Autobiografie:Vor allem Festlichkeit

Eva Demskis unsentimentale Erinnerungen sind auch eine persönliche Chronik deutscher Zeitgeschichte.

Von Thorsten Schmitz

Wer je das Vergnügen hatte, Eva Demski zu interviewen, und das auch noch an ihrem Lieblingsort, im Garten ihrer Frankfurter Dornbuschviertelwohnung, der weiß: Diese Schriftstellerin, die, wie wir nun aus ihren Memoiren erfahren, auch schon auf Friedhöfen und in Gurkenfabriken gearbeitet hat, kennt keine Hemmungen - vor Authentizität. Sie schreibt in empathiegeladenen Anekdoten auch über jene Phasen im Leben, die weh tun.

Viele Autobiografien ertrinken in Eitelkeit. Vielleicht hat sich Demski deshalb lange davor gedrückt, selber eine zu schreiben. Sich selbst beweihräuchern? Soweit kommt's noch! In ihren Erinnerungen mit dem schön altmodischen Titel "Den Koffer trag ich selber" kommen ihre Thailandtrips vor und der Geburtsort Regensburg, der RAF-Terror und der des 11. September, die Wiedervereinigung und die Studentenunruhen, und in jedem Kapitel begegnet uns eine Schriftstellerin, die weiß, dass im Versuch, uneitel zu sein, auch Eitelkeit versteckt sein kann. Ihr Gegengift gegen Eitelkeit? Schalk. Mit ihm schafft sie eine gesunde Distanz zu sich selbst.

Ihren Koffer trägt sie selbst, das ist Demskis Lebensmotto - sich auf sich selbst verlassen, nie in Abhängigkeiten geraten. Geheiratet hat sie einmal. Nachdem ihr Mann plötzlich gestorben war, hatte sie nur noch Liebhaber. Mit einem fährt sie heute noch jedes Jahr im Januar nach Thailand. Seinen Namen verrät sie nicht. Das Leben und dessen unergründliche Schwingungen, Abzweigungen, Zumutungen, all das beschreibt Demski auf 400 packenden, anmutigen Seiten. Darin verrät sie auch, wie sie sich ihre Fröhlichkeit bewahrt hat: Angstfrei leben und "aus allem Festlichkeit" herausholen.

Ihre Erinnerungen beginnen mit einem Gang über die Frankfurter Buchmesse, einem Pflicht- und Lusttermin in ihrem Kalender, den sie jedes Jahr wahrnimmt. Sie beschreibt, wie sie ins Stolpern gerät auf einem Messelaufband, während alle anderen auf High Heels und mit Handy am Ohr an ihr vorbei rennen. "Ich bin langsam", schreibt sie stolz. "Jetzt laufe ich entspannt auf bequemen, unansehnlichen Latschen über die Messe der Lebenden und der Toten". Demski ist jetzt 73 Jahre alt, High Heels trägt sie schon lange nicht mehr. Wichtigkeiten und Kräfte schwinden und eben auch das Reaktionsvermögen. Geht's noch uneitler?

Autobiografie: Eva Demski: Den Koffer trag ich selber. Erinnerungen. Insel Verlag, Berlin 2017. 397 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Eva Demski: Den Koffer trag ich selber. Erinnerungen. Insel Verlag, Berlin 2017. 397 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Sie beschwört Buchmessegeister, erblickt einen Literaturnobelpreisträger, den heute niemand mehr erkenne. Sie erinnert sich, wie sie selbst die großen Schriftsteller auf der Messe gejagt, wie sie "mit sanfter Interviewstimme Fallen gestellt" hat, bis sie selbst eine wurde, der man Interviewfallen stellt. Heute also sind ihr die Laufbänder zu schnell, sie kommt aus dem Tritt, und niemand nimmt Notiz von der langsamen Frau. Sie könnte sich jetzt selbst bemitleiden, Demski aber ruft aus: "Mich, die Geisterseherin, täuschen sie nicht, die neuen, jungen, frisch geschlüpften Wunderfräuleins und Slammer, Romanciers und Blogger, die alle Events und das Netz so souverän dominieren."

Demski verweigert sich der Vergötterung des Augenblicks, wie sie in den sozialen Medien praktiziert wird. Mit ihrem Buch führt sie uns in eine internetfreie analoge Zeit, in der noch Raum war für Reflexionen und Bilder im Kopf. Sie erzählt von den RAF-Terroristen und deren Anmaßung, die Arbeiter erlösen zu wollen, sie beschreibt die achtziger Jahre als eine einzige große Party, in der getanzt, gefressen, geliebt wurde. Sie kann vom Luxus schwärmen und sich gleichzeitig an der Natur ergötzen und ist noch heute verzückt von den gerade geschlüpften Schildkröten am brasilianischen Strand Praia do Forto, die zielstrebig ins Meer rannten, "als hätten sie in ihren Eierschalen tief im Sand nie an etwas anderes gedacht als ans Wasser".

Und sie schreibt vom Tod. Ihren Ehemann, einen Rechtsanwalt, hat er ereilt, viel zu früh, und ihre Lieblingskatze. Das Schreiben ist Demskis Zuhause geworden, ihr Refugium. Zu den berührendsten Stellen gehören jene, in denen sie die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter beschreibt. Die war genau das Gegenteil des flamboyanten Theatervaters, streng, rüffelnd, unfähig zur Festlichkeit im Alltag. Als die Mutter in ein Krankenhaus eingeliefert wird, bereits ohne Bewusstsein, mit der niederschmetternden Diagnose Stammhirnblutung, kommt sie ihr ganz nah, kriecht zu ihr ins Bett. "Es war nicht schwer, sich neben sie zu legen. Es war nicht schwer, ihre Hand zu halten. An der Wand hing ein Foto mit drei jungen Tigern."

Leseprobe

Eva Demski kennt und kannte die Wichtigen und die ganz Wichtigen, eingebildet hat sie sich nie etwas darauf. Mit Ignatz Bubis etwa habe sie sich oft gestritten. Aber als sie das Haus ihrer gerade verstorbenen Mutter verkaufen wollte, schaufelte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland umgehend in seinem auf Monate ausgebuchten Kalender einen Termin frei und taxierte für sie das leere Haus. "Wir haben uns auf eine sehr angenehme Art überhaupt nicht verstanden", schreibt Demski. Auch mit Marcel Reich-Ranicki war sie befreundet, sie waren sogar Nachbarn. Wenn er behauptete, Frauen könnten keine Romane schreiben, schwieg sie elegant über die Unverschämtheit hinweg - oder entgegnete, Hummeln könnten aus aerodynamischen Gesichtspunkten eigentlich nicht fliegen, täten es aber doch. "Ich hatte keine Angst vor ihm. Ich wünschte mir nichts von ihm, erbat nichts, interessierte mich nicht für einen Job als Teil seines Sonnensystems."

Einmal ist Demskis Sonnensystem von einem Schatten erfasst worden. Sie war allein Zuhause, als ein Mann an ihrer Tür klingelt, in ihre Wohnung dringt, sie vergewaltigt. Nie wurde dieser Täter gefasst. Eva Demski litt unter dem Verbrechen, kam ins Schwanken, doch ihr Verleger forderte sie auf: "Du machsch jetzt weiter, aber sofort!" Sie hörte auf ihn, zum Glück.

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