Tanztheater:Als Freundinnen wären sie unschlagbar

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Soll sie oder soll sie nicht? Königin Elisabeth I. (Sophie Martin) überlegt, ob sie das Todesurteil für Maria Stuart unterzeichnen soll. (Foto: Yan Revazov)

Die Karlsruher Ballettchefin Bridget Breiner bringt "Maria Stuart" auf die Bühne, nach dem Drama von Schiller. Fast eine Sensation.

Von Dorion Weickmann

Rötlich schimmernde Haarpracht, zarte Schultern unter gleißendem Brokat, der königliche Rücken erzittert im Rampenlicht: So steht sie da, Englands Monarchin Elisabeth, und das Beil des Henkers bewegt sich wie ein auf Zeitlupe gestelltes Metronom vor ihrem Gesicht. Rechts, links, rechts, links. Soll sie, soll sie nicht? Das Todesurteil gegen Maria Stuart unterzeichnen, hieße: die Königin lässt ihresgleichen hinrichten. Mehr noch: eine Tante die eigene Nichte (jedenfalls nach der historischen Genealogie). Gleich wird sie inmitten des Hofstaats feiern, den Heiratsantrag eines französischen Prinzen wie noch jeden anderen huldvoll auf die lange Bank schieben, einer Gauklertruppe applaudieren. In ihrem Kopf jedoch hat sich schon lange ein Gespenst eingenistet: Auf Schritt und Tritt sieht sie sich von Maria verfolgt - blutsverwandtes Geschöpf im Schatten, Alter Ego. Es auszulöschen, bedeutet Selbstauslöschung. Und ist trotzdem unvermeidbar.

Das Duell zwischen Elisabeth I. und Mary, Queen of Scots, das mit der Hinrichtung der schottischen Königin 1587 endete, ist von Theater, Oper und Film vielfach und vielfältig ausgeleuchtet worden. Abgesehen von Martha Graham, die den Stoff 1985 als Tennismatch choreografierte, hat jedoch der Tanz die royale Verwandtschaftsfehde ziemlich links liegen lassen. Jetzt nutzt Bridget Breiner, die Direktorin des Badischen Staatsballetts, die Gunst des "Game of Thrones"-Hypes und holt die frühneuzeitliche Thronschlacht auf die Bühne des Karlsruher Staatstheaters. Im vierten Anlauf ist die coronabedingt mehrfach verschobene, an Friedrich Schillers Trauerspiel angelehnte Uraufführung nun gelungen. Die Erleichterung ist Breiner beim Schlussapplaus ins Gesicht geschrieben, das Publikum überschüttet sie mit Ovationen. Gefeiert wird ein ambitioniertes Projekt, das die eigentlich fabelhafte Ballettkompanie mit dem eigentlich nicht weniger fabelhaften Opernchor des Hauses zusammenspannt.

Gezeigt wird die Privatfehde zweier Rivalinnen, kein Politkrimi

Diese Kombination erweist sich dennoch als Inszenierungsbremse. Was mit einem Clash of Cultures zusammenhängt: Statt zu fusionieren, hüten die stocksteif aufgepflanzten Damen und Herren aus dem Musikdepartment und das quecksilbrige Corps de ballet ihre jeweiligen Sparten-Claims. So bleibt der aristokratische Schwesternkrieg ein Konflikt vor blässlichem Gesellschaftshintergrund: nirgends ein Politkolorit. Woran auch die historisierende Edel-Couture und das spärlich möblierte Bühnenbild von Jürgen Franz Kirner nichts ändern.

Was sich unter zwei, drei Akteuren in kammerspielartigen Szenen ereignet, gelingt Breiner dagegen fulminant. Die Ex-Ballerina, die zuvor bereits Gelsenkirchen zu einem Hotspot des Gegenwartstanzes machte, beweist wieder einmal Talent für eine ausdrucksstarke Beziehungsregie. Breiner weiß das klassische Ballettidiom als zeitgenössisches Kommunikationswerkzeug zu gebrauchen. So etwa beim Zusammentreffen der Königinnen im Garten von Fotheringhay, das Schiller sich entgegen der historischen Tatsachen als Höhe- und Wendepunkt des Dramas ausgedacht hat. Auch bei Breiner kommt es zum Showdown der Rivalinnen: Aus der Tiefe des Raums schreitet Sophie Martin als Elisabeth in gelben Hosen heran, das blaue Gewand der Gegenspielerin (Bridgett Zehr) leuchtet ihr von der Bühnenkante entgegen. Auge in Auge stehen sich die Damen gegenüber, gleiten zu Boden, lagern sich bäuchlings, fixieren einander wie archaische Sphingen. Schon schwingen sie sich auf die Knie, malen synchron und spiegelbildlich Gebärden in die Luft, recken die Finger beschwörend gen Himmel. Als möge Gott - der protestantische Elisabeths, der katholische Marias - ihre widerstreitenden Wahrheiten bezeugen. Nicht nur die Farben ihrer Kleider, auch ihre Seelen verhalten sich komplementär: Die eine hat, was der anderen fehlt. Als Freundinnen wären sie unschlagbar. Verfeindet sind sie das reine Gift füreinander und die Welt.

Elisabeths katholische Rivalin: Maria Stuart (Bridgett Zehr), Königin von Schottland. (Foto: Yan Revazov)

Bridget Breiner, deren Amtsantritt in Karlsruhe mit dem Corona-Auftakt zusammenfiel, ist die einzige Frau, die eine westdeutsche Kompanie dieser Größe leitet. Angesichts der zahlreichen Tänzerinnen, die an den mehr als sechzig Stadt- und Staatstheatern arbeiten, ist das ein Armutszeugnis. Aber es passt ins Bild, das vom US-amerikanischen Dance Data Project gerade ermittelt wurde: Demnach ist die Zahl weiblicher Führungskräfte zuletzt weltweit wieder geschrumpft. Umso wichtiger, dass Frauen in den Chefetagen zum Zug kommen und sich umgekehrt die Leitungsfunktion auch zutrauen. Gerade so, wie es die beiden Machtkonkurrentinnen im Norden Europas taten, wobei Mary aufs Ganze gesehen den Sieg davontrug: Bis heute herrschen ihre Nachfahren über Großbritannien, während die Tudor-Linie mit Elisabeths Tod 1603 erlosch.

Manches wirkt altbacken, doch die Schlüsselszenen sind perfekt

Breiners Ballett klebt indes fest am geschichtlichen Passepartout. Was den Nachteil hat, dass manches leicht altbacken wirkt. Das Gegockel der Männer bei Hofe, die - trotz Christus am Kreuz - boudoirhafte Atmosphäre in Marias Schreibstube, dazu die gezierte Galanterie der französischen Gesandtschaft - all dies könnte ohne Weiteres aus einem Libretto vom Ende des 20. Jahrhunderts stammen. Auch die Musikauswahl, die Benjamin Brittens "War Requiem" mit zeitgenössischen Kompositionen von James MacMillan mischt, klingt seltsam stumpf. Nicht nur wird Schillers Dramaturgie hier von fünf auf zwei Akte eingedampft, auch das Pathos erscheint streckenweise fahl heruntergedimmt.

Dafür sind die Schlüsselszenen perfekt. Sobald der betriebsblinde, sich selbst überschätzende Leceister (Ledian Soto) erst Elisabeth, dann Maria umgarnt oder Staatssekretär Gavison mit Elisabeth um die Unterzeichnung des Todesurteils ringt, fährt Breiner alles auf, was die Kunst des Pas de deux hergibt: intrikate Hebungen, filigrane Arabesques und ineinander fallende Blicke, die das Publikumsauge als Dritten im Bund verwickeln. Stark auch der Schluss, wenn Maria mit blutroter Schleppe die Hinrichtungsstätte besteigt und den Henker tröstet, bevor er sein tödliches Werk vollbringt. In solchen Momenten zeigt Bridget Breiner ihre Heldinnen in Nahaufnahme. Mehr davon, und das zweieinhalbstündige Doppelporträt wäre eine Sensation.

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