Autorin Helene Hegemann:Untermieter im eigenen Kopf

Die junge Erfolgsautorin Helene Hegemann will für ihr Buch Axolotl Roadkill bewusst abgeschrieben haben. Das sei schließlich die Technik ihrer Generation. Geht so Sowjetpropaganda?

Willi Winkler

Kindsmissbrauch ist ein schweres Delikt, jedenfalls in zivilisierten Gesellschaften. Ein paar Jesuiten-Patres, die in Berlin oder auch andernorts die Finger nicht von ihren Schützlingen lassen konnten, bangen deshalb gerade der Verjährung entgegen. Die Volks-Empörung ist ihnen so sicher wie das allfällig geäußerte Unverständnis: Wie kann man sich nur an den unschuldigen jungen Menschen vergreifen?

Helene Hegemann, Axolotl Roadkill; ddp

Erfolgsautorin Helene Hegemann: "Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation."

(Foto: Foto: ddp)

Es gibt eine andere Form von Kindsmissbrauch, die nicht einmal mehr als Kavaliersdelikt gilt, sondern längst Teil der Kulturindustrie geworden ist. Es sind nämlich nicht nur die Hartz-IV-Empfänger, die ihre Kinder in die Medien schicken, das Delikt kommt auch in besseren Kreisen vor.

Jugendschutz gilt hier nichts

Richtig schlimm wird es aber erst, wenn sich die besseren Medien der Kinder annehmen. Der Jugendschutz gilt hier nichts, Marketing ist alles. Der Markt, so ist er nun mal, giert nach Frischfleisch. Das legendäre "Fräuleinwunder" der deutschen Literatur, einst vom Spiegel ausgerufen, ist schon recht verwelkt mit den Jahren.

Um so erfreulicher, wenn das Phänomen noch jünger, noch fräuleinhafter wiederkehrt, als "Wunderkind der Boheme" (wiederum der Spiegel) und noch besser, wenn das junge Ding die Welt bereits kennt, ja, mit "ihrer Härte, Brutalität und Vulgarität (...) mitten in den Kern unserer Konsenskultur" zielt, wie die Frankfurter Allgemeine aber so was von zielgenau weiß.

Biller will ihr Papa sein

Der Roman Axolotl Roadkill von Helene Hegemann feiert den morbiden Vitalismus einer wohlstandserschöpften Jugend, was unweigerlich am meisten den Älteren gefällt, weil sie diese Jugend nur aus sicherer Entfernung dargereicht bekommen.

Maxim Biller, selber auch schon etwas über vierzig, stößt netterweise in der Sonntagsausgabe der FAZ die Warnung aus, dass sich "jeder, der über dreißig ist", vor dem Buch hüten solle. Vielleicht hat er sogar recht, nur hält er sich selber nicht dran, sondern behauptet, dass das neueste Wunderkind ein "Deutsch schreibt, das es noch nie gab: suggestiv wie Sowjetpropaganda, himmlisch rhythmisch, zu Hause in der Hoch- und Straßensprache" und so sülzend weiter, dass der gute Biller die Heldin am liebsten "zu mir nach Hause einladen und gerne ein paar Kapitel lang ihr Papa sein" möchte.

Auf der nächsten Seite: Wenn der Jugendschutz nicht gilt, kommt der Feuilletonfriseur.

Der Ruhm gebührt den Haaren

Wie alt ist die Autorin? Siebzehn? Wenn der Jugendschutz nicht mehr gilt, kann getrost auch auf Literaturkritik verzichtet werden. An ihre Stelle tritt der Feuilletonfriseur. Die Boheme trägt "dunkelblonde Haare, unter denen ihr Gesicht hervorschaut" (Der Spiegel) beziehungsweise "mittelblonde Haare, die ihr ständig ins Gesicht fallen" (Süddeutsche Zeitung) beziehungsweise hängen "ihre langen blonden Haare im Gesicht, ab und zu schiebt sie einzelne Strähnen wie einen Vorhang zur Seite" (Die Zeit). Und diese Haare haben ihn geschrieben, den "großen Coming-of-age-Roman-Roman der Nullerjahre" (noch mal die FAZ).

Wie sich jetzt erweist, ist die Welt, aus der Fräulein Hegemann berichtet, auch deshalb so authentisch, weil die Debütantin bei einem Kenner abgeschrieben hat. In halben und ganzen Sätzen, in halben Absätzen hat sie sich bei dem Blogger Airen bedient.

Echt zerknirscht

Dieser Airen, nach Auskunft seines Verlags ein bereits 28-jähriger Unternehmensberater und vor allem kein Mädchen hinter einem Vorhang blonder Haare, hat Teile seines Blogs unter dem Titel "Strobo" beim Berliner Kleinstverlag Sukultur veröffentlicht. Das hat ein anderer Blogger, Deef Pirmasens, am Samstag aufgedeckt.

Helene Hegemann ist deshalb echt zerknirscht, aber sie weiß auch, wer schuld ist: "Wenn da die komplette Zeit über reininterpretiert wird, dass das, was ich geschrieben habe, ein Stellvertreterroman für die Nullerjahre ist, muss auch anerkannt werden, dass der Entstehungsprozess mit diesem Jahrzehnt und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts zu tun hat, also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation."

Wenn das Sowjetpropaganda ist, dann hätte das Sowjetreich bereits im Frühjahr 1918 zusammenbrechen müssen.

"Ich bin", behauptet sie, "nur Untermieter in meinem eigenen Kopf." Ja, ja, ja, sie habe sich bei Airens Blog bedient, gibt sie zu, warum auch nicht, der habe doch "einen Teil der alternativen Lebensweise, über die ich berichten wollte, auf den Punkt gebracht hat, und mit dem ich über das Buch auch ein Stück weit versuche, in Kommunikation zu treten".

Sie kann es nicht besser

Ein Stück weit in Kommunikation treten: Offenbar ist es von der Sowjetpropaganda bis zum Engholm-Deutsch kein gar so großer Schritt. Und nicht mal das Klauen ist besonders bohemehaft. Na gut, was soll man sagen, das Mädchen ist erst siebzehn, sie kann es nicht besser.

Helene Hegemann muss übrigens gar nicht adoptiert werden. Sie hat bereits einen Vater. Carl Hegemann war Dramaturg an Frank Castorfs Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Als guter Vater hat er ihr ausweislich einer Amazon-Quittung am 28. August 2009 "Strobo" nach Hause schicken lassen, damit sie sich literarisch fortbilde. Sie ist offensichtlich lernfähig. Vielleicht sollte er seine schwurbelnde Tochter jetzt mit Brechts legendärer "Laxheit in Fragen geistigen Eigentums" trösten.

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