der die inzwischen kultige Serie "Minutemade" mit klaren Vorgaben installierte statt auf dümmliche Abende junger Choreografen zu setzen, wie sie anderswo üblich sind. Da capo kommt sicher sowieso.

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