"Schneidend wie Peitschenhiebe kommen die Szenen von der Leinwand, pausenlos hämmern die Sensationen auf Sie ein. Liebe, Laster, Grausamkeit - alles wird hier unerbittlich ans Licht geholt, was sich bisher ängstlich im Halbdunkel verbarg." Mit diesen vollmundigen Verheißungen bewirbt der Sprecher den Film "Verbotene Welt" von 1964. Trailer hießen damals noch Filmvorschauen, und die Welt solcher Filme war tatsächlich verboten, zumindest geächtet. Sie fand nur im Neonlicht der Bahnhofkinos statt, in unmittelbarer Nähe zu Junkies, Strichern und dem Perversen im Regenmantel.
In ihrem Buch "Zwei Himmelhunde - Irre Filme, die man besser liest" lassen Clemens Meyer und Claudius Nießen - als Himmelhund 1 und 2 - in zum Teil autobiografischen Protokollen einer Serie von Videoabenden diese Welt wiederaufleben, gemütlich auf der stilecht versifften Couch und mit einem Gin Tonic in der Hand. Spaghetti-Western, Killer Clowns from Outer Space, Sexploitation, Rape-and-Revenge, Trash und "ÄKSCHN" jeglicher Couleur; insgesamt 207 Filme an 91 Abenden haben die beiden Herren geschaut, denen man eigentlich mehr zutrauen würde, als sich in nostalgische VHS-Pornos und Longdrink-Gläser zu vertiefen: Nießen leitete bis zu seiner Elternzeit 2014 das Leipziger Literaturinstitut, Meyer erhielt 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse.
Und jetzt also ein spaßhafter Lobgesang auf Filme wie "Beim Jodeln juckt die Lederhose". Meyers Frankfurter Poetikvorlesung zur "Äkschn GmbH" im vergangenen Sommer hatte den Grund bereitet: Was erzählt diese GmbH über ihre ureigensten, trashigen Rohstoffe?
Die Kapitel sind jeweils einem Regisseur, Schauspieler oder Sub-Genre gewidmet, die teilweise schon in den Vorlesungen auftraten. Die Prosa dazu ist von den Rückseiten schmuddeliger VHS-Kassetten inspiriert. Kein Satz ohne implizites Ausrufezeichen, sprachlich steuert alles auf ejakulativ abgefeuerte Jubelchöre und immer wieder umkreiste Schlüsselsätze zu. "Mit Kifferblick schauen die Bösewichte dem Bumerang hinterher, bis er zurückkommt und ihnen in die Fresse hämmert. Ein Klassiker, über den man seitenweise referieren könnte, aber . . ." - aber dazu kommt es nicht, denn wieder einmal schlägt der Bumerang ein, das Mantra des Kapitels: "Was willst du, Blinder? - Ich will meine 50 Weiber!"
Der Fließtext wird immer wieder durch Einwürfe der beiden Referenten unterbrochen, so als befände man sich tatsächlich mit ihnen auf der umflimmerten Couch, während einer in die Tasten hackt und der andere, Erdnussflips mampfend, Kalauer über Möpse einstreut. Manche der Kapitel enthalten auch kleine fiktive Erzählelemente, in denen die "Himmelhunde" selbst ein bisschen ÄKSCHN machen. Im Grunde aber unterscheiden die Kapitel sich so wenig wie die darin behandelten Filme. Es hagelt "Dampfhammerschläge, doppelte Backpfeifen, Nackenschellen, gute, alte Kinnschwinger, und ab und zu gibt's auch ganz trocken einen Tritt in die Kronjuwelen".
Bei so viel Abwechslung wünscht man sich, der Killer-Bumerang und der zwischen die Zeilen gekippte Gin Tonic hätten nicht gar alles jenseits von "Titten raus!" abgemäht. Doch die beiden feiern lieber das exzessive Strukturprinzip des billigen Genre-Kinos ab, in dem es, wie im Jazz, um die immer abgedrehtere Variation der immer gleichen Grundmelodie geht: So wurde in den Bahnhofskinos und "Grindhouses" der Sechziger- und Siebzigerjahre aus Liebe und Abenteuer Sex und Gewalt, schließlich Porno und Splatter. Die Aura des Verruchten macht sie heute zu einer Spielwiese intellektueller Jungs-Abenteuer für jene inzwischen älter werdende Generation, die niemals alt werden will.
Testosteronschwangeres Rumgeprolle ist nun wieder salonfähig geworden
Regisseur Quentin Tarantino hat die Welt der B-Movies erst mit nostalgischem Glanzlack überzogen und dann auf die große Leinwand übertragen, Arte widmete ihr jüngst eine kulturarchäologische Würdigung mit der Doku "Cinema Perverso - Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos". Testosteronschwangeres Rumgeprolle ist wieder salonfähig geworden, sofern es als augenzwinkernde Reminiszenz daherkommt. Mit dem Versprechen der "Street-Credability" blödeln zwei ausgewachsene Herren, in die Pubertät zurückverjüngt, gegen die ach so furchtbar zahme deutsche Literaturszene an. Meyer durfte nicht nur in Frankfurt, sondern auch bei der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse noch mal lang und breit darüber reden, wie so ein Frauenknast-Film funktioniert und warum das so furchtbar geil ist.
Dass Claudius Nießen und er jetzt die Mechaniken von ÄKSCHN-Filmen nicht nur für die Literatur adaptieren, sondern sie dabei pausenlos auch ganz doll hochleben lassen müssen, hat allerdings etwas Entblößendes: Der Saft ist raus aus den Djangos und Rambos mit ihren knurrigen Stimmen. Manchmal sind sie noch drollig. Meistens ist das ständige Geballer aber so spannend wie eine Explosion in Spielfilmlänge.
Claudius Nießen / Clemens Meyer: Zwei Himmelhunde. Irre Filme, die man besser liest. Verlag Volant & Quist, Dresden 2016. 208 Seiten, 18 Euro.