Bahnchaos in Berlin:Logik des Terrors

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Man brennt ein Kabelbündel durch - und schon herrscht Chaos zwischen Ostsee und Thüringen: Der Anschlag am Berliner Ostkreuz ist ein Anschlag auf unsere Gelassenheit.

Gustav Seibt

Der Brand am Berliner Ostkreuz und seine Folgen gehören zu den Schocks, über die man erst schlafen muss, um ihre Tragweite zu ermessen. Die Nachrichten vom Montag - S-Bahn-Chaos in Berlin - klangen zu vertraut, um recht ernst genommen zu werden.

Ein Mitarbeiter einer Baustelle arbeitet am Dienstag am Bahnhof Ostkreuz in Berlin an der Stelle, an der es zu einem Kabelbrand kam. Nach dem vermutlich vorsätzlich gelegten Kabelbrand am S-Bahnhof Ostkreuz am Montagmorgen ermittelt die Polizei - unter anderem wegen eines Bekennerschreibens aus der linksautonomen Szene. (Foto: dapd)

Dass in Berlin etwas schiefgeht, dass dabei Hunderttausende Unbeteiligter am normalen Arbeiten und Vorankommen behindert werden, daran hat man sich gewöhnt, schließlich leidet Berlin nicht nur unter dem jahrelangen Missmanagement bei der Bahn, sondern immer noch an einer seit Kriegszeiten nie gründlich sanierten Verkehrsstruktur vor allem im Ostteil der Stadt.

Deren Renovierung bot jetzt allerdings auch das weiche Ziel für das, was man, wenn wir Pech haben, als Einstieg in eine neue Dimension großstädtischen Terrors verstehen muss. Terror? Es ist doch fast nichts passiert, wird einwenden, wer bei diesem Wort nur an explodierende Bomben und zerfetzte Körper denken kann. Doch hier wurde bewiesen, was möglich ist: Man brennt ein Kabelbündel durch, und sogleich bricht der Zugverkehr im Ostteil der Großstadt Berlin, ja zwischen Ostsee und Thüringen zusammen.

Die interne Kommunikation der Bahn wurde ebenso abgeschaltet wie ein Mobilfunknetz, an dem unter anderem ein Rettungsdienst für Kinder hing. Zehntausende blieben ohne Netzzugang. In einem ganzen Stadtbezirk fielen die Ampeln aus; ob ein Verkehrsunfall mit zwei Toten im ampellosen Gebiet zu den Folgen des Anschlags zu zählen ist, wird im Netz kontrovers diskutiert. Damit ist der offensichtlichste Schaden, die Blockade für eine halbe Million Fahrgäste der Berliner S-Bahn, noch gar nicht benannt. Betroffen sind Berufstätige, Schüler, Patienten mit Arztterminen, Menschen, die meist keine andere Möglichkeit als den öffentlichen Nahverkehr haben. Sie alle werden bis zur Stunde in Geiselhaft genommen - wofür eigentlich?

Das verrät ein Bekennerschreiben im Netz, das so genaues Täterwissen preisgibt, dass die Berliner Polizei es für authentisch hält. Es geht, wieder einmal, um die Rettung der Welt, und die altanarchistischen Phrasen - "alle haben Verantwortung für das, was geschieht" - können nicht vom konkreten Anlass ablenken: Der selbstausgerufene Ausnahmezustand beruft sich auf Fukushima.

Eigenmächtiger Ausnahmezustand

"Die Bilder von Fukushima, die hilflosen Ingenieure, die vertuschte Kernschmelze, die Zwangsumsiedlung der Strahlenopfer und das Verheizen der Leiharbeiter in den Atomruinen sind eindeutig. Diese Technologie ist abzuschalten. Durch alle, die nicht mehr bereit sind, sich den Profitinteressen der Energiekonzerne zu opfern. Sofort." Das Abschalten ist zwar inzwischen in Deutschland politischer Konsens, aber die hier gelebte Apokalypse kann auf etwas so Langwieriges wie demokratische Entscheidungsprozesse oder wirtschaftliche Übergänge nicht warten.

Und genau in der paranoiden Endzeitlichkeit liegt die Logik des Terrors. Wer so denkt, dem muss jedes Mittel recht sein; wer so spricht und handelt, hat ein Recht, dass man ihn ernst nimmt. In Berlin-Kreuzberg werden seit Jahren regelmäßig Autos missliebiger Marken und Nummernschilder angezündet; auch hier ist es nur dem Zufall zu danken, dass bisher keine Menschen zu Schaden kamen. Auch das geht als "Widerstand" durch, gegen eine Aufwärtsmobilisierung, die längst die Zuwanderer erfasst hat, aber von Stadttheoretikern als "Gentrifizierung" geschmäht wird.

Das Berliner Ostkreuz, ein uralter Bahnknotenpunkt, über den auch der Fernverkehr nach Osteuropa geht, wird seit fünf Jahren mühselig neu erbaut. Erst 2016 soll die Operation, neben Stuttgart 21 einer der größten Bahnhofsumbauten Europas, abgeschlossen sein. Hany Azer, der Ingenieur des Stuttgarter Projekts, der den Bettel soeben wegen der Anfeindungen und Bedrohungen, denen er von Stuttgarter Fanatikern ausgesetzt war, hingeworfen hat, ist auch für den Ostkreuz-Umbau zuständig. Was man seiner Planung nun vorwerfen kann, ist ein Leichtsinn, der sich auf ein einfaches Gitter verließ.

Diesen Leichtsinn könnte man auch anders definieren: Eigentlich ist er das liberale Grundvertrauen in eine rücksichtsvolle Gesellschaft, in der es sich nicht einzelne Gruppen herausnehmen, der Mehrheit das Leben vorzuschreiben. Die Logik des Terrors aber besteht darin, dass man den Ausnahmezustand, auf den man sich beruft, eigenmächtig herstellt. Wenn das durchgeht, hätten wir bald nur die Wahl zwischen dem Diktat der Energiekonzerne und dem Diktat politischer Apokalyptiker. Es wird Zeit, dass die demokratischen Befürworter einer neuen Energie- und Verkehrspolitik den Fanatismus ihrer Anhänger mäßigen.

Vor ein paar Jahren lief der Film "Die fetten Jahre sind vorbei", in dem Wohnungseinbrüche und eine Entführung als Spaßguerrilla verniedlicht wurden, mit dem netten Gesicht Daniel Brühls. Sagen wir es so: Wenn wir nicht aufpassen, dann sind die ruhigen Jahre einer im Sturm des islamistischen Terrors bewundernswert gelassen gebliebenen Gesellschaft schnell vorbei. Von dieser Gelassenheit haben politisch übrigens letzthin vor allem die Grünen profitiert.

© SZ vom 25.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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