Ballett:Christian Spuck

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(Foto: Jos Schmid)

Von DORION WEICKMANN

Erste Seitengasse rechts auf der Bühne des Zürcher Opernhauses, das ist sein Stammplatz. Von dort beobachtet Christian Spuck jeden Auftritt seiner Tänzer: Sind sie in Form? Sitzt die Choreografie? Wo muss er nachpolieren? In letzter Zeit dürften dem Direktor des Zürcher Balletts kaum Mängel aufgefallen sein. Seine neueren Produktionen glänzen im Rampenlicht.

2012 stieg der gebürtige Marburger in ziemlich große Fußstapfen. Sie stammten von seinem Vorgänger Heinz Spoerli, der die Zürcher über ein Jahrzehnt mit edlen Tanzstoffen beglückt hatte. Spuck startete geschickt mit "Romeo und Julia", dann legte er eine steile Aufwärtskurve hin: Schwarzromantische "Sandmann"- und "Nussknacker"-Fantasien zogen das Publikum in Bann. Die eigentümliche Begabung des Zöglings der Stuttgarter Cranko-Schule zeigt sich auch in der "Winterreise" (nur noch am 2. und 18. Dezember). Spucks Deutung ist messerscharf, unsentimental bis zur Eiseskälte und trotzdem von einer Innigkeit, die fiebern macht. Und frösteln zugleich.

Solche Triumphe verdanken sich auch dem Ensemble, das er seit seinem Amtsantritt geformt hat. Jung, eigenwillig, charakter- und ausdrucksstark bis in die Midi- und Minirollen - so beeindrucken die gut drei Dutzend Zürcher Tänzer. Ein rekonstruiertes "Schwanensee"-Original leuchten sie genauso intensiv aus wie Zeitgenössisches, das Spuck aus der halben Welt importiert. Diese Vielfalt treibt auch unglückliche Ballerinen in seine Arme, die an den sklerotischen Hierarchien und abgemagerten Spielplänen anderer Häuser verzweifeln. Am Zürichsee haben sie einen Chef, der despotische Allüren hasst. Das strahlt er aus und in die Arbeitsatmosphäre ab.

Unlängst ist Spucks Vertrag bis 2025 verlängert worden. Nächstes Jahr wird er fünfzig Jahre alt. In seinem Vorzimmer steht ein majestätischer Rokokostuhl, Talmi aus dem Theaterfundus. Spucks Blick fällt darauf, wann immer sich die Tür öffnet. Er sucht die Begegnung mit der Vergangenheit, auch mit Herkunft und Geschichte des Balletts. Seine eigene Kunst aber wurzelt im Heute. Sie ist bildschön und grausam. Und von radikaler Gegenwart.

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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