Ballett:Besuch des Meisters

Ballett: Peter Wright hat vor den Proben in München DVDs der Giselle-Version von 1974 studiert. "Jede Giselle ist ein bisschen anders", findet er.

Peter Wright hat vor den Proben in München DVDs der Giselle-Version von 1974 studiert. "Jede Giselle ist ein bisschen anders", findet er.

(Foto: Wilfried Hösl)

Mehr als 40 Jahre ist es her, dass der britische Choreograf Peter Wright mit seiner "Giselle" das Publikum verzauberte. Für die Wiederaufnahme hat er die Proben in München begleitet

Von Rita Argauer

Ein Freund großer Worte ist Igor Zelensky nicht. Obwohl er unglaublich schnell redet, bedient der neue Direktor des Bayerischen Staatsballetts nichts von dem, was die Münchner Hochkulturschaffenden sonst so machen, wenn sie ihre Kunst vorstellen. So verzichtet Zelensky etwa darauf, seiner Spielzeit irgendein hochtrabendes Motto zu geben oder groß zu erklären, warum er welche Stücke auf den Spielplan gesetzt hat. Als er seine erste Saison in einem Pressegespräch vorstellt, wirkt er fast etwas genervt. Man solle doch bitte einfach die Stücke und seine neu zusammengestellte Kompanie anschauen und vorher nicht so viel einordnen oder bewerten.

Diese Phase des öffentlichen Anschauens beginnt jetzt. Es steht die erste Vorstellung der neuen Kompanie mit der Wiederaufnahme des romantischen Werks "Giselle" mit der Musik von Adolphe Adam an. Man tanzt die Version der britischen Tanzikone Peter Wright, die er bereits in den Siebzigerjahren für das Ballett der Münchner Staatsoper geschaffen hatte. Peter Wright wird im November 90 Jahre alt. Trotzdem ist der Choreograf und ehemalige Tänzer zu den letzten Proben dieser Wiederaufnahme nach München gereist und begleitet sie als liebenswert detailverliebter Perfektionist, zu dessen Lebenswerken eben jene Giselle gehört.

Giselle ist eine Ikone. Das Bauernmädchen, das sich vom Herzog Albrecht verführen und täuschen lässt, daran wahnsinnig wird, stirbt und schließlich in einem Tross von Geisterwesen, den sogenannten Wilis, wiederkehrt. Diese wiederum sind kurz vor der Hochzeit verstorbene Bräute, die den zweiten Akt des Stücks zwar zu einem weißen Tülltraum machen, aber Rache an den Männern suchen, die sie einst verletzten. Doch es gibt nicht nur eine Giselle. Vor genau 50 Jahren schuf Peter Wright seine erste Giselle für John Crankos Stuttgarter Ballett. Es folgten 15 weitere Versionen für verschiedene internationale Kompanien. Die Münchner Giselle entstand 1974. Es ist eine der ältesten Produktionen im Münchner Repertoire, seit neun Jahren wurde sie jedoch nicht mehr gespielt.

"Jede Giselle ist ein bisschen anders", sagt Peter Wright, denn er habe es immer gemocht, jeder Kompanie eine eigene zu geben. So gibt es, trotz einer generellen Übereinstimmung des Balletts, an jedem Theater kleine Besonderheiten. In München ist das etwa der Auftritt der Wilis, dieser ätherischen Horror-Geisterwesen, die hier von hinten auf die Bühne kommen und nicht etwa seitlich aus den Kulissen, wie das in Stuttgart der Fall ist. Werktreue ist beim klassischen Ballett sowieso eine schwierige Frage. Denn anders als im Sprechtheater oder in der Oper gibt es keine verbindliche Sprache oder Notation, die die Choreografie ein für alle Mal festschreiben würde. Hinzu kommen die verschiedenen Schulen, etwa die russische Waganova-Technik oder das englische System, die in Details von einander abweichen. Und während etwa Alexei Ratmanksy in den vergangenen Jahren die alten Ballett-Klassiker durch aufwendige Recherche-Arbeiten rekonstruierte, um möglichst an ein Original des 19. Jahrhunderts heranzukommen, war der Anspruch zur Entstehungszeit von Wrights Giselle noch ein anderer.

Die Handlung und die Musik, sowie eine Ahnung vom Schrittmaterial und den Kostümen sind überliefert, die Ausarbeitung, die Details und die dramaturgischen Linien oblagen jedoch dem Choreografen. Peter Wright legte seinen Fokus auf die Geschichte und die Charaktere. Als er Giselle das erste Mal als junger Mann am Sadler's Wells Ballet in London gesehen habe, sei ihm die holzschnittartige Figurenzeichnung aufgefallen: "Es gab dort keine fortlaufende Kausalität und keine ordentlichen Verbindungen zwischen den Figuren", erzählt er. Für ihn sei die dramaturgische Glaubwürdigkeit jedoch das Geheimnis der Giselle.

Wright ist ein wacher Mann, der seine Präzision auch im Alter nicht verloren hat. Und obwohl er sich noch in London über eine DVD seine Münchner Version wieder ins Gedächtnis rief und seine Assistentin Jane Elliott schon vor ein paar Wochen mit der Einstudierung hier begann, ist er ein bisschen unruhig: "Wir bräuchten eigentlich mehr Zeit", sagt er, denn all die Details, die die Figuren zum Leben erwecken, die müssen gesetzt und besprochen werden. Er will dem neuen Ensemble auch seine emotionale Vorstellung von Giselle nahe bringen: "Die Tänzer haben hier alle eine tolle Technik", sagt er, aber Tanz sei nicht nur Technik: "Man braucht auch die Persönlichkeit und das Gefühl für das Getanzte." Er würde gern noch länger mit den Tänzern arbeiten, obwohl er sich auch um sie sorgt. Gerade jetzt, wo sie vor dem Beginn der ersten Spielzeit so hart arbeiten, wie Zelenky es in den Pressegesprächen immer wieder äußert: "Ich hoffe, dass sie alle gesund bleiben, wenn sie so viele Stunden am Tag trainieren."

Giselle, Freitag, 23. September, 19.30 Uhr, Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2, weitere Vorstellungen: Sonntag, 25. September, 15 und 19.30 Uhr, Donnerstag, 29. September, 19.30 Uhr

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