Autobiografie:Das Leben ist eine Vernissage

Autobiografie: Johann König, Daniel Schreiber: Blinder Galerist. Propyläen Verlag, Berlin 2019. 168 Seiten, 24 Euro.

Johann König, Daniel Schreiber: Blinder Galerist. Propyläen Verlag, Berlin 2019. 168 Seiten, 24 Euro.

Johann König betreibt in der St.-Agnes-Kirche in Berlin-Kreuzberg einen spektakulären Galerieraum. Wie kam er dahin, wo er doch als Kind nach einem Unfall fast erblindete?

Von Till Briegleb

Liebe Kinder, spielt nicht mit Schwarzpulver. Das kann böse ins Auge gehen. Wie bei Johann König. Dem explodierte, als er elf Jahre alt war, beim Spielen mit Startschusspatronen eine Schachtel und das machte ihn fast blind. Zwar beschreibt König in seinen früh erschienenen (vermutlich nicht letzten) Lebenserinnerungen "Blinder Galerist" diese Katastrophe auch als Startschuss eines höchst erfolgreichen Berufslebens im Kunsthandel. Aber den meisten Kindern wurde in der Blindenschule realistisch empfohlen, Beamter, Masseur oder Korbflechter zu werden.

Dass Johann König heute als 37-jähriger zum internationalen Kunst-Jet-Set gehört, obwohl er bei der Gründung seiner ersten Galerie 2002 in Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz kaum etwas sehen konnte von dem, was er Sammlern anpries, verdankt er seinen familiären Umständen. Er ist der Sohn von Deutschlands berühmtestem Ausstellungsmacher Kasper König, sein Onkel ist der omnipräsente Kunstbuchhändler Walther König, sein Halbbruder der New Yorker Top-Galerist Leo König. Seit frühester Kindheit verbrachte er sein Leben in ständiger Vernissage, bei den Königs gingen Künstler ein und aus, und der Fernseher stand auf einer Brillo-Box von Andy Warhol.

Dem Autor Daniel Schreiber hat Johann König nun sein Leben bis in die jüngste Vergangenheit erzählt, und der hat es in hauptsatzreicher Aufsatzform so niedergeschrieben, dass das Bild eines sehr sympathischen Menschen entsteht, der mit dem Augenlicht weder Ambition noch Kampfgeist oder Humor verlor und sich im Haifischbecken der Gegenwartskunst zu behaupten wusste. Wenn er heute in der umgebauten St.-Agnes-Kirche in Berlin-Kreuzberg einen der spektakulärsten Galerieräume der Welt betreibt und neben der Kunstakkumulation viel besuchte Ausstellungen in dem großen Kirchenschiff veranstaltet, dann provoziert das die neugierige Frage: Herr König, wie haben Sie das gemacht?

Das schmale Buch beantwortet diese Frage in aller Ausführlichkeit. Die Spezialisierung auf Konzeptkunst, die man primär mit dem Verstand erfasst, sehr viele Operationen, die schließlich auch erfolgreich waren, und ein scheinbar sehr nettes Wesen ermöglichten es Johann König, mit minimaler Sehkraft im Augengeschäft der Kunst als Prophet erfolgreich zu sein.

Er folgte seiner Intuition für die Talente junger Künstler wie Jeppe Hein, Alicia Kwade, Kris Martin oder Tue Greenfort und baute mit Geduld, dem Ruf seines Stammbaums und über manchen Misserfolg hinweg sein wachsendes Kunstimperium auf, zu dem neben Norbert Bisky, Katharina Grosse, Monica Bonvicini, Julian Rosefeldt oder Anselm Reyle auch die Künstlerin des Deutschen Pavillons auf der diesjährigen Biennale in Venedig, Natascha Sadr Haghighian, gehört.

Darüber hinaus befriedigen diese Memoiren auch den Kunst-Voyeurismus mit Anekdötchen und Privatfotos. Die ausführlich beschriebene rührende Bewunderung des Sohns für seinen Vater und die privaten Erinnerungen an ein bisschen unkonventionelles Familienleben wirken allerdings arg wie zerdehnte Festtagsreden. Und eine kritische Reflexion des statusgierigen Show-off-Business, in dem sich Johann König mit seinem Geschäft bewegt, sucht man vergeblich.

Es gibt schon mal einen Halbsatz über die "ökologische Katastrophe" von Privatjets, mit denen Sammler zur Art Basel Miami Beach fliegen, oder ein Geständnis, dass Angeberei das wichtigste Schmiermittel für den Erfolg sei. Aber mehr kritische Distanz gegenüber einem milliardenschweren Markt, der heutzutageein obszönes Symbol für die wachsende Einkommensschere zwischen Arm und Reich ist, für Oligarchenmacht und Geldwäsche, Luxusexzesse und sehr viel dumme Gier, kommt in diesem Lebensbericht leider nicht vor.

Auch über die inhaltlichen und ökonomischen Kriterien, mit denen Künstler zur Marke gemacht werden, über die Mechanismen, wie Sammler über den Preis, den sie zahlen, immer mehr den Kanon angesehener Kunst definieren, oder wie Galeristen dank ihrer finanziellen Mittel Museen als Marketinginstrumente für ihre Ware instrumentalisieren, findet sich in "Blinder Galerist" kein Wort.

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