Über einen Mangel an Schlagzeilen kann sich die Stuttgarter Oper in diesen Tagen nicht beschweren. Dass Zuschauer bei Aufführungen der provokant-blutigen Opernperformance „Sancta“ über Übelkeit klagten und in drei Fällen sogar ein Arzt dazugeholt wurde, beschäftigte nicht nur deutsche Medien. Auch der Guardian informierte seine Leserschaft über den Gesundheitszustand des schwäbischen Publikums nach dem Besuch der „Oper mit Live-Sex und Piercings“. Und nun nimmt auch noch eine Debatte Fahrt auf, die eigentlich als abgeschlossen galt: die Zukunft der Opernspielstätte. Genauer: der Kosten- und Zeitplan für Sanierung und Erweiterung des neoklassizistischen Baus im Herzen Stuttgarts.
Während die Oper die mediale Aufregung rund um „Sancta“ getrost als kostenlose PR verbuchen kann, hat sie an der Debatte um die Sanierung, so viel lässt sich sicher sagen, kein gesteigertes Interesse. Denn Auslöser sind Berichte, wonach für das ohnehin zeitaufwendige und teure Vorhaben nun ein noch längerer Zeitraum veranschlagt wird – und damit auch höhere Kosten. Demnach könnte die Sanierung der Oper erst 2044 abgeschlossen sein, vier Jahre später als bislang geplant. Und die Kosten, so meldet es der SWR, auf bis zu zwei Milliarden Euro steigen, doppelt so viel wie kalkuliert. Die Verantwortlichen äußern sich bislang nicht, zunächst soll der Verwaltungsrat der Oper informiert werden, der am 18. November tagt. Die Kosten des Vorhabens teilen sich die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg.
Spätere Fertigstellung, höherer Geldbedarf – bei dieser Kombination denken viele Schwaben unwillkürlich an ihren Bahnhof, der unter kräftiger Dehnung sämtlicher Zeit- und Kostenpläne unter die Erde verbracht wird. „Wird die Oper ein zweites Stuttgart 21?“, fragten die Stuttgarter Nachrichten. Dabei hatte die grün-schwarze Landesregierung erst 2019 als Lehre aus dem Bahnhofsdebakel neue Wege bei der „Kostensicherheit von Bauvorhaben“ versprochen, „mit noch mehr Transparenz, Offenheit, Gründlichkeit und einer verstärkten Bürgerbeteiligung“. Für die Oper hieß das: Zu den kalkulierten Kosten von 550 Millionen Euro schlug man 410 Millionen Euro drauf, für angenommene Preissteigerungen und generelle Risiken. So kam man auf knapp eine Milliarde Euro Gesamtkosten. Viel seriöser, so lautete die Botschaft, kann man nicht kalkulieren. Das war natürlich vor Corona und Ukrainekrieg, vor explodierenden Baupreisen, in der Rückschau aber vielleicht doch etwas vermessen.
Dass das alte Opernhaus saniert werden muss, weil etwa das Dach marode und die Bühnentechnik veraltet ist, bestreitet eigentlich niemand. Doch zum Projekt zählt auch der Bau einer Interimsspielstätte für die Zeit der Renovierung. Während auf der S-21-Baustelle bereits das Dach des Tiefbahnhofs Formen annimmt, ist für die Ausweichspielstätte für die Oper noch nicht einmal ein Spatenstich erfolgt. Schon werden Rufe laut, doch gleich ein neues Opernhaus anstelle eines Interims zu bauen. Nach der offiziellen Verkündung der Zahlen am 18. November dürfte die Debatte virulenter werden. Weitere Schlagzeilen sind der Oper gewiss.