Wettbewerb um den Bachmannpreis:Die Elefanten sind zurück

Wettbewerb um den Bachmannpreis: "Viele der Allergrößten hätten Bewerbe wie diesen nie im Leben gewonnen, wahrscheinlich nicht einmal die Bachmann", sagte Anna Baar in der Eröffnungsrede, mit der der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis traditionell beginnt.

"Viele der Allergrößten hätten Bewerbe wie diesen nie im Leben gewonnen, wahrscheinlich nicht einmal die Bachmann", sagte Anna Baar in der Eröffnungsrede, mit der der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis traditionell beginnt.

(Foto: GERT EGGENBERGER/AFP)

Endlich sprechen Autorinnen und Kritiker beim Wettbewerb um den Bachmannpreis wieder live und vor Publikum in Klagenfurt. Zur Eröffnung liest die Schriftstellerin Anna Baar den Leuten dort erst mal die Leviten. Eine schöne österreichische Tradition.

Von Miryam Schellbach

Zwei volle Pandemiejahre hat es gedauert, bis die Klagenfurter ihren Wettbewerb zurückbekommen haben. Am Mittwochabend stand zur Eröffnung der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur alles unter dem Zeichen der Rückkehr des Betriebs, der sich bis dahin an die Screens verwiesen sah, um der öffentlichkeitswirksamsten Auszeichnung für Gegenwartsliteratur beizuwohnen. Jetzt aber wuselten wieder Lektorinnen herum im Garten des ORF-Studios, Literaturagenten, Blogger, Leserinnen. Dazu hatte man mitten in das rückkehrbeschwingte Geschehen diejenigen gesetzt, um die es eigentlich geht: Wie Gladiatoren vor dem Spiel saßen sie da im Kreis, alphabetisch aufgereiht, die 14 Autoren und Autorinnen, die in den kommenden drei Tagen ihre bisher noch geheimen Texte der neunköpfigen Jury vorstellen.

"Spielen Sie nicht in Socken! Es ist ein Elefant in dieser Lesemanege", riet diesen Autorinnen die Klagenfurter Schriftstellerin Anna Baar am Ende ihrer Eröffnungsrede. Allerdings blieb offen, ob mit diesem Elefanten die Juroren gemeint sind, und warum gerade dieses gemütliche graue Tier dafür stehen soll, dass es erfahrungsgemäß auch in diesem Jahr wieder zu unangenehmen Verrissen kommen könnte.

Bevor es aber zu dieser Warnung kam, hatte Anna Baar eigentlich zwei Reden in einer gehalten und also unter dem Titel "Die Wahrheit ist eine Zumutung" viel Herausragendes gewollt. In den vierten Monat des Ukrainekriegs fällt der Bachmann-Preis, und Baar strafte die Vorstellung lügen, diese Zeiten würden mit einem nun achtzigjährigen europäischen Frieden brechen. 1991 etwa, da habe man "die Bombeneinschläge, das Pistolengeknatter, die Schreie der Getroffenen aus nächster Nähe" hören können. Damals begann fast auf den Tag genau der Slowenienkrieg, während man auf dieser Seite der Grenze von etwas ganz anderem in Panik versetzt wurde, wie Baar erzählt.

Im Moment der allergrößten Aufmerksamkeit schaut Klagenfurt erst einmal auf sich selbst

1991, das war das Jahr, als der Autor Urs Allemann mit seinem Provokationstext "Babyficker" die Innensicht eines Pädophilen vermaß und viele das schwer auszuhalten fanden. Wirklich unerträglich aber, so holt Baar diesen alten Text in die nun weniger festlich gestimmte Klagenfurter Gegenwart, "waren die Verbrechen des echten Kinderschänders". Baar bezieht sich auf den Kärntner Kinderarzt Franz Wurst, der jahrzehntelang Missbrauch an Kleinkindern als "Zuwendungstherapie" tarnte und von vielen geschützt wurde. Baar spricht von anderen Ärzten, Krankenschwestern, Polizisten und auch dem einstigen Landeshauptmann Leopold Wagner, weswegen die Stadt Klagenfurt diskutiert, eine nach ihm benannte Sportarena umzubenennen.

In Anna Baars Klagenfurter Rede tönt Enthüllungsrhetorik und auch, wenn es manchmal so klingt, ist sie damit nicht allein in der Stadt. Mit "Nicht sehen" stand bis vor einem Monat eine dokumentarische Aufarbeitung des Falls durch den israelischen Regisseur Noam Brusilovsky auf dem Spielplan des Klagenfurter Theaters.

Es ist eine sympathische österreichische Literaturtradition, den Finger in den modrigen Haufen des Eigenen zu stecken und so lange zu drücken, bis alles zusammenfällt. Josef Winkler etwa, der morbide Antiheimatromane schreibt, und vor ein paar Jahren selbst mit einer Rede die Klagenfurter Ehrengäste vom Bürgermeister bis zum Landeshauptmann und Kulturreferenten durch die Bank weg beschimpft hat. Anna Baar schimpft auch, sie schimpft über die zahlreichen Straßen in Klagenfurt, die nach Nazis benannt sind, über das "verfluchte Schweigen", über Mitschuldige. Es wäre ein souveräner Auftritt gewesen, wenn es so hätte enden dürfen: Im Moment der allergrößten Aufmerksamkeit, schaut die Stadt Klagenfurt mithilfe der Anklägerin Anna Baar erst einmal auf sich selbst.

Aber dann schimpfte Anna Baar noch weiter. Schimpfte sich in eine zweite Rede über die anscheinend miserable Qualität der Gegenwartsliteratur, über den "Jugendjargon", und zu "flotte Plots", über "neuliberale Coolness" und "Betroffenheitsmilde": "Weißbrotliteratur ohne besonderen Nährwert". Sie schimpfte ohne Bezug oder Beispiel so vor sich hin. Und nach dieser Tirade wirkt der abschließende Rat, man solle sich vor dem Elefanten im Raum in Acht nehmen, beinah lustig. Vielleicht hätte man die in Reihe sitzenden Autorinnen und Autoren hier in Klagenfurt vor dem ersten Lesetag besser vor Anna Baars konservativer Globalcharakteristik der jungen Gegenwartsliteratur warnen sollen.

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Sasha Marianna Salzmann
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