Autobiografie:Perlen fischen

Autobiografie: Rudolf Zwirner (rechts) und Peter Ludwig in einem New Yorker Coffeeshop 1969.

Rudolf Zwirner (rechts) und Peter Ludwig in einem New Yorker Coffeeshop 1969.

(Foto: Guido Mangold/Zadik)

Als Mit-Erfinder des Kölner Kunstmarkts schrieb der Galerist Rudolf Zwirner einst Kunstgeschichte. Nun ist seine Autobiografie erschienen: "Ich wollte immer Gegenwart".

Interview von Kito Nedo

Rudolf Zwirner ist eine imposante Erscheinung. Der 86-Jährige gilt als Grandseigneur des deutschen Kunsthandels. Als er in den Räumen der des Berliner Auktionshauses Grisebach seine Erinnerungen vorstellte ("Ich wollte immer Gegenwart" Aufgeschrieben von Nicola Kuhn, Wienand Verlag 2019, 25 Euro), drängte sich das Publikum bis in das Treppenhaus der Charlottenburger Stadtvilla. Zeit für ein Gespräch über den Aufbruch der Kunststadt Köln in den Sechzigern und ein Leben als Kunsthändler.

SZ: Herr Zwirner, die Kölner Kunstmesse gilt als die älteste Messe der Welt. Die wichtigste Messe aber findet in Basel statt. Warum?

Rudolf Zwirner: Wir haben bei der Gründung mehrere Fehler gemacht. Es gab ja zuvor keine Messe. Aber man musste irgendwie anfangen. Bei den achtzehn Galerien, die wir für den ersten Kölner Kunstmarkt im September 1967 zusammengetrommelt hatten, waren höchstens zehn ernst zu nehmende Aussteller dabei. Die ausländischen Galerien wurden anfangs nicht eingeladen, weil wir die Konkurrenz scheuten. Kaufmännisch war das nicht falsch gedacht, aber trotzdem auch nicht richtig. Zudem spielten der Ort und die Zeit eine große Rolle.

Inwiefern?

Ernst Beyeler, einer der Mitinitiatoren der Art Basel, wusste, wann die amerikanischen Kunden nach Europa kamen: immer vor der großen Sommerpause. Damals machten alle in Italien oder Griechenland Ferien. Sie fuhren durch Südeuropa. Aber was ich damals nicht durchschaute: Basel war nicht einzuholen. Dort fand der Geldwechsel statt. Alle Händler und alle Sammler hatten Schweizer Konten. Alle kamen einmal im Jahr im Juni. Dann holten sie ihre Dividenden meist in Cash. Anschließend gingen sie auf die Messe und kauften sich Bilder.

Seit ein paar Jahren hört man das Wort der "Messemüdigkeit". Stimmen Sie zu?

Die Messen sollten wir langsam vergessen und den Großgalerien überlassen, die im Jahr dreißig Messen machen. Sie schaffen das, weil sie auf ungeheure Lager zurückgreifen können. Anders als noch in der Frühzeit der Kunstmessen fahren viele Galerien trotz guter Verkäufe mit Miesen ab. Die Messen und die damit verbundenen Kosten sind richtig gefährlich geworden. Wenn eine Berliner Galerie an einer wichtigen Messe teilnimmt, ob in Basel oder Hongkong, ist sie schnell pleite.

Was hat sich verändert?

Ursprünglich waren Messen zur Förderung der jungen Kunst gedacht. Die Preise gingen früher bis maximal Hunderttausend. Der Schwerpunkt lag jedoch bei Zehn- oder Zwanzigtausend. Heute kann man auf diesen Veranstaltungen nur mit Preisen ab Hunderttausend aufwärts sinnvoll arbeiten, weil die Wandmiete allein schon so teuer ist. Das sind Orte geworden, auf denen sich die Milliardäre treffen. Die wollen mit ihren Maschinen irgendwo mal landen. Sie gehen zum selben Lokal und kaufen dieselbe Kunst. Die Großgalerien verkaufen am ersten, zweiten Messetag Kunst für vierzig bis fünfzig Millionen. Und auf derselben Messe, drei Meter weiter um die Ecke, wird kein einziges Bild verkauft. Das ist absurd.

Sehen Sie einen Ausweg?

Zunächst sollten sich die Galerien zusammentun und nicht mehr an den Messen teilnehmen. Der virtuelle Raum bietet ja zunehmend Möglichkeiten für den Handel. Aber wenn statt der Messen der virtuelle Kunstmarkt global stärker forciert wird, müssen die Galerien ihre analogen Aktivitäten in ihren Räumen verstärken.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Nicht unbedingt. Künstler wollen ihre Kunst in Räumen zeigen, nicht auf Messen. Vernissagen sind dazu da, damit Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Diese Qualitäten des analogen Raumes müssen stärker ins Bewusstsein rücken.

Sie beschreiben sich als Galerist, der Künstler nicht lebenslang vertreten mochte. Wie haben Sie es trotzdem geschafft, dass in Ihrer Galerie hochkarätige Ausstellungen stattfanden?

Der Grund, warum ich eigentlich nie Galerist werden wollte, war, dass ich auch das schlechte Bild des guten Künstlers erkennen konnte. Das ist für einen Künstler sehr verletzend. Die Freundschaft mit Gerhard Richter etwa hat Mitte der Neunziger einen Knacks gekriegt, als er die Serie "Mutter und Kind" malte. Ich bin damals schweigend durch sein Atelier gegangen. Für mich war das künstlerisch abgehakt. Das war kein wesentlicher Beitrag, obwohl es emotional sehr naheging.

Sie haben sich also das Beste ausgesucht?

Ich habe mir immer erlaubt, die Hauptwerke zu kaufen, zum Beispiel das berühmte Baselitz-Bild "Die große Nacht im Eimer", das heute im Museum Ludwig in Köln hängt. Warum soll ich mich dem anderen Kram aussetzen? Ich suche mir die Austern, die ich will, und die Perlen. Ich habe nicht wie ein Händler gekauft, sondern wie ein Sammler. Natürlich musste ich mich später wieder von der Kunst trennen. Damals habe ich nur kaufen können, wenn ich auch verkauft habe.

Einige ehemalige Mitarbeiter Ihrer Galerie sind selbst berühmt geworden: der Kurator Kasper König, der Kunsttheoretiker Benjamin Buchloh oder der Galerist Daniel Buchholz. Welchen Einfluss hatten diese Leute auf Ihr Geschäft?

Ich erinnere mich, dass ich einmal wunderbare Landschaftsbilder von Max Ernst aus der späten Colorado-Zeit mit roten Felsen hatte. Buchloh sah auf einer Kunstmesse ein konzeptuelles Wortbild von René Magritte von 1927 und schlug mir vor, ich solle doch das schreckliche Max-Ernst-Bild verkaufen und dafür den Magritte erwerben. Ich wusste: Das Max-Ernst-Bild verkaufe ich viel schneller. Aber ich hab's gemacht. Buchstäblich zehn Jahre lang konnte ich das Magritte-Bild nicht verkaufen. Heute hängt es als Meisterwerk in der Hamburger Kunsthalle. Buchloh war schon sehr kopflastig.

In einem Kunsthandelsskandal in Berlin wird einem Galeristen vorgeworfen, er habe Kunstwerke mit gefälschten Zertifikaten für Millionen an Sammler verkauft. Woher kommt diese kriminelle Energie im Kunsthandel?

Das ist ein bisschen polemisch gefragt. Der Kunsthandel hat eine hohe Form, freiheitlich mit Kunst umzugehen. Bei industriell gefertigten Produkten wie Waschmaschinen sind Fälschungen weniger einfach. Ein Problem ist der Wertewandel. Erst plustert man das Geschäft auf, dann geht man in die Kredite. Um Kredite zu bekommen, werden Werke beliehen. So etwas ist vermutlich hier passiert. Der betreffende Galerist war sicherlich sehr erfolgreich. Er hatte, wie man hört, zwei Filialen in Asien. Da wird ein riesiges Rad gedreht. Die Reisen, die Leute, das große Geld. Dieser Wertewandel verändert die Menschen.

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