Nach und nach treten an den deutschen Opernhäusern vergleichsweise jüngere Intendanten an, gelegentlich sogar Frauen. Berlin wahrt dabei den Proporz. So arbeiten seit dieser Spielzeit Susanne Moser, Jahrgang 1974, und Philip Bröking, Jahrgang 1966, zusammen, an die Staatsoper kommt 2024 Elisabeth Sobotka, Jahrgang 1965.
Jetzt wurde der neue Intendant für das dritte Haus des Stadtstaats benannt. Aviel Kahn, Jahrgang 1974, übernimmt 2026 mit der Deutschen Oper das größte, künstlerisch meist im Schatten der beiden Konkurrenten stehende Opernhaus der Stadt. Das könnte sich mit Aviel Cahn ändern. Denn Cahn, er wurde in Zürich geboren, ist ein fantasiebegabter Opernmacher, der immer wieder spektakuläre und überraschende Besetzungscoups hinbrachte.
So überredete er den Schauspieler und Oscarpreisträger Christoph Waltz, den "Rosenkavalier" von Richard Strauss zu inszenieren, den Literaturnobelpreisträger Dario Fo verpflichtete er für Gioachino Rossinis "Il viaggio a Reims". Solche Coups sind umso auffälliger, als Aviel Cahn bisher nur Häuser geleitet hat, an denen die großen Stars eher selten zu finden sind: Helsinki, Bern, die Vlaamse Opera, derzeit ist er in Genf. Neben einem Gespür für solche Besetzungscoups kann Cahn aber auch mit allen progressiven Regisseuren der Szene, mit Tatjana Gürbaca, Peter Konwitschny, Calixto Bieito, Michael Thalheimer, FC Bergman und dem Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui, er hat etliche Uraufführungen auf die Bühne gebracht.
Aviel Cahn hat Klavier und Gesang studiert, aber auch Jura. Er hat in China gearbeitet, seine Produktionen wurden oft ausgezeichnet. All das weist ihn als weltoffenen und selbstbewussten Opernmacher aus, der für seine künstlerischen Visionen offenbar immer Wege findet, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Und diese Mischung aus Manager und Visionär macht ihn zu einer Idealbesetzung in Berlin. Im Jahr nach Cahns Amtsantritt endet übrigens der Vertrag von Donald Runnicles, er ist der bisher nicht gerade durch Geniestreiche aufgefallene Musikchef der Deutschen Oper. Die entscheidende Frage ist, ob Cahn dessen Vertrag verlängert, oder sich eine womöglich jüngere Dirigentin sucht. Warum auch nicht. Schließlich ist Cahn unkonventionell genug, um auch in dieser Frage einen Sonderweg zu gehen.