Autobiografie von Hape Kerkeling:Rouladen zum Trost

Hape Kerkeling

In seinem neuen Buch schreibt Hape Kerkeling über sein Kindheitstrauma.

(Foto: dpa)

Hape Kerkeling erzählt in seinem bewegenden Buch "Der Junge muss an die frische Luft" vom Tod seiner Mutter. Seine Komik erscheint dadurch in neuem Licht: als eine Kunst, die versucht, Leben zu retten.

Von Christopher Schmidt

Die Kindheit des Hape Kerkeling endet an einem Ferientag im Sommer 1973. Er ist acht Jahre alt und allein mit seiner Mutter zu Hause. Im Fernsehen läuft "Klimbim", später eine Krimiwiederholung. Und irgendwann steht die Mutter im Türrahmen und sagt nur leise, sie lege sich jetzt schlafen, er dürfe heute so lange fernsehen, wie er will. Es werden ihre letzten Worte sein. Der kleine Hape spürt, dass etwas nicht stimmt, dennoch harrt er tapfer vor dem Bildschirm aus. Erst nach Sendeschluss schlüpft er statt in sein Kinderzimmer zu seiner Mama ins Bett. Stunden später entdeckt er das verschmierte Glas Holundersaft, in dem sie die Schlaftabletten aufgelöst hat.

Der Selbstmord der Mutter und die Ohnmacht des Kindes gegenüber diesem Tod, es ist das Lebenstrauma des großen Komikers und Entertainers Hape Kerkeling, ein Trauma, das er sich nun von der Seele geschrieben hat. "Der Junge muss an die frische Luft", heißt sein zutiefst bewegendes Buch, ursprünglich geplant als unterhaltsamer Rückblick eines schillernden Showstars auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Doch: "Es musste vielleicht einfach alles mal gesagt werden", schreibt Kerkeling. Die Scheu, von dieser Wunde zu erzählen, und wie er sie überwindet, das ist selbst eingegangen in seine Autobiografie. Und ein Grund, der sie so lesenswert macht.

Der Punkt, von dem der Schmerz ausstrahlt

Langsam, in weiten Schleifen nähert sich Kerkeling dem Punkt, von dem aller Schmerz ausstrahlt. Es beginnt aufgekratzt, anekdotisch-verquasselt, wenn er seine idyllische Ruhrpott-Kindheit heraufbeschwört, als verhätschelter Wonneproppen der Familie, der sich früh schon für die männlichen Unterwäsche-Models aus dem Versandhauskatalog interessiert und im Karneval als Prinzessin geht.

Ihr Enkel werde Junggeselle bleiben, so lautet die Sprachregelung der Großmutter für dessen Homosexualität. Omas Lebensmittelladen ist eine Schule der Menschenbeobachtung, die den jungen Hape zum Parodisten werden lässt. Aber was perfektes Timing heißt, das hat er trainiert jedes Mal, wenn es ihm mit Faxen und einem Kochlöffel als Mikrofon gelang, seine Mutter für Momente aufzuheitern. Heute würde man ihr Leiden als Depression bezeichnen, aber damals war es eine peinliche Blöße, die man mit allen Mitteln verbarg.

Vom Abgrund trennt sie nur eine misslungene Pointe

Kerkelings Geschichte hat nichts gemein mit dem Klischee vom traurigen Clown. Wer das Handwerk des Komikers erlernt bei dem vergeblichen Versuch, einen Menschen dem Tod zu entreißen, und im Wissen, nur eine misslungene Pointe trennt sie beide vom Abgrund, für den ist Unterhaltungskunst zweierlei: Mysterium und angewandter Optimismus, wie ihn die Großmutter vorgelebt hat. Als sie nach dem Tod der Mutter gefragt wird, ob sie die Erziehung des Jungen übernehmen kann, zögert sie keine Sekunde. Sie sagt nur: "Morgen könnte ich vielleicht Rouladen machen?" Denn die isst er doch so gerne.

Seine Mutter hat Hape Kerkeling nicht retten können, aber wenn es stimmt, dass seine Gags beim Publikum oft wie ein Abwehrzauber gegen das Böse funktionieren, dann beschützt er mit jedem seiner Auftritte ein paar Menschen. Und einer dieser Menschen ist nicht zuletzt er selbst.

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