Süddeutsche Zeitung

Ballett:Blitzendes Blau im eleganten Grau

Man sucht vergeblich nach dem "Missing Link", womit der jüngste Tanzabend in Augsburg überschrieben ist. Die Ballettkompanie begeistert in vier kontrastreichen Choreografien in der kleinen, feinen Brechtbühne im Gaswerk

Von Eva-Elisabeth Fischer

Das wird ein Fest", sagt der Mann am Tresen. Er meint den Tanzabend, mit dem nun gleich die neue Spielstätte im Ofenhaus - Brechtbühne im Gaswerk - erstmals betanzt wird. Das ist das jüngste, ebenso zweckmäßige wie kommunikationsfördernde Ausweichquartier des Augsburger Staatstheaters zusätzlich zum Martini-Park. Dem freundlichen Menschen im Foyer könnte man den subjektiven Tunnelblick des Parteigängers unterstellen. Denn der Mann, Felix Weinold mit Namen und seines Zeichens bildender Künstler, der vom vierteiligen modernen Programm mit dem Titel "Missing Link", das gleich beginnt, natürlich schon was gesehen und für gut befunden hat, gestaltete die Bühne für "The Piece". Das ist das zweite Stück und die einzige Uraufführung des Abends.

Ein Bühnenbild geht, streng genommen, gar nicht bei der kleinen Spielfläche ohne Hinterbühne und Gassen. Unter anderem deshalb sorgen die anderen Choreografen selbst für Bühne, Kostüme, und Licht. Bereits acht Tänzerinnen und Tänzer müssen sich da den Platz schon sehr gut einteilen. Weinold, der neben der Malerei, dem Zeichnen und der Fotografie auch Kunst am Bau betreibt, also konzentrierte sich auf die Decke und bestückte sie mit Leuchtstäben. Diese knicken irgendwann mittig nach unten wie einst die alten VW-Winker seitwärts, und illuminieren, schon mal im Walzertakt schunkelnd, die Tänzerinnen und Tänzer in einer Black Box. Sie winken am Ende auch die Streicher-pompöse Apotheose ein, während den auf ihren Fußballen rollenden Maschinenmenschen, welche die Tanzenden darzustellen haben, allmählich der Saft ausgeht.

Es ist die zweite Choreografie, die Weinold für Riccardo De Nigris ausgestattet hat. Der Italiener war seit der Spielzeit 2010/ 11 Tänzer beim Augsburger Ballett und beweist sich jetzt als freischaffender Choreograf. In "The Piece" treibt der suggestive Maschinenrhythmus von Massimo Margarias elektronischer "Livemachine" Männer und Frauen in den von Katharina Diebel entworfenen aralblauen Cross-gender-Kostümen vorwärts in immer neue Formationen. Ferngesteuerten Solipsisten gleich, knicken sie in der Taille nach vorn über ein gestrecktes Bein, oder sie rucken umher, gehen zu Boden, lassen die Köpfe pendeln. Aus der Gruppe schälen sich Paare oder auch eine einzelne Frau - eine Olimpia des Roboterzeitalters -, die wie aufgezogen um die eigene Achse kreiselt.

"The Piece", das ist wohl der orangefarbene Sitzsack, wie der Flokati ein It-Piece der bahama-beigen Siebzigerjahre, als man sich nicht nur mit "Autobahn" von Kraftwerk zudröhnte. Dieses Relikt einer gerade wieder hippen Un-Ästhetik zerren gleich mehrere Tänzerinnen und Tänzer auf die Bühne, um sich darauf zum Gruppenbild niederzulassen. Gleich danach agieren sie wieder als stoische Tanzautomaten. Es sind ihnen pinkfarbene Post-its angeheftet - vielleicht als leer bleibende Schildchen fürs Speeddating. Aber am Ende, da bleibt doch jede(r) für sich allein.

Riccardo De Nigris ist, daran besteht kein Zweifel, der entsprechend bejubelte Lokalmatador. Doch ihm ging bereits ein phänomenaler Einpeitscher voraus: Ihsam Rustem mit "Yidam", seinem so gar nicht friedlichen Selbstversuch in Mediation aus dem Jahr 2015. Dazu stellt er je fünf Männer und Frauen in grauen Hosen und weißen Tops in Reihe, Yin- und Yang-Probanden, die individuell ebenso hochdynamisch unterwegs sind wie ihnen das die repetitiven Rhythmen von Michael Cordons "Weather One" vorgeben. Die Phasen, in denen sie synchron zueinanderfinden, bringen Ruhe in das Chaos als Spiegel inneren Tumults. Gebrochene Akkorde hören sich an wie das akustische Echo irritierter Egos tanzender, grau beleuchteter Schatten. Die Frauen und Männer, die aus der Reihe nach vorn tanzen, loten im Paartanz Höhen und tiefen aus mittels gewagter Hebungen und am Boden. Sie kommen buchstäblich runter in diesem Stück und finden nach ihren impulsiven Attacken zu ruhiger Harmonie. Zu dem, was Meditation für sie sein könnte. "Yidam", die "Verbindung im Geist" zeitigt am Ende Wirkung, was die Zuschauer begeistert bestätigen.

Ricardo Fernando, Augsburgs Ballettchef in seiner zweiten Spielzeit, begnügt sich an diesem Abend gleichsam mit einem Zwischenspiel. Sein klassisch-eleganter Pas de deux "Voices" wurde 2013 bei der Tanzplattform in Düsseldorf uraufgeführt und nun von Naiara Silva de Matos und Momoko Tanaka hinreißend getanzt.

Da man in diesem kleinen Theater mit steiler Tribüne ganz nah dran sitzt, entginge einem nicht der geringste Fehler. Die Augsburger haben da gar nichts zu fürchten. Technisch allzeit souverän, präsentieren sie sich als bestens aufeinander eingespieltes Miteinander höchst individueller Tänzerpersönlichkeiten. Sie sind es, die das "Missing Link", das fehlende Bindeglied, wie es an gemischten Abenden nicht selten vorkommt, perfekt überspielen würden. Aber hier passt ja auch das Gegensätzliche. Samt der choreografischen Selbstfeier "18 + 1" (Chicago 2012) von Gustavo Ramirez Sansano zu den schmissigen Melodien von Pérez Prado am Schluss. Die zehn Tänzerpaare tragen diesmal unisex Schwalbenschwanz in Grau und durchdringen in geometrischen Formationen zu lateinamerikanische Rhythmen den Raum: Tango, Rumba, Mambo, Cha-Cha-Cha.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4314286
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.