Süddeutsche Zeitung

Ayn Rands "Streik":Die Party der Superegoisten

Ayn Rands höchst erfolgreicher Roman "Der Streik" vergöttert den Kapitalismus und ist die Bibel der amerikanischen Konservativen. Nicolas Stemann hat das Buch jetzt in Zürich als Musical auf die Bühne gebracht.

Von Egbert Tholl

Willkommen bei der "John-Galt-Saga" im Schauspielhaus Zürich! Aber wer ist John Galt? In Europa interessiert das sehr wenige, in den USA stellen sich diese Frage sehr viele. Der Grund dafür ist das Buch "Atlas Shrugged" von Ayn Rand. Seit einigen Jahren ist es auch wieder auf Deutsch erhältlich, weil sich der Münchner Kai John in das Monstrum verliebt hatte und die 1300 Seiten in einer Neuübersetzung im Eigenverlag herausbrachte. Kaum war "Der Streik" erschienen, brachte ihn Stefan Bachmann in Köln auf die Bühne. Das war 2013. Das Original erschien 1957 und wäre zu belächeln, hätte es in den USA nicht eine immense Bedeutung. Erst wenn man sich über diese im Klaren ist, kann man begreifen, was Stemanns radikal durchironisierter Regieansatz bedeutet. Er macht aus einem der bizarrsten Bücher das 20. Jahrhunderts ein Musical.

Ayn Rand wurde als Alissa Sinowjewna Rosenbaum 1905 in Russland geboren, wanderte mit 21 in die USA aus, nachdem die Roten Garden den Vater um seine Apotheke gebracht hatten, schrieb dann viele Jahre später den Roman "Fountainhead" über einen genialischen Architekten, der mit Gary Cooper verfilmt wurde, und noch ein bisschen später das Buch, das schnell zur Bibel des Turbokapitalismus avancierte. Als 1991 die Washingtoner Library of Congress nach dem Buch fragte, das "Ihr Leben am meisten veränderte", kam "Atlas Shrugged" auf Platz zwei. Hinter der Bibel.

Im Grunde ist "Der Streik" ein Kolportageroman, in dem viele Ideen ausgebreitet werden, ja in dem alle Figuren kaum aus Fleisch und Blut, sondern nur aus Ideen zu bestehen scheinen. Der Grundtenor: Der Staat hat sich aus allem rauszuhalten, Steuern sind Plünderei, die Verfolgung des eigenen Glücks und des eigenen Reichtums seien der höchste moralische Zweck des Lebens. Diese Haltung vertreten der Stahlmagnat Hank Rearden und Dagny Taggart, Erbin und Vizepräsidentin der Taggart-Eisenbahnlinie. Im Magazin New Yorker wurde Rand einmal als "verrückte Madonna des Egoismus" bezeichnet. Das stimmt, aber nur zum Teil.

Im Roman verschwinden ein paar andere Hardcore-Unternehmer auf rätselhafte Weise, gründen unter Anleitung des ominösen John Galt ein Atlantis fernab der Welt, weil sie nicht mehr für die Armen, Dummen, Chancenlosen Geld zahlen wollen. Das ist der eigentliche Streik, und er führt letztlich zur Verwüstung der nicht mehr produzierenden Welt. Wie allerdings die Superunternehmer im abgeschiedenen Tal ohne Käufer ihren Kapitalismus feiern wollen, bleibt rätselhaft. Und spätestens hier fragt man sich, ob die meisten der mehr als 25 Millionen US-Amerikaner, die das Buch allein bis zum Jahr 2010 gekauft hatten, dieses nicht tendenziell falsch lasen. Ja, Rand feiert, pseudophilosophisch, radikal das Recht des Stärkeren und des Genies. Aber sie erzählt auch von anderen Unternehmern, von den Brüdern von Hank und Dagny, die auf Verantwortung plädieren, erzählt auch von Familie: Dagnys Mutter meint im Roman einmal, die Beziehung zwischen ihrer Tochter und Hank sei keine Liaison, sondern ein Unternehmenstrust. Dass Hank und Dagny ihr Glück in der Befriedigung ihrer Gier finden, bleibt letztlich nur Behauptung.

Die Superegoisten knallen alle andern ab und eignen sich so die Zukunft an, in der diese ganze Gala spielt

Die völlig unterschiedliche Rezeption des Buches auf beiden Seiten des Atlantiks erzählt mehr als das Buch selbst. In den vergangenen zehn Jahren schnellten die Verkaufszahlen dann nach oben, wenn etwa Barack Obama seine Gesundheitsreform durchsetzen wollte, und die konservative Tea-Party-Bewegung demonstrierte mit "Who Is John Galt"-Schildern.

Bei Stemann singen am Ende dazu passend die Protagonisten "Dieses Zeichen schafft unsere neue Zeit, schafft eine ganze Welt". Gemeint ist das Dollar-Zeichen.

Als Nicolas Stemann im Sommer mit den Vorproben begann, hatte er noch eine normale Aufführung im Sinn. Nur: "Der Streik" ist kein normales Buch. Und so entschied er sich, zusammen mit Burkhard Niggemeier, Thomas Kürstner und Sebastian Vogel, Musik zu schreiben, den Text satirisch durchzuschütteln, die Puppenbauer von Das Helmi mit bizarren Gestalten armer Menschen zu beauftragen, eine Live-Combo auf die Bühne zu stellen und aus seinem Abend eben die "John-Galt-Saga" zu machen. Die ist nicht immer flott, dauert mehr als drei Stunden und könnte, um das gleich zu sagen, böser, härter, schärfer sein. Aber eines erreicht Stemann: ein großes Kopfschütteln über ein Land, in dem einige Präsidenten Rands Buch auf dem Nachttisch liegen hatten, vermutlich sogar Obama, wenn der wissen wollte, wie seine Feinde ticken.

Stemann nimmt Splitter aus dem Buch und vergrößert sie, leitet seine teils wundervollen Darstellenden zu beherztem Spiel an. Matthias Neukirch spielt diesen John Galt als Entertainer des Abends, aasig und herrlich glatt, und wagt mit Sebastian Rudolph (Hank) ein paar scharfe Tänzchen. Alicia Aumüller ist die eiskalte Dagny, wundervoll, sogar gefährlich sexy - sie singt auch beeindruckend. Wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie Thelma Buabeng, Hanks Ehefrau Lilian, die erst den Widerstand gegen den Egoismus organisiert und schließlich Präsidentin der USA wird, eine tolle, schwarze, Soul röhrende Lady. Daniel Lommatzsch spielt Hanks Bruder als Theaterregisseur, also als einen "kompletten Versager", aber er spielt toll, und Stemann kann mit ihm beste Witze über sich selbst machen: Um sein kapitalismuskritisches Theater zu machen, pumpt dieser Philip seinen Bruder an.

Rands Buch ist auch esoterische Science-Fiction, was sich hier in dieser brüchigen Show in einer Zukunft abbildet, die keiner haben will. Die aber dennoch ulkig ist, inklusive eines hanebüchenen Western-Showdowns, der ähnlich bereits im Roman steht. Die Superegoisten knallen alle andern ab und eignen sich so die Zukunft an, in der diese ganze Gala spielt. Die Musik dazu - ein bissel Soul, Arbeiterlieder, Weill, Eisler, Schlager - könnte, nein sollte, entschieden wahnsinniger sein. So bleibt das Irre des Buchs zwar gut erhalten, aber was fehlt, ist die fühlbare Erkenntnis, dass es 2020 halt noch viel wahnsinniger zugeht als 1957.

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SZ vom 16.01.2020
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