Balkan-Pop:Ein Teil der Stadtgeschichte

Balkan-Pop: Das Trip-Hop-Elektronik-Duo "Basheskia & Edward EQ" aus Sarajevo kommt in die Münchner Glockenbachwerkstatt, obwohl dort gerade gar keine Reparaturarbeiten anstehen.

Das Trip-Hop-Elektronik-Duo "Basheskia & Edward EQ" aus Sarajevo kommt in die Münchner Glockenbachwerkstatt, obwohl dort gerade gar keine Reparaturarbeiten anstehen.

(Foto: Noise Mobility Festival)

Das "Noise Mobility Festival" in der Glockenbachwerkstatt hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen neuen Blick auf Südosteuropa zu werfen. In diesem Jahr wird es zehn Jahre alt

Von Jürgen Moises

Das Jahr 2000. Was war das doch mal für eine große, faszinierende und auch irgendwie beängstigende Zahl, die mit Science-Fiction-Visionen wie Autos mit Düsenantrieb oder intergalaktischen Reisen verbunden war. Und heute? Schreiben wir das Jahr 2019 und vieles, was vor allem politisch so passiert, fühlt sich wie das 19. oder gar das 18. Jahrhundert an. Diesen Eindruck hat zumindest Asmir Sabic, der mit einem großen Trupp an Unterstützern an diesem Wochenende das "Noise Mobility Festival" in der Glockenbachwerkstatt organisiert. Dieses wird in diesem Jahr zehn Jahre alt, gleichzeitig feiert auch die "Glocke" ihren 40. Geburtstag und dem Münchner Verein Balka Net, der das Festival tatkräftig unterstützt, darf man zu 20 Jahren gratulieren.

Noch etwas älter, das heißt 51 Jahre, ist das Anwerbeabkommen, das die Bundesrepublik Deutschland 1968 mit Jugoslawien geschlossen hat. Dieses spielt als Kontext nämlich ebenfalls in das diesjährige Noise Mobility Festival hinein, das sich unter dem Jubiläumstitel "#NMF/0 - Back to the Future" die Aufgabe gesetzt hat, einen neuen Blick auf Südosteuropa zu werfen. Wieso? Weil laut einer Studie mehr als 100 000 Menschen mit Wurzeln im heutigen Bosnien, Kroatien oder Serbien in München leben und deren Biografien damit ein bedeutender Teil der Stadtgeschichte sind. Deswegen sind zu dem am Freitag um 19.30 Uhr startenden, viertägigen Festival vor allem Musiker und Künstler aus Südosteuropa eingeladen, aber auch welche aus Frankreich, Chile, Argentinien und natürlich auch aus München.

Ein musikalisches Highlight dürfte dabei der sonntägliche Auftritt der serbischen Band Disciplin A Kitschme werden, die 1981 gegründet wurde und mit ihrem Wave- und Postpunk-Sound in Jugoslawien sehr einflussreich war. Mit dem Bassisten und Sänger der Band, Dušan "Koja" Kojić, gibt es am Sonntag um 18 Uhr auch ein Panelgespräch zum Thema "Musikindustrie in Ex-Jugoslawien und Europa". Das gleiche Thema werden am Tag zuvor auch der Toningenieur und Kulturarbeiter Darko Saračević aus Sarajevo, Predrag Vitner und Petar Mitric vom Kunstkollektiv "Symposion" aus Novi Sad und Asmir Sabic erörtern. Interessant dürfte dabei vor allem die Perspektive von Darko Saračević sein, der mit vielen kleinen Bands, als Stagemanager des Glastonbury Festivals aber auch mit Größen wie Massive Attack oder David Byrne gearbeitet hat.

Ebenfalls vielversprechend sind die Auftritte des Trip-Hop-Elektronik-Duos Basheskia & Edward EQ aus Sarajevo am Freitag, des Folkpop-Duos Helado Infinito am Sonntag oder der Experimentalrocker DRH am Montag. Und relativ ungewöhnlich für das Festival ist die Beteiligung des Stadtchors Belgrad, der am Sonntag in der Sankt-Maximilian-Kirche und am Montag in der Glockenbachwerkstatt singt. Was die Kunst angeht, so wird das 34 Comiczeichnerinnen umfassende "femicomix"-Projekt aus Zagreb von Samstag bis Montag Arbeiten präsentieren und das Kollektiv "Symposion" zeitgenössische Kunst sowie Musik und Filme. After-Show-Partys mit verschiedenen DJs gibt es ebenfalls sowie täglichen Biergartenbetrieb. Und damit genügend Raum für den persönlichen Austausch.

Um diesen geht es ja vor allem beim Noise Mobility, das seit zehn Jahren im Zeichen der europäischen Subkultur und des Do-It-Yourself-Gedankens steht. Zwar wird das Festival vom Kulturreferat der Stadt München unterstützt und wahrscheinlich auch vom Migrationsbeirat und vom Bezirksausschuss (beides ist noch nicht ganz sicher). Aber möglich ist es ansonsten nur dank ehrenamtlicher Helfer, die die Organisation und die Technik machen, oder die Musiker und Künstler privat bei sich beherbergen. Die gute, alte Gastfreundschaft, die gibt es auch noch. So haben es also nicht nur schlechte Dinge ins neue Jahrtausend geschafft.

10 Jahre Noise Mobility Festival, Freitag bis Montag, 7. bis 10. Juni, Glockenbachwerkstatt, Blumenstr. 7, Programm unter www.glockenbachwerkstatt.de

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